Kapitel 4

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Lila
Mein Herz setzte einen Schlag aus vor Schreck. Ich wusste nicht, wie ich reagieren sollte, um mich aus der Situation zu retten. Ich überlegte, die anderen mit einem lauten Geräusch zu wecken, damit diese mir helfen konnten, doch ich befürchtete, dass der Skull mich töten würde, bevor ich auch nur Luft holen konnte.
Es war dringend notwendig, einen kühlen Kopf zu bewahren, um den Skull zu überlisten. Also entschied ich, Zeit zu schinden, und währenddessen darauf zu hoffen, dass die anderen aufwachen und mir zur Hilfe eilen, oder darauf, dass mir ein besserer Plan einfallen würde. "Wie bist du hier reingekommen?", fragte ich deshalb, in der Hoffnung, der Skull würde die nächste Zeit mit selbstgefälligen Erklärungen von seinem ach so genialem Plan verbringen. "Durch den Eingang", sagte er stattdessen kurz. "Ähm", widersprach ich. "Das geht nicht. Ich hab den Eingang bewacht." Der Skull deutete als Antwort nur auf die Höhlendecke. Ich hatte zur Nachtwache auf dem Vorsprung zur Höhle gesessen, die Höhlendecke war jedoch bereits ein kleines Stück hinter mir zu Ende, sodass der Skull wahrscheinlich an der Felswand entlang geklettert und hinter mich auf den Vorsprung gesprungen war.
"Taktischer Fehler meinerseits." , antwortete ich, bemüht, mir die Angst und die Wut auf mich selbst, die ich empfand, nicht anmerken zu lassen. Der Fehler, den ich gemacht hatte, war ein bescheuerter Anfängerfehler gewesen, und eben dieser könnte unser aller Tod bedeuten. "Es reicht. Das Spiel ist aus. Du bist offiziell festgenommen.", sagte der Skull entnervt. Verdammt. Wahrscheinlich hatte er meine Taktik durchschaut.
"Und wieso sollte ich mit dir kommen?", fragte ich, bemüht, mir die Panik bei diesem Gedanken nicht anmerken zu lassen. "Du musst mitkommen.", sagte er leicht verwirrt. "Sonst zwinge ich dich dazu." "Und was willst du tun?", entgegnete ich herausfordernd. "Willst du mich erschießen? Ich glaube kaum, dass das deinen Boss erfreuen würde." "Nun, das wäre ein Problemchen, aber ich könnte einen deine Freunde töten.", antwortete er ruhig. Ich erschrak, versuchte jedoch die Fassung nicht zu verlieren. "Lyvva wird genauso gejagt wie ich auch. Das wäre also nich' wirklich effektiv." "Was ist mit den anderen? Sind die etwa nicht deine Freunde?" "Doch schon.", sagte ich perplex und verfluchte mich gleich nachdem ich die Worte gesprochen hatte. Ich konnte das Gesicht des Skulls zwar unter seiner Kapuze nicht erkennen, aber ich könnte schwören, dass er nun triumphierend grinste. "Also doch.", sagte er.
Verdammt. Ich versuchte das Thema zu wechseln. "Wer bist du überhaupt?", fragte ich. "Ich bin ein Skull.", erwiderte er. Toll. Das hatten wir bereits geklärt. "Das ist klar", sagte ich. "Aber wie heißt du? Du kannst ja nicht einfach 'Skull' wie alle anderen heißen. Oder wie können die euch sonst unter euren Kapuzen auseinander halten?" Der Skull seufzte genervt. "Mein Name ist Fynn. Fynn mit Ypsilon." Der Name sagte mir etwas, doch ich wusste nicht, wo ich einen Skull kennengelernt haben sollte. Außer...
"Du bist der Typ vom Dach.", sagte ich erstaunt. "Der, der mir in den Arm geschossen hat." "Interessant, dass du das noch weißt, jedoch nicht, wie ich dich hab gehen lassen."
"Ach Bitte. Das war nur, damit du meine Fährte verfolgen konntest, um am Ende Lyvva und mich festnehmen zu können.", sagte ich.
"Meinst du nicht, dass ich deine Fährte dann mit mehreren Begleitern verfolgt hätte, um euch dann gemeinsam zu überwältigen?", entgegnete er. "Vielleicht willst du ja allein den ganzen Ruhm einheimsen." Fynn schwieg nur. Für einen Moment dachte ich, er würde mich einfach erschießen. "Ich habe dich nicht gehen lassen, um den Ruhm einzuheimsen.", sagte er schließlich doch. "Wenn du es glauben willst, dann tu das, aber ich hab es nicht. Und dieses Mal werde ich nicht so willensschwach sein und dich gehen lassen. Und wenn du nicht freiwillig mitkommst, dann werden deine Freunde dran glauben müssen."
"Das wird nicht nötig sein.", erklang plötzlich eine Stimme hinter ihm. Etwas in der Nähe von Fynns Hüfthöhe blitzte auf und im nächsten Moment riss die Sehne von Fynns Bogen. Während der Pfeil an die nächste Höhlenwand flog und dort liegen blieb, zischte die Sehne direkt an Fynns Wange vorbei und hinterließ dort einen Striemen. Der Stab des Bogens federte zurück, sodass Fynns ihn reflexartig losließ. Bevor er sich verteidigen konnte, knickte sein rechtes Bein ein, sodass er auf die Knie fiel. Ich sah über der Schulter des Skulls hinweg und blickte Lindale in die Augen, der mich schockiert ansah. Er hatte wahrscheinlich mit dem Messer, das er in der Hand hielt, die Sehne durchgeschnitten, und danach Fynn in die Kniekehlen getreten. "Geht's dir gut?", fragte Lindale mich besorgt. "Passt schon.", entgegnete ich knapp. Fynn machte Anstalten, aufzustehen, wurde jedoch erneut von Lin zu Boden gestoßen. "Bleib unten", zischte Lin hasserfüllt. "Sonst schneide ich dir deine verdammte Kehle durch." Fynn nickte langsam, als Zeichen, dass er verstanden hatte.
"Was ist los?", fragte Lyvva, die von dem Lärm wach geworden war, und nun zusammen mit Ed auf uns zu lief. "Wer ist das?", fragte Ed.
"Das ist Fynn.", sagte ich sarkastisch
"Fynn mit Ypsilon."
"Er ist ein Skull", fügte Lindale verächtlich hinzu. Lyvva sah mich erschrocken an und weil ich befürchtete, dass sie fragen würde, wie es sein konnte, dass ein Skull uns angreifen konnte, obwohl ich Nachtwache gehalten hatte, und auch weil ich mich für die Antwort, die ich dann geben müsste, nämlich das ich zu unvorsichtig gewesen war, schämte, wechselte ich schnell das Thema.
"Was sollen wir nun mit ihm machen?", fragte ich. Lindale sah mich an, als wäre diese Frage längst besprochen. "Ist doch klar: Wir töten ihn." Ich schüttelte mit dem Kopf. "Das geht nicht." Lin wollte gerade etwas einwenden, also sprach ich schnell weiter. Es war mir das logischste, direkt mit der Wahrheit zu kommen, also tat ich genau das. "Er ließ mich gehen, als wir vor ein paar Tagen durch die Gassen von Ayclaira flohen. Es wäre nur fair, ihn nun ebenfalls frei zu lassen." Die Tatsache, dass er auch derjenige war, der mich angeschossen hatte, erwähnte ich dabei nicht. "Bist du verrückt?", fuhr Lin mich an. "Er ist ein Skull. Einer derer, die meinen Bruder erschossen haben. Wenn wir ihn frei lassen, wird er brav zu seinen Skull Freunden rennen, unseren Standort verraten und mit einer Skull Armee wiederkehren. Seine Freiheit würde die unsere bedeuten."
Dagegen hatte ich nichts zu sagen. Ich konnte nicht entgegnen, dass er schweigen würde, aus Dankbarkeit, weil wir ihn hatten gehen lassen, weil wir damit quitt sein würden. Er hatte mich gehen lassen, nun ich ihn. Niemand hätte dem anderen mehr etwas zu schulden, und er konnte uns guten Gewissens verraten. Sowieso könnte man einem Skull niemals vertrauen, nicht einmal auf diesem Prinzip. "Ich werde nicht zu den Skulls zurückkehren können. Nicht, ohne einen Phönixerben gefangen genommen zu haben."
"Wieso?", fragte Ed verwirrt. "Sie werden mich bestrafen, wenn ich zurückkehre, ohne den Auftrag erledigt zu haben.", Fynns Stimme zitterte leicht, als er hinzufügte: "Mich oder ihn."
"Wen meinst du mit 'ihn'?", fragte ich verwirrt. Fynn schwieg kurz, bevor er den Kopf hob und mich anblickte. "Meinen Bruder.", sagte er schließlich. "Er wird von den Skulls gefangen gehalten. Sie benutzen ihn als Druckmittel, um mich gefügig zu machen."
Ich sah zu Lyvva, die Fynn skeptisch ansah. "Wieso sollten wir dir glauben?", fragte sie. Fynn antwortete nicht.
Ein langes Schweigen entstand zwischen uns. Jeder von uns fragte sich, ob wir dem Skull glauben konnten, oder was wir mit ihm machen sollten. Ich selbst ertappte mich dabei, wie ich fast schon dazu neigte, ihm seine Geschichte zu glauben. Auf jeden Fall war er anders als die anderen Skulls. Mir war bereits aufgefallen, dass er viel stärker und schneller als die anderen zu sein schien. Dies hatte sich allein durch seinen Sprung über die Dächer bei unserer Flucht durch die Stadt gezeigt, doch auch dadurch, dass er es geschafft hatte, von oben über die steile Felswand zu unserer Höhle hinab zu klettern. Jeder normale Mensch, ob Skull oder nicht Skull, wäre abgestürzt und hätte am Boden seinen Tod gefunden. Nachdenklich sah ich Fynn an. Er hatte den Kopf gesenkt, und schien ohne große Hoffnung auf sein Urteil zu warten.
Eigentlich gab es für uns nichts zu bedenken. Er konnte nicht ohne Lyvva oder mir zu den Skulls zurückkehren, dass hieß, dass er nichts unversucht lassen würde, um Lyvva oder mich festzunehmen. Wenn die Geschichte mit seinem Bruder stimmte, dann hatte er sogar einen guten Grund dazu. Wahrscheinlich würde ich sogar dasselbe für Lyvva tun. Aber das wichtigste wahr, dass wenn wir Fynn freilassen würden, in Gefahr liefen, erneut von ihm angegriffen zu werden. Und wenn wir ihn nicht gehen lassen konnten, dann gab es nur noch die Möglichkeit, ihn zu töten.

Das Erbe der PhönixeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt