12 | Spiel im Schatten

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Das Vibrieren seines Armbandes weckte Sander an diesem Morgen wie immer genau in dem Moment, in dem die Kaffeemaschine gerade durchgelaufen war. Er richtete sich im Bett auf und streckte seine noch müden Muskeln in die Höhe. Die Nacht war viel zu kurz gewesen, obwohl er bei dem Anblick des schlafenden Mannes neben ihm keine Sekunde davon hätte eintauschen wollen.

Vorsichtig, um Eli nicht zu wecken, stieg er über den schlafenden Körper und setzte seine nackten Füße auf den flauschigen Teppich, der vor dem Bett lag. Für ein paar Sekunden vergrub er die Zehen in dem warmen Gefühl der Fasern und machte ein paar Dehnübungen. Dann ging er in die Küche, um sich den ersten Kaffee des Tages zu gönnen.

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Draußen war es noch immer dunkel, so wie seit Monaten schon. Die Stadt war in ein gespenstisches Halbdunkel gehüllt, das von den düsteren Rauchschwaden eines gewaltigen Feuers am Horizont verstärkt wurde. Die Flammen hatten den Himmel in ein bedrohliches Glühen getaucht und die einst strahlende Sonne hinter einer undurchdringlichen Decke aus Rauch und Asche verborgen.

Niemand konnte mit Sicherheit sagen, wann sie das nächste Mal die Sonne oder zumindest ein Stück freien Himmels wiedersehen würden. Die Hoffnung auf eine Rückkehr des Tageslichts schwand mit jedem verstrichenen Tag, während die Bewohner der Stadt sich in ihrer eigenen Dunkelheit verloren.

Vor dieser hoffnungslosen Aussicht war das einzige, das ihnen blieb, das flackernde Licht der Reklametafeln, die die Straßen und Gebäude selbst in der tiefsten Nacht in ein grelles Neonlicht tauchten. Doch selbst diese Lichter konnten nicht die Finsternis vertreiben, die über der Stadt lag und die Herzen ihrer Bewohner erfasste.

Nur die Uhr an seinem Handgelenk verriet Sander, dass es bereits später Vormittag und Zeit zum Aufstehen war. Das dumpfe Pochen des Lebens in einer Welt im Wandel drang durch die allumfassende Dunkelheit und erinnerte ihn daran, dass die Zeit unaufhaltsam voranschritt, auch wenn die Sonne sich weigerte, wieder aufzugehen.

Während er das heiße Schwarz in seinen Becher füllte, fragte er sich, wann Eli heute zur Arbeit musste. Gestern hatte er ihm aus gutem Grund die Uhr abgenommen, weil sie ihn gestört hatte, und sie hatten dann vergessen, sie wieder umzubinden. Sander betrachtete den schlafenden Eli, dessen friedliches Gesicht von den Schatten des spärlichen Lichts im Raum umspielt wurde. Sein Herz erwärmte sich bei dem Anblick, und er beschloss, Eli noch ein wenig schlafen zu lassen. Immerhin waren sie gestern lange wach geblieben, und sie hatten beide die Ruhe verdient.

Unwillkürlich musste Sander grinsen, als er an das zufriedene Gesicht dachte, das ihn so verdammt süß angelächelt hatte. Normalerweise schickte er seine Gäste nach dem Liebesspiel nach Hause, doch Eli war geblieben. Natürlich nur, weil es schon so spät gewesen war und Sander nicht unhöflich sein wollte.

„Ach, wem mache ich hier was vor?", dachte Sander, als er einen großen Schluck Kaffee trank und sich dabei fast den Gaumen verbrannte. Die Gedanken wirbelten in seinem Kopf, während er versuchte, die Gefühle, die Eli in ihm auslöste, zu ordnen. Es war verwirrend, wie sehr ein einfacher Sec seinen Geist beeinflussen konnte. Konnte man das nicht einfach abstellen? So wie ein Gerät, das man in den Stand-by-Modus versetzte?

Aber Sander wusste, dass es nicht so einfach war. Die Emotionen ließen sich nicht einfach ausschalten, besonders nicht, wenn sie so stark waren wie die, die er für seinen Agenten empfand. Es fühlte sich einfach gut an, ihn neben sich zu haben, und er genoss die Nähe, die sie miteinander teilten. Doch jetzt hatte er ein Problem: Was hatte Nexor mit den Spritzen vor, und wie konnte er Eli davor warnen? Vielleicht konnte er etwas herausfinden, wenn er heute sowieso bei Med-On erwartet wurde. Dort würde er die Augen und Ohren offenhalten müssen.

Neonlight Shadows - AufbruchWo Geschichten leben. Entdecke jetzt