Kapitel 3 | Der Finger in der Wunde

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„Der Finger in der Wunde"

Donnerstag, 8. April 1976

„Aber in Hogwarts- Früher hast du doch ständig zaubern müssen, allein wegen des Unterrichts. Und du hast nie die Kontrolle verloren." Lucius Stirn ist in Falten gelegt, sein Gesichtsausdruck zeugt von Unverständnis. Die einfache Antwort ‚ja' hat ihn nicht zufrieden gestellt, was natürlich vorauszusehen war.

Vielleicht hätte ich einfach von Anfang an schweigen sollen. Dann hätte er bis hierhin bestimmt die Schnauze voll und ich wäre zurück in der londoner Seitengasse. Vielleicht hätte ich einfach etwas länger umschreiben sollen, was meine Intention hinter meinem Rückzug aus der Zaubererwelt war, aber ich habe das Gefühl, dass er es nicht verstehen würde. Genauso wenig, wie ich es wirklich verstehe. Wieso kann ich meinen Freunden nicht mehr gegenübertreten? Doch. Doch ich weiß es. Natürlich weiß ich es. Wegen Nic. Wie soll ich ihnen jemals wieder unter die Augen treten, wenn ich ihnen Nicolas Flint genommen habe? Das ist die Frage, die mich damals von innen heraus durchbohrt hatte. Deshalb bin ich einfach gleich gegangen.

Nic war der Mittelpunkt von allem. Nicht nur von mir. Das ist schon immer so gewesen. Seit dem ersten Tag, hat er alle Slytherins in irgendeiner Weise angesprochen, sogar die Älteren. Und mich hat er genauso fasziniert. Aber eben auch Lucius.

„Das ist zwar so gewesen, aber genau das war auch das Problem. Am Anfang war es okay. Also bevor ich nach Hogwarts kam, hat das schwarze Feuer quasi geschlafen." Ich versuche durch irgendwelche Handbewegungen meinen Erklärungsversuch verständlicher zu machen, aber an Hand von Lucius Gesichtsausdruck merke ich, dass es nicht klappt. „Je mehr Zeit dann aber verging, je mehr ich gezaubert habe, desto wacher wurde es, bis es- Bis ich-"

Ich stoppe mich selbst. Das sage ich mir zumindest. Eigentlich kann ich nicht weitersprechen, obwohl Lucius Augen immer noch zu verstehen versuchen. Obwohl die Worte in meinem Kopf schon da sind. Natürlich versteht er es nicht, immerhin hat er die Verbindung vom schwarzen Feuer zu den Umständen in jener Nacht nie gezogen. Ich habe ihn sie nie ziehen lassen.

Ich muss meinen Blick abwenden. Bis ich meinen Freund umgebracht habe. Es ist lächerlich, aber so schmerzhaft. Seit vier Jahren lebe ich schon mit dieser Wahrheit und trotzdem kann ich mich nicht überwinden, es über die Lippen zu bringen. Worte werden wahr. Davor habe ich Angst.

„Warum hast du Hogwarts damals verlassen?" Ich schaue überrascht auf. Lucius Blick ist klar und fordernd. Ein bisschen bin ich ihm dankbar, dass er nicht nachhakt, obwohl ich ihm nie gesagt habe, was damals genau passiert ist. Aber er ist der Einzige, der mich in den Tagen nach Nics Tod gesehen hat. Deshalb dürfte er die Antwort auf diese Frage auch schon kennen.

„Wie meinst du das?" Ich mustere ihn genauer.

„Genau wie ich es gesagt habe. Du hättest weiter nach Hogwarts gehen können. Wieso hast du das abgelehnt?"

Will er jetzt wirklich alles rausholen? Wieso erst jetzt? Weil er jetzt die Möglichkeit dazu hat? Er ist ja nicht derjenige, der die Fehler gemacht hat und nicht mit seiner eigenen Schuld klargekommen ist. Er ist nicht derjenige, der vor seiner Verantwortung mit eingezogenem Schwanz davongelaufen ist.

„Einfach so, denke ich." Ich beende den Augenkontakt (ich kann ihn nicht weiter anschauen) und lasse meinen Blick schweifen. Ich bin immer noch derselbe. Genauso lächerlich ängstlich wie zuvor. Nicht wie Lucius. Lucius weiß, was er tut und ihn voranbringt. Er kommt voran. Man muss sich nur mal ansehen, wo er lebt und was für Klamotten er trägt. Ich stehe an derselben Stelle. Seit vier Jahren hält mich irgendetwas davon ab, weiterzugehen. Vielleicht kann ich es noch nicht. Immer noch nicht.

William Bristow | HP FanfictionWo Geschichten leben. Entdecke jetzt