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Die Musik erfüllte den Innenraum des Wagens und schien das einzige Geräusch zu sein in der Stille der Nacht. Die schmale Landstraße lag vollkommen verlassen da, in tiefe Dunkelheit getaucht, abgesehen von dem schwachen Schein der Autoscheinwerfer, die flackernde Lichtfetzen vor uns herwarfen. Seine Finger trommelten im Takt der Musik auf dem Lenkrad herum und seine Augen blieben immer wieder an mir hängen.

Jasper schlief. Ich warf einen Blick über meine Schulter und betrachtete mit wachsender Besorgnis sein wächsernes Gesicht, das in der Schwärze des Wageninneren noch viel weißer erschien. Schweißperlen standen auf seiner Stirn und seine Haut fühlte sich warm an, zu warm.

Mit einem schrecklichen, drückenden Gefühl von Schuld zog ich meine Hand zurück und rutschte wieder an den äußersten Rand des Sitzes. Ich war unendlich müde und schaffte es kaum noch, die Augen offen zu halten, doch sobald ich drohte, einzuschlafen, ließ ein Teil meines Körpers mich instinktiv wieder hochfahren.

Ich durfte nicht einschlafen, nicht, wenn er nur wenige Meter von mir entfernt saß.

Also versuchte ich mit aller Macht, gegen die Schwere meiner Augenlider anzukämpfen. An der Art und Weise, wie er sich immer wieder die Augen rieb, erkannte ich, dass auch er gegen die Müdigkeit kämpfte.

Irgendwann muss er schlafen, dachte ich und leise Hoffnung erwachte wieder in mir.

Meine Augen huschten zum Fenster und ich versuchte, in der Dunkelheit draußen etwas zu erkennen, irgendetwas. Aber ich konnte nur die schemenhaften Umrisse von einigen Bäumen erahnen, welche hin und wieder an meinem Fenster vorbeizogen. Wir konnten praktisch überall sein.

Mein Magen verkrampfte sich vor Panik und ich musste den Blick senken, damit ich nicht voller Verzweiflung wieder damit anfing, gegen die Fensterscheibe zu hämmern.

„Hast du Durst?", seine Stimme ließ mich zusammenschrecken.

Ich presste mich noch dichter an die Tür und schüttelte stumm den Kopf, unfähig, seinen Blick zu erwidern.

Die Straße war scheinbar endlos. Die Dunkelheit schloss sich um den Wagen wie ein dicker, undurchdringlicher Schleier. Irgendwann gab ich schließlich auf und ließ den Kopf gegen die Fensterscheibe sinken. Die leise Musik aus dem Radio und das stetige und vertraute Brummen des Motors täuschte mir für einen Augenblick lang Sicherheit vor und ließ zu, dass der Schlaf mich übermannte.

Das nächste, was ich mitbekam, war eine Berührung an meiner Wange. Langsam und widerwillig kämpfte ich mich aus der friedlichen Schläfrigkeit und öffnete die Augen. Sonne blendete mich und erschrocken fuhr ich hoch. Ich hatte die ganze Nacht durchgeschlafen. Wie hatte ich nur so dumm sein können, so unachtsam? Ich hatte so ein leichtes Ziel abgegeben, wehrlos und verletzlich.

Schmerz durchzuckte mich, als ich meinen eingeschlafenen Arm ausschüttelte. Ich rieb mir den Nacken, der von der unbequemen Schlafposition ganz steif war.

Ich warf einen kurzen Blick zur Seite und meine Augen blieben an seinem Gesicht hängen. Seine dunklen Bartstoppeln hoben sich stark gegen seine blasse Haut ab und unter seinen rotgeäderten Augen lagen tiefe, dunkle Ringe. Vermutlich war er die ganze Nacht durchgefahren.

Als ich zum Fenster hinaus blickte, sah ich, dass sich die Umgebung nicht geändert hatte. Flache, karge Felslandschaft soweit mein Auge reichte und vor uns immer noch diese elendige Landstraße. Aber nun tauchten in regelmäßigeren Abständen am Straßenrand einzelne Häusergruppen auf. Es waren kleine, baufällig wirkende Hütten. An manche davon grenzten kleinere Felder an, die genauso trocken wirkten wie die Felder zu Hause.

Jasper.

Mit einer hastigen Kopfbewegung sah ich mich nach meinem Bruder um. Er war wach und erwiderte meinen Blick mit einem schwachen Lächeln.

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