3. Kapitel

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Ein lauter Pfiff ertönte. Ich wusste was das bedeutete. Es war erst zwischen vier und fünf Uhr, doch ich sprang sofort auf, aber meine Beine gaben nach, sodass ich auf die kalten Fliesen meiner Baracke fiehl. Ich blickte meine dürren Spagelbeine an und verfluchte sie innerlich.
"Hey du!" Rief eine meiner vielen Mitbewohnerinnen, oder eher Mithäftlingen. Keine Ahnung wie sie hieß, denn wer konnte sich denn schon an einen Namen von Tausenden merken, vor allem, wenn deren Träger so schnell gingen, wie sie kamen?

"Schon gut, ich stehe ja schon auf." sagte ich bloß und versuchte aufzustehen. Ich hielt mich am Geländer unseres Riesen Baracken-Hochbettes fest und versuchte mich hochzuziehen, doch es gelang mir nicht.
Die Augen der Frau, oder eher des 17 jährigen Mädchens, verengten sich zu Schlitzen. Sie musste ein Aufseher Häftling sein, denn die Leute um uns herum wichen ein Stück von uns zurück und gingen zu ihren Schränken.

Naja, wäre ich nicht so müde und überanstregt, hätte ich es wahrscheinlich auch schon gemerkt, als sie mich auf meinen Fehler "zurechtgewiesen" hat. Es war wohl eher ein Anschnauzen, aber egal.

Sie sah mich an, als wäre ich ein Stück Scheiße, ich hätte ihr am liebsten den Kopf abgerissen, doch ich konnte mich grade noch zurückhalten und senkte den Kopf, während ich es diesmal mit aller Kraft schaffte, mich hinzustellen.

"Es tut mir leid" nuschelte ich, und bekam eine heftige Backpfeife. Ich zuckte zusammen, als meine Wange anfing zu brennen, und strich behutsam mit meinen dürren Fingern darüber.

"Rede anständig mit mir!" brüllte sie mich an und schlug noch einmal zu.
Ich kochte innerlich, was mittlerweile aber irgendwie ein Dauerzustand war, so oft wie ich hier sauer wurde.

Kurz musste ich an meine Mutter denken, was sie mir wohl geraten hätte...
Ich bekam Tränen in den Augen, aber konnte sie noch schnell wegblinzeln. Diese Verräterin vor mir durfte meine Schwächen nicht sehen, denn sie würde sie schamlos ausnutzen...

"Es tut mir leid" sagte ich nun laut und deutlich und streckte mein Kinn selbstbewusst nach vorne, was mein ganzes Schauspiel Talent erforderte.

"Geht doch." meinte sie schließlich und ging. Ich entspannte mich leicht und drehte mich zu den anderen Frauen.
Sie alle taten so als hätten sie nichts gesehen. So wie immer, denn die Aufseher hatten Sonderrechte, und wenn man sie bei den Wachen verpfiff, dann machten sie einem das Leben noch mehr zur Hölle, als sie und die Wachen es jetzt schon taten. Ich konnte sie alle einfach verstehen...
Erschöpf ging ich zu meinem Schrank, nahm meine Seife heraus und lief ins Bad. Ich drängte mich zwischen den ganzen Frauen hindurch und konnte mich schließlich waschen.

Es war fast Monatsende, und die Frau neben mir hatte ihre Seife gerade aufgebraucht. Sie hatte einen gequälten Gesichtsausdruck, denn sie wusste genau so gut wie ich was passieren würde. Sie würde von den Aufsehern brutal und rücksichtslos geschlagen werden, und so wie sie aussieht mit ihren blauen Flecken überall, würde das nicht das erste mal passieren. Wenn sie Glück hat, muss sie noch nicht zum Lagerführer, der ihr eine Phalstrafe oder schlimmeres Verordnen könnte.

Ich selber musste zum Glück noch nicht zum Lagerführer. Am Anfang, als ich ins KZ gekommen bin, habe ich ihn das erste mal gesehen, und ich habe mir damals  vorgenommen, nie zu ihm zu müssen...

Ich erinnerte mich nur noch vage daran. Alles hatte am Anfang so surreal, wie hinter einem weißen Schleier, ausgesehen. Ich selber konnte nichts machen, mein Körper übernahm das Denken für mich, sodass ich nichts mehr fühlte, über nichts nachdenken musste und einfach nur noch wie ein Zuschauer in meinem Leben war...

Ich konnte das KZ, oder auch das Arbeitslager, wie sie es nannten, schon von weitem sehen. Das war es also...

Mein Versprechen konnte ich nun nicht mehr halten, denn wer überlebt bitte schön ein KZ? Es ist zwar sozusagen ein Arbeitslager, aber die Nazis wollen gar nicht, dass wir überleben. Sie wollen uns tot sehen, aber sie wollen wenigstens nach außen hin nicht wie Mörder aussehen, auch, wenn sie es, und noch viel schlimmeres, sind.

Die Tribute von Panem - Hitlers HungerspieleWo Geschichten leben. Entdecke jetzt