Kapitel 14

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»Zum Anbeginn der Menschheit entstand jede Seele, die heute auf dem Planeten weilt. Jede Seele tauchte in einem Körper eines Erwachsenen auf und so etwas wie Kinder gab es zunächst nicht. Du musst dir das so vorstellen, dass die entstandenen Menschen ohne jegliches Wissen, wie es dazu kommen konnte, einfach irgendwo auftauchten und mit Gleichgesinnten eine Lebensgemeinschaft eingingen. Das war die Geburt der Menschheit ...«

Ich merkte sofort, dass Ally mir meine Geschichte noch nicht so recht abkaufen konnte, weshalb ich kurz schmunzelte und nicht lange zögerte und weiter redete.

»Jeder entstandene Mensch ist unsterblich gewesen. Nichts konnte uns etwas anhaben und nicht einmal die Zeit hatte irgendeine Wirkung auf uns. Wir konnten uns nicht verletzten und auch Krankheiten kannten wir nicht. Es lebte sich wirklich gut die ganze erste Zeit, bis plötzlich die große Trauer über uns einbrach.
Jeder Zusammenschluss von Menschen, jedes gebildete Volk, alle Menschen, die nicht alleine waren, ereilte früher oder später dasselbe Schicksal. Leute aus unseren Umfeldern fingen plötzlich an krank zu werden, bei der Jagd von Tieren umgebracht zu werden, bei alltäglichen Aktivitäten drauf zu gehen oder hatten angefangen einen natürlichen Alterungsprozess zu beginnen. Die ganze Bevölkerung dieser Erde sah sich plötzlich mit einem großen Problem konfrontiert.
Natürlich hat jedes Volk anders auf die plötzliche und höchstmysteriöse Veränderung einer Person reagiert, denn zunächst verstanden wir einfach nicht, was da geschah. Warum konnten manche Menschen krank werden, bei Unfällen umkommen oder gar altern, während es die meisten Menschen nicht konnten? Am absurdesten wurde es, als manche Frauen auf einmal dicke Bäuche bekamen und nach einer gewissen Zeit kleine Menschen gebaren.«

Ich musste unverzüglich bei dem Gedanken anfangen zu lachen. Mit meinem über die Jahre erlangtem Wissen über die Entstehung von Kindern kam ich mir schon etwas dämlich vor, wenn ich an all die Theorien dachte, die sich mein Volk herleitete, um die Geburt neuer Menschen zu erklären.

Da ich auch auf Allys Gesicht ein sanftes Lächeln vernehmen konnte, wusste ich, dass ich auf einem sehr guten Weg war und Ally so langsam anfing, sich mit dem Unvorstellbaren anzufreunden.

»Der Tod war allgegenwärtig. Es ist passiert. Nur eben nicht jeden und vor allem nicht von Anfang an. Ich habe viele Leute sterben sehen, viele meiner geliebten Freunde zu Grabe getragen. Ich habe Kriege durchgestanden, Hungersnöte, die Pest. Ich habe Dinge gesehen, die mir noch heute den Schlaf rauben.« Ich brauchte einen Moment, denn auch wenn noch so viel Zeit vergangen war, tat es mir immer noch schrecklich weh, wenn ich an all das Unglück dachte, was das Leben so mit sich brachte.

»Es ist so geschehen, dass für jedes Leben, was ging, ein neues kam, welches das Gesicht trägt, was schon ein anderer getragen hat, denn, und so ist es bis heute, alle Seelen müssen recycelt werden, Ally, die tauchen nicht einfach auf oder verschwinden, wenn einer verstirbt. Und da kommst du ins Spiel. Die unsterbliche Form von dir lebte mit mir zum Anbeginn der Zeit in einem Volk zusammen und es dauerte nicht lange, bis wir uns verliebten. Als du sterblich wurdest, konnte ich nicht loslassen und verbrachte die letzten Jahrhunderte damit, dich immer und immer wieder zu suchen, weil ich dich bis zum Ende der Zeit liebe ...«
»Das hört sich ja alles irgendwie nach einer schönen Geschichte an, aber, Charlie, ich glaube nicht, dass das mehr als eine Geschichte ist. Es tut mir leid, aber wo sind Beweise, die mir irgendwas greifbares geben?«, unterbrach sie mich und äußerte berechtigt verunsichert ihre Zweifel an der Glaubhaftigkeit dieser Absurdität, was mich alles andere als überraschte.

»Ich habe nun verstanden, dass ich unmöglich die Frau auf all den Bildern hier sein kann. Ich weiß auch, dass ich nicht die Frau auf den Bildern bin, die auf der Collage in deinem Bad zusehen ist. Daher wollte ich dir eine Chance geben eine gute Erklärung zu leisten, um nicht wie ein Vollspinner in meiner Erinnerung zu bleiben, aber, Charlie, du machst es mit dieser Märchenstunde nur noch schlimmer!« Bemitleidend sah sie mich an. »Ich dachte wirklich, dass du ein netter Kerl bist, aber das ist wirklich zu viel des Guten. Es tut mir wirklich leid, aber wenn du nicht anfängst die Wahrheit zu erzählen und weiter mit deiner Märchenspinnerei machst, dann kann ich nicht anders als dich darum zu bitten mich zu Frieden zu lassen. Ich sehe mich sonst wirklich gezwungen die Polizei einzuschalten, denn wenn du keine gute Erklärung hast, muss ich davon ausgehen, dass du wirklich ein Spinner bist, der in mich vernarrt ist und das mit dem ganzen hier auslebst.«
Sie deutete auf all die ganzen Bilder und Tagebücher, die Geschichten erzählten, die ich mir nicht einmal wagte, sie mir auszudenken.

»Es tut mir leid, Charlie«, sagte sie und bedauerte das ganze wirklich, während sie sich zum aufstehen erhob und entschlossen war zu gehen.

»Und wenn ich Beweise habe?«, fragte ich selbstsicher, um sie am gehen zu hindern.
»Was willst du mir denn bitte vorzeigen?« Sie drehte sich wieder zu mir um, denn die Neugier in ihr siegte doch.
Ich nahm das Bild in die Hand mit dem die ganze Sache hier an diesem Abend angefangen hat.
»Ich hätte gedacht, dass dir etwas aufgefallen ist.«
Ich reichte ihr das Bild von Lady Celia und ihren Brüdern, welches am Tag aufgenommen wurde, als sie das Schiff nach Amerika betraten.

Sie nahm es nochmal in die Hand und ließ sich auf das Sofa fallen, ehe sie es nochmal ganz genau musterte.

»Du hast das Tagebuch gelesen?«, fragte ich sicher in meiner Situation.
»Ja.«
»Und es ist dir dennoch nicht aufgefallen?« Ich lehnte mich mit einem leichten Lächeln in meinem Sessel zurück.
»Zunächst hätte ich gedacht, dass du als Fotografin auf die Idee kommen würdest, einige der Bilder auf ihre Echtheit zu prüfen. Aber nun gut. Du bist eben ein hartes Pflaster.« Ich faltete die Hände in meinem Schoß zusammen und musterte amüsiert ihren fragenden Blick.

»Wann ist Lady Celia auf das Schiff gegangen?«
»Frühjahr 1912.«
»Und wohin wollten sie?«
»New York, Amerika.«
»Und von wo aus ging ihre Reise los?«
Und genau an dieser Stelle fiel es ihr wie Schuppen von den Augen.
»Southampton, England«, stotterte sie.

Ihr Stimmung schlug um und auf einmal wurden ihre Augen ganz groß.
»10. April 1912 - von Southampton aus fuhr das größte Passagierschiff seiner Zeit auf seine Jungfernfahrt nach New York los und ...« Sie stockte, denn sie wollte ihre Gedanken nicht aussprechen.

»Genau, Ally, die RMS Titanic.«
»Sind sie ...?« Bei dieser Erkenntnis traten ihr Tränen in die Augen, die ich nur erwidern konnte.
Ich nickte schwer. »Ja, Ally, sie waren nicht unter den Glücklichen ...«
»Aber ich dachte, dass Lady Celia ihr Happy End bekommen hat.« Sie schluchzte schwer. »Oh Gott! Dass mir das nicht aufgefallen war. Es ist doch klar und deutlich auf diesem Bild zu sehen!«
»Ich bitte dich, Ally, nimm diese Bilder und prüfe sie auf ihre Echtheit, damit du ganz sicher bist, dass ich hier nichts bearbeitet habe. Zusätzlich bitte ich dich darum Nachforschungen anzustellen. Bitte schau dir die Passagierliste von damals an und bitte schau dir an, was mit Archibald geschehen ist. Erst dann bin ich bereit weiter mit dir zu reden. Erst dann denke ich, dass du mir glauben wirst ...«, forderte ich sie also ruhig auf selber nach der Wahrheit zu suchen.

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