Redemption

Schritt 5: der Plan

Mein Doppelgänger und ich haben die Köpfe zusammengesteckt und sind zu folgendem Ergebnis gekommen:

1: Wir sind keine Zwillinge. Die Bäuche unserer Mütter sind eindeutig. Außerdem ist Annabelle zwei Wochen vor mir geboren worden - geplanter Kaiserschnitt, etwas, worauf meine Mutter nicht im Traum gekommen wäre.

2: Crawl. Found. Ident. ist unsere Verbindung. Aus irgendeinem Grund zahlen sie meiner Mum genug Geld, dass sie aufs Bürgergeld verzichten kann (wobei ich mich ernsthaft frage, wie man das alles verprassen kann), während Annabelles Vater monatlich einzahlt. Und das nicht zu knapp.

3: Der Schlüssel ist Boston. Wir wissen nicht genau, wie, aber Annabelles Recherchen haben ergeben, dass Maximilian Leuchtenberg in Programme investiert, die offiziell nicht gelistet sind, dafür aber ein Konto besitzen, das in der Bundeshauptstadt Massachusetts gemeldet ist. Stammzellenforschung ist das Stichwort und wenn wir das Equipment von CSI Miami hätten, wären wir schon weiter gekommen.

4: Wir sind zwei junge Doppelgänger und wir werden verflucht nochmal nicht mit uns spielen lassen! Das bringt mich zum letzten Fakt - wir werden uns das sowas von zu Nutzen machen.

Unser Plan ist genial und vollkommen gaga. Ich wünschte, ich könnte behaupten, wir hätten alles durchdacht. Das haben wir nicht, und die Risiken häufen sich, je länger wir darüber reden. Trotzdem führt kein Weg daran vorbei. Wir werden das durchziehen und schon die Vorstellung lässt die Ameisenkolonie auf meinem Rücken einen Foxtrott tanzen.

Seit einer Woche schreiben wir miteinander. Es musste einfach so kommen. Ich war überrascht, dass Annabelle den ersten Schritt gemacht hat, obwohl ich seit Tagen an nichts anderes dachte, als meinem Doppelgänger die Idee schmackhaft machen zu wollen.

Die Idee kam von ihr - für zwei Wochen die Plätze tauschen. In die Rolle des anderen schlüpfen, ohne dabei erwischt zu werden. Über den letzten Punkt lässt sich streiten. Ich bin nicht dumm, ich weiß, dass eine Woche nichts sind. Dass man nicht mir nichts dir nichts einen anderen Menschen spielen kann, ohne am Ende aufzufliegen. Aber hey, es ist die einmalige Gelegenheit, eine neue Welt kennenzulernen und zum Teufel damit, dass wir völlig am Arsch sind, sobald unsere Eltern Wind davon bekommen.

Morgen ist es soweit. Das Ticket steckt in meiner Handyhülle, ich habe es gestern auf dem Bahnhof am Automaten gekauft. Bar natürlich. Mein Doppelgänger hat darauf bestanden, dass wir keine Spuren hinterlassen. Besonders Annabelle achtet penibel darauf, Beweise zu vertuschen, die sie auf irgendeine Weise mit dem Mädchen aus Halle in Verbindung bringen. Man könnte meinen, sie hätte das Ganze vor unserer Begegnung geplant. Ihr Tagesusflug mit Freunden fügt sich geradezu perfekt in unseren Plan ein.

Sie wird morgen Nachmittag um sechzehn Uhr siebenunddreißig von Berlin Südkreuz starten. Kurz vor Erfurt wird sie ganz zufällig auf Toilette müssen. Ihre Freunde werden erst etwas bemerken, wenn es zu spät ist, und ich habe dann die glorreiche Aufgabe, ihnen eine glaubwürdige Ausrede zu präsentieren.

Warum ich das alles auf mich nehme? Ganz einfach. Ich will wissen, was ich verpasst habe, denn ganz ehrlich, wenn sich herausstellt, dass ein Losverfahren dafür gesorgt hat, dass ich diejenige bin, die die Arschkarte im Leben gezogen hat, dann ist es mein gutes Recht, die andere Seite des Ufers kennenzulernen. Und wenn Annabelle der Meinung ist, sie müsse ihr sorgenfreies Leben wegen eines überfürsorglichen Vaters aufs Spiel setzen - bitte schön. Ich bin die Letzte, die es ihr ausreden wird.

*

Vorsichtig checke ich die Nachrichten auf meinem Handy. Jasmine verspätet sich, Ärger mit dem Haarspray, wenn ich richtig verstanden habe. Wenn wir ausgehen, macht sie immer einen riesen Aufriss, als müssten wir einen Preis fürs beste Outfit gewinnen. Das kann manchmal ganz schön anstrengen, vor allem, wenn sie sich drei Stunden verspätet und wir - wie beim letzten Mal - ein ganzes Konzert verpassen.