Frühling

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Die Monate waren vergangen und der Frühling hatte begonnen. Ruhe war in Leicester eingekehrt, auch wenn einiges noch ungewiss war. Mike Morris und Aaron Finn White waren immer noch auf der Flucht, Ralph Kayden war verurteilt worden, hatte sich jedoch gute Bedingungen für sich und seine Familie erkämpfen können. Die Firmen aller sechs Verbrecher waren in sich zusammengebrochen und hatten den ganzen Winter über für Chaos gesorgt. Einige der leitenden Angestellten waren ebenfalls vor Gericht gebracht worden, was für Aufsehen gesorgt hatte. Bertram King wäre ebenfalls verurteilt worden für sein Mitwirken an den illegalen Geschäften, so denen er sogar seinen Schwiegersohn Jim Evans dazugeholt hatte, der erst dadurch an ein kleines Vermögen gekommen war. Nicht nur die Veruntreuung der Firmengelder hatten sie gemeinsam gehandhabt, sondern auch einige der wichtigsten Geschäfte. Andere, die so wie sie gehandelt hatten, würden nun eine langjährige Haftstrafe angehen müssen, wobei wenig Aussicht auf vorzeitige Entlassung bestand. Selbst wenn die schlimmsten zwei Gauner davongekommen waren, hatte es in letzter Zeit einige Straftaten weniger gegeben. Frei von Verbrechen war Leicester lange noch nicht, doch ein Anfang war es allemal. 

Kate Nancy King, wie sie hieß, seit sie zu ihrem Mädchennamen zurückgekehrt war, hatte schon ein neues Leben aufgebaut. Das Haus gehörte ihr und eine Arbeit in einer Bäckerei und Konditorei hatte sie auch gefunden. Es war längst kein Traum, aber jeder Tag schien besser zu werden als der vorige. 

Richard war hier geblieben. Zum Teil hatte ihn der zweite, um einiges längere als der erste Kuss überredet, zum Teil auch die Akzeptanz von Paul nach diesem ereignisreichen Tag. Freunde waren sie längst keine, aber eine zweite Chance war mehr, als Richard jemals erwartet hätte. Auch wenn er wie heute noch quer durch Leicester geschickt wurde, um seine Arbeit zu machen, hatte ihn der Inspector als Polizist ernst genommen. Es gab noch viel zu lernen und trotz allem würde der Sergeant sicherlich nie selbst ein Inspector werden, doch wer wusste schon, was in einigen Jahren geschehen konnte? 

Im Moment hetzt der junge Mann hin und her. Wie schon so oft hatte er sich verlaufen, wobei er den letzten Spaziergänger aus Scham ruhig hatte weiterlaufen lassen, was er jetzt schon bereute. Wo auch immer er hier gelandet war, außer Büschen, Bäumen und Gewässer schien es hier nichts zu geben. Verzweifelt drehte er sich im Kreis, wusste aber nicht mehr, wohin er laufen konnte. Innerlicht schalt er sich für seine Schüchternheit, sodass er ohne Wegbeschreibung wieder einmal durch die Gegend irrte. Noch vor ein paar Tagen war er davon überzeugt gewesen, sich überall in Leicester zurechtfinden zu können, aber nun hatte ihm diese Stadt das Gegenteil bewiesen. 

Als er einen Schatten aus der Ferne bemerkte, blieb er stehen. Erst als er Mary erkannte, atmete er erleichtert aus. "Weißt du annähernd, wie man dieses schreckliche grüne Ding hier verlässt?", rief er ihr zu. 

Sie lachte laut. "Dieses schreckliche grüne Ding ist der Watermead Park und höchstwahrscheinlich der schönste Fleck Leicesters! Du verstehst wirklich nichts von diesem Ort." Sie schüttelte gespielt den Kopf. 

"Woher weißt du überhaupt, dass ich hier bin?" Er war verwundert. 

"Paul hat sich schon gedacht, dass du dich nicht zurechtfindest. Allerdings hatte er vermutet, du würdest dich frühestens auf dem Rückweg verirren. Damit hätte ich wohl diese kleine Wette gewonnen, was heißt, dass du dich am Sonntag auf eine besonders lange Teatime freuen kannst." Mary grinste von einem Ohr zum anderen. 

Einen Moment lang starrte er wütend in die Ferne, dann begann auch er zu lächeln. Seit er mit Mary zusammen war, erlaubten sie und Paul sich diese Scherze andauernd. Böse gemein war es nie, deshalb konnte er nie lange wütend sein. Er hatte sich erst an diese verschrobene Familie gewöhnen müssen, aber mittlerweile konnte er es sich kaum außerhalb dieses Bekanntenkreises vorstellen. 

Richard holte tief Luft. "Meine Frage war, ob Sie Einwände gegen meine Beziehung zu ihrer Enkelin haben." Nach etlichen Versuchen hatte er es endlich hinter sich gebracht. 

Paul blickte einen Moment lang irritiert drein, dann schmunzelte er. "Obwohl Sie wohl kaum meine Zustimmung bräuchten, ist es wohl besser, ich gebe sie Ihnen. Mary Eliza wird Sie zwar mit Sicherheit entweder in den Wahnsinn treiben oder verjagen, aber wenn Sie es versuchen möchten, hindere ich Sie nicht daran. Allerdings würde ich Sie warnen." 

"Ich ahne es schon. Ich soll Mary gut behandeln und bloß nicht irgendetwas Schlechtes tun." 

"Nein, erstens traue ich es Ihnen nicht einmal zu und zweitens würde ich ihr Veilchen auf dem Auge Strafe genug sein, wenn Sie nach dem Schlag nicht gar ein oder zwei Wochen im Krankenhaus landen. Ich wollte Sie auf etwas ganz anderes aufmerksam machen: Sie beißt. Den ersten Jungen, der sie küssen wollte, hat sie so stark gebissen, dass er sich einen Monat lang nicht in die Schule getraut hat." 

"Diesen Schritt haben wir schon hinter uns gebracht, also sollte diese Gefahr vorbei sein." Er war erleichtert, das Paul so gelassen reagiert hatte. 

"Weiter war sie meines Wissens bis jetzt nicht, warten Sie ab. Nicht, dass ich mir am Ende einen anderen Sergeant suchen muss, weil irgendetwas Unvorhergesehenes geschieht. Seien Sie einfach vorsichtig." Er lächelte ihm aufmunternd zu. "Noch bevor ich es vergesse: Eigentlich sind Sie gar keine schlechte Wahl. Wenn man bedenkt, dass die Frauen der Familie fast nur Verbrecher oder Polizisten heiraten, kann ich wohl heilfroh sein, dass es doch ein Polizist ist. Eine gute Partie ist heutzutage wirklich schlecht zu finden, gegen die anderen Kandidaten sind Sie gar nicht einmal so übel." 

Kurz lachte er auf, dann ging er auf Mary zu und legte ihr die Arme um die Schultern. Sie wiederum beugte sich nach vorne, bis ihre Lippen seine trafen. 

Was du niemals wissen wirstWo Geschichten leben. Entdecke jetzt