Zuhause stellen Rindou und Ran den Fernseher an und ich gehe nach oben in mein Schlafzimmer. Ich werfe mich auf mein Bett und hole mein Handy hervor. Wie von selbst checke ich meine vergangenen Anrufe und schon habe ich die unbekannte Nummer von gestern Abend angerufen. Der Klingelton ertönt. Ich rechne schon fast nicht mehr damit, dass jemand abnimmt, als der Klingelton abrupt abbricht. Erst eine Weile des Schweigens. Ich will nicht die erste sein, die spricht. "Hey?" Da habe ich schon aufgelegt. Das kann nicht war sein. Das ist ein schlechter Streich, ein Witz, jemand der versucht, mir Angst zu machen, eine Lüge. Das Handy rutscht mir aus der Hand und fällt zu Boden, meine Knie beginnen zu zittern und ich kann plötzlich meine Hände nicht mehr stillhalten. Scheisse, Scheisse, Scheisse. Heisse Tränen treten in meine Augen und meine Unterlippe bebt. Scheisse. Ich beisse mir auf die Lippe, um sie vom Zittern abzuhalten, bis sie blutet und das Blut auf den Boden tropft. "Nein", flüstere ich und Tränen laufen unkontrolliert aus meinen Augen heraus, mein ganzer Körper ist mit einer Gänsehaut bedeckt. Ich breche zusammen und bleibe wimmernd auf dem Boden liegen, mitten in meinem eigenen Blut. Da hat sich jemand einen Scherz erlaubt, um mich gefügig zu machen. Das ist alles eine Lüge. Ich schliesse die Augen, aber mein Körper beruhigt sich nicht mehr, so eine intensive Wirkung hat diese Stimme auf mich.
Niemand findet mich völlig fertig, wie ich auf dem Boden kauere, eingetrocknetes Blut in den Haaren und verquollene rote Augen, am ganzen Körper zitternd. Dafür bin ich dankbar. Ich bin unendlich froh, dass mich keiner sehen muss, wie ich erbärmlich zusammenbreche, bloss weil eine Stimme ein Wort gesagt hat. Ein einziges Wort. Es könnte doch bestimmt sein, dass jemand eine ähnliche Stimme hat, oder nicht? Vielleicht hat auch bloss Mikey dafür gesorgt, dass es mir wieder schlecht geht, jetzt wo ich bei Tenjiku bin, damit ich zu Toman zurückkomme. Aber warum hat sich diese Stimme so echt angehört? Und warum drehe ich immer noch völlig durch, wenn ich sie höre, wenn es doch schon so lange her ist? Nach einem Blick auf die Uhr, stehe ich auf, alles dreht sich um mich herum. Ich stürze einen halben Liter Wasser herunter und eile dann ins Bad, um mit dem Concealer meine tiefen Augenringe abzudecken. Das funktioniert ganz gut, wenn ich ehrlich bin. Ich werfe nochmal einen Blick auf meine Uhr. Ran und Rindou sind bestimmt noch wach. Wenn sie nicht mitbekommen sollen, wie ich aus dem Haus verschwinde, dann muss ich zu Fuss gehen-das Motorrad bleibt eben nochmal zu Hause. Nach einem erneuten Blick in den Spiegel, bei dem ich sichergehe, dass man meine Augenringe auch ganz sicher nicht sehen kann, dann ziehe ich meine Jacke fest zu und schleiche die Treppe hinab.
"Ich habe schon gedacht, du kommst nicht mehr her", raunt Mikey hinter mir und ich zucke kaum merklich zusammen. "Hey", sage ich kühl, streiche mir die Haare zurück, die unter dem Rand meiner Mütze hervorlugen. Stillschweigend starre ich Mikey an, da höre ich schon einen Motor brummen und keine Minute später erscheint Baji am Eingangstor. Seine Augen leuchten auf, als er mich erkennt, er breitet schon die Arme aus, um mich zu begrüssen, aber dann hält er inne, als hätte er erst jetzt verstanden, was los ist. Wir sind keine Freunde mehr, wir sind Feinde. In verschiedenen Gangs befinden wir uns nun und nie wieder zusammen. Es besteht keine Chance, dass ich und Baji je wieder auf der gleichen Seite stehen können. "Also, Mikey, warum hast du mich herzitiert? Eigentlich sollte ich um diese Zeit schon lange schlafen. Und mir geht's echt beschissen, also halt dich kurz", sage ich zu Mikey und starre ihn mit ausdruckslosem Gesicht böse an. Mikey räuspert sich und rauft sich mit einer Hand die Haare. "Kiki. Wir müssen wirklich mit dir reden. Jetzt komm endlich mal runter, Mann", sagt er. Baji verschränkt die Arme vor der Brust. "Kiki, was ist passiert? Warum geht's dir scheisse?", fragt Baji und mit einem Mal fällt mir auf, dass ich jetzt schon tagelang völlig allein bin. Dass ich verschwunden bin, weggerannt und einer anderen Gang beigetreten und verdammt nochmal die einzigen weggestossen habe, die sich um mich gesorgt haben. Ich werde blass im Gesicht.
"Ich drehe durch, Baji. Heute Nachmittag hat mich Kazutora angerufen", sage ich mit heiserer Stimme. Mikey guckt mich an, als hätte er einen Geist gesehen. Dann fängt er an zu lachen. "Kiki, Mann, hättest du uns zuerst zugehört, dann würdest du jetzt nicht hier vor uns stehen und heulen", prustet Mikey und seine blonden Haare wirbeln durch die Luft, als er den Kopf vor Lachen hin und her wirft. Entgesitert gucke ich Baji und Mikey an. "Wie, ihr wart das etwa? Habt ihr mir diesen Streich gespielt?", fauche ich sie sofort an. Mikey atmet tief durch. "Kazutora Hanemiya ist nicht tot, Kiki", flüstert Mikey. Baji greift nach meiner Hand um mich davor zu bewahren, auf dem Bürgersteig zusammenzubrechen. Ich kralle die Finger in seinen Handrücken. "Wie, Kazu lebt?", hauch eich erschrocken. "Die Leiche, die vor sechs Monaten gefunden wurde, war nicht seine. Ich war der Einzige, der's geschafft hat, ins Leichenschauhaus zu gehen. Ich hab gesagt, es sei Kazu, weil ich verdammt nochmal nicht gewusst hab, wo er steckt. Und jetzt ist Kazutora verschwunden. Weisst du was? Der Einzige, der von der Sache weiss ausser mir ist Izana. Er hat den Typen umgebracht." Ich starre Mikey an, während wer erzählt. "Das kann doch nicht wahr sein?!", rufe ich und drücke Baji's Hand. "Kazutora lebt. Und er ist irgendwo da draussen. Und irgendwer hält ihn seit sechs Monaten gefangen", sagt Baji. Tränen stehen in meinen Augen. "Und wer?" "Ich kann's nicht sagen. Wir wissen's nicht", seufzt Mikey und Baji lässt meine Hand wieder los. "Wolltet ihr deshalb nicht, dass Izana gehe, ja?", frage ich die Beiden. "Ja", geben sie zu. "Weil ihr glaubt, dass er Kazutora gekidnapt hat? Verdammt nochmal, wär mir doch egal, wenn Izana Kazu gekillt hätte, er ist nun mal nicht mehr da, da kann ich auch nichts mehr ändern, ihr Scheiss Psychos. Mit so einer beschissenen Story kriegt ihr mich nicht mehr zurück. Ich komm ganz sicher nicht zu Toman zurück, ich gehöre zu Tenjiku, ich gehöre zu Izana, ist mir scheissegal was er getan haben soll, ihr Idioten, ich fall nicht auf eure Tricks rein. Verschwindet aus meinem Leben, verschwindet einfach von diesem gotteverdammten Planeten, ich will von dir nichts hören, Mikey und von dir erst recht nichts, Baji. Ich glaube Izana und ich vertraue ihm und Kazu ist verdammt nochmal tot!", fauche ich, drehe mich um rausche sauer davon. Kazutora ist tot. Er ist seit sechs Monaten tot, warum soll ich jetzt plötzlich glauben, dass er noch lebt und mein Seelenbruder ihn hat verschwinden lassen? Mikey lügt doch. Sie lügen mich alle an, um mich wieder zurückzukriegen. Kazu ist tot. Und auch wenn ich zu gern glauben würde, dass er noch irgendwo lebt und ich ihn bald wieder zurückhaben kann. Aber der Mensch, der einmal mein ein und alles gewesen ist, ist nicht mehr da. Kazutora lebt nicht mehr und ich lasse mich nicht durch Mikeys Psychospielchen kontrollieren und zähmen. Ich bin eine Haitani und kein emotionales Wrack, das einem Typen hinterhertrauert, der vor sechs Monaten draufgegangen ist.
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Haitani's Little Secret
FanfictionDie kleine Schwester der Haitani Brüder, Kiki, wird aus der Tokyo Manji-Gang geworfen, weil sie beschuldigt wird, eine Affäre mit Izana angefangen zu haben und wichtige Gang-Geheimnisse ausgeplaudert zu haben. Sie tritt Tenjiku bei und lernt viele n...