Ganz sicher ist er weg

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Ich stapfe in unserem Haus sauer die Treppe hoch, knalle meine Zimmertür zu und es geht keine drei Minuten, bis Rindou besorgt hereinschaut. "Was ist los?", fragt er und setzt sich auf den Rand meines Betts. Ich seufze. "Mikey will, dass ich zu Toman zurückkehre. Und jetzt will er mir einreden, dass Kazu noch am Leben sei und..." Jetzt wo ich endlich alles rauslassen kann, breche ich in Tränen aus. Rindou öffnet seine Arme und zieht mich hinein, ich schmiege mich an ihn und weine. "Ich...ich vermisse Kazu doch bloss so", schluchze ich und Rindou streichelt mir tröstend über die Haare. "Shhh...shh", macht er und versucht mich zu beruhigen. "Ist schon gut. Sie vermissen dich bestimmt nur, jetzt wo du nicht mehr da bist." Ich schüttle den Kopf. "Sie...ist mir egal was sie wollen, ich glaube ihnen das nicht. Sie behaupten Izana hätte Kazutora verschwinden lassen. Ich kenne Izana. Und ich drehe bestimmt nicht durch, bloss weil Kazu noch am Leben sein könnte. Dass kann nicht wahr sein... ich hab ihn doch beerdigt..." Rindou nickt bestätigend und streichelt immer noch meinen Hinterkopf. "Ja, Süsse. Du hast Recht. Sei einfach nicht traurig, ja?" Ich atme tief durch und schlinge die Arme um meinen Bruder. "Ja, klar. Hab dich lieb", flüstere ich und schmiege mich an ihn. Knarrend geht meine Zimmertür auf und Ran kommt mit offenen Haaren und in seinen Schlaf-Klamotten ins Zimmer. "Was wird das hier eigentlich ohne mich?", brummt er, klettert auf mein Bett und beteiligt sich an der Umarmung. Ich sollte abschalten und vergessen, was heute passiert ist. Kazutora ist tot. Lange schon.

In meinem Traum renne ich auf einer Strasse, hinter mir ein Motorrad. Ich kann es bloss hören, umdrehen kann ich mich nicht. Ich renne um mein Leben, meine Oberschenkel brennen wie verrückt, mein Atem rast. Ich muss das Motorrad nicht sehen, um zu wissen, was es für eins ist. Mikeys. Eins aus Shin'ichiros Werkstatt. Ich komme nicht von der Strasse runter, ich kann nur geradeauslaufen. Ich kann nicht mehr. Meine Füsse tun weh und bei jedem Schritt zittern meine Beine, als ob ich bald zusammenbrechen würde. Plötzlich werde ich von der Seite gepackt und in eine Gasse gezerrt. Das Erste, was ich im Halbdunkeln erkenne sind dunkle Haare mit blonden Highlights drin, dann diese wunderschönen, dunklen Augen. Meine Brust hebt und senkt sich immer noch bei jedem hektischen Atemzug. Mein Gegenüber hält mich beschützend fest. Ich höre das Knarren des Motors in der Ferne verschwinden, erst dann entspanne ich mich. "Hey", flüstert er. Ich schaue zu ihm hinauf. "Hey", erwidere ich und lächle. "Lange nicht gesehen", raunt er und ich senke beschämt den Blick. "He, hier oben sind meine Augen", versucht er mich zum Lachen zu bringen. Ich kichere und werde dabei ganz schön rot. Immer noch hält er mich an den Armen fest, als hätte er Angst, dass ich ihm entrissen werden würde. "Kazu?", frage ich. "Kiki?", erwidert er und schaut mich liebevoll an. Ich liebe die Art, wie er meinen Namen sagt, ich liebe es, wie er mich festhält.  Dann beugt er das Gesicht zu mir herunter und küsst mich. Ich vergrabe die Finger in seinen Haaren, während ich den Kuss erwidere. Es fühlt sich so gut an. Kazutora ist tot. Und sofort erwache ich, liege in meinem Bett, meine Brüder sind weg und ich bin völlig alleine.

Ich döse nochmals weg, aber ich träume bloss von Mikey, wie er mich mit seinem Killer-Motorrad durch die Strassen Tokyos jagt. "Kiki...Kiki!", ruft er mir hinterher und ich renne und renne, dass er mich bloss nicht kriegen kann. "Kiki, wir fangen dich! Verräter müssen alle sterben", lacht Mikey über das Dröhnen des Motors hinweg. Scheiss-Psycho. Er ruft nach mir und jagt mich, bis ich zusammenbreche und von lauter Leuten von Toman verprügelt werde. Ich fauche sie an, beleidige sie alle, trete um mich, aber alleine habe ich keine Chance. Hände packen mich und Fäuste schlagen auf mich ein und ich habe überhaupt keine Chance, weil mir keiner zu Hilfe eilt. Bevor irgendetwas interessantes geschehen kann, schrecke ich wieder aus meinem Traum hoch und bin völlig ausser Atem, als sei ich wirklich gerannt.

Scheisse. Vielleicht hat Mikey Recht. Ich will, dass Mikey Recht hat und trotzdem fürchte ich mich davor, Izana nicht auf meiner Seite zu wissen, obwohl ich ihm immer schon vertraut habe. Ich kann es jetzt nicht brauchen auch noch meinen Seelenbruder zu verlieren, er ist mein ein und alles, jetzt wo Kazutora tot ist. Ich habe ihn beerdigt. Zusammen mit Baji und Chifuyu. Wir haben ihn zu dritt vergraben, es kann nicht sein, dass er noch lebt. Es ist fünf Uhr morgens. Schlafen kann ich jetzt nicht mehr, also ziehe mich an, stürze einen Kaffee hinunter und gehe zu Sanzu. Wie immer ist der Keller nicht abgeschlossen, bestimmt hat er dazu gar keinen Schlüssel. Sanzu liegt auf dem Rücken auf einer Matratze am Boden und starrt an die Decke hinauf. "Hi", begrüsse ich ihn. "Schleich doch nicht einfach immer so hier rein. Komm her", meint Sanzu und klopft neben sich aufs Bett. Ich lasse mich neben ihn fallen und gucke ebenfalls zur Decke hinauf. "Siehst du die Sterne?", raunt Sanzu. Da ist gar nichts an der Decke, keine Sterne vor allem. "Ne, du Spinner", lache ich los. "Hey", meint Sanzu und boxt mir gegen den Arm. Ich beginne ihn auszukitzeln und Sanzu windet sich aus meinem Griff, plötzlich sitzt er auf mir drauf und unsere Gesichter trennt nur ein Hauch. Dann ist da gar nichts mehr, was unsere Lippen voneinander trennen könnte, bloss noch Sanzu und ich. Seine Zunge in meinem Mund. Keine Ahnung wer die ganze Sache angefangen hat, ich kann nicht sagen, ob ich ihn küssen wollte oder er mich. Sanzu schmeckt nach Pfefferminzkaugummi. Kurz lassen wir voneinander ab, bevor er mich nochmals innig küsst. Ich kralle die Finger in seine Haare und er umschlingt mich mit beiden Armen, ich richte mich ein wenig auf. Sanzu. Überall ist Sanzu. Schwer atmend lösen wir uns voneinander und Sanzu lässt sich auf meine Seite fallen, von mir herunter. "Oh Gott", flüstert er und verdeckt sein Gesicht mit den Händen.

Sanzu ist knallrot im Gesicht und meine Lippen fühlen sich taub an. "Was hab ich nur getan?", flüstert er vor sich hin und bringt es immer noch nicht fertig mich anzusehen. "Schon in Ordnung", versuche ich ihn zu beruhigen. "Versprich mir, dass du das deinen Brüdern nicht erzählst", stottert Sanzu. Er ist verdammt süss, wenn er verlegen ist. "Versprochen", erkläre ich und Sanzu atmet erleichtert auf, dann drückt er mir einen kurzen Kuss auf die Lippen. "Kiki?" "Hm?" "War das für dich eine einmalige Sache?", fragt Sanzu und sieht mich fragend an. Irgendwie fast schon traurig. "Sanzu...", meine ich und drücke ihn an mich, "Sicher nicht." Sanzus Gesicht hellt sich auf und er atmet erleichtert aus. Er lächelt. "Ich würde dir grade so viel sagen, wie schön du bist und wie süss, aber wenn ich dich so ansehe, dann glaube ich, dass dich keine Worte beschreiben können", sagt Sanzu. So viel redet er nie, meistens schweigt Sanzu bloss und starrt irgendwo ins Leere. Schmunzelnd stütze ich die Hände auf die Knie. "Du Spinner. Bist du high?" Sanzu schaut mich an, stellt dann eine schüchterne Gegenfrage: "Merkt man das?" Ich seufze. Sanzu erwartet keine Antwort, er lächelt und verwickelt mich in einen weiteren Kuss. So ein Spinner.

Haitani's Little SecretWo Geschichten leben. Entdecke jetzt