26 | Vittoria

309 25 5
                                    

Dante musste verdammt wütend sein. Ich wusste doch, wie er es hasste, wenn man nicht gehorchte!
Und ich behielt recht, denn er rief ununterbrochen auf meinem Telefon an. Was ich aber ignorierte, denn ich hatte keine Lust mit ihm zu reden.
Außer meinem Telefon hatte ich nichts bei mir und dann musste ich mir noch etwas für das Treffen mit meiner Tante einfallen lassen.
Ich schrieb ihr also, dass sie mich in dreißig Minuten in der Manchetti Villa treffen soll. Eine andere Option fiel mir auf die Schnelle nicht ein.
Einen kurzen Augenblick später kam auch schon ihre Antwort.
„Ich werde da sein! Bis dann." Wenn es gut läuft, reden wir nur und ich würde vielleicht erfahren, was mit meiner Familie ist. Wenn es schlecht läuft, bin ich vielleicht die nächste mit einer Kugel im Kopf.
Ich fuhr durch die Innenstadt Richtung Villa. Die Stille der Landstraße tat mir nicht gut. Dann war ich gezwungen an gestern zu denken. Und ich wollte nur einen Moment, nicht traurig sein.
Nachdem ich circa zwanzig Minuten unterwegs war, kam ich schon an der Villa an. Alles sah genauso aus wie beim letzten Mal und Vittoria schien auch noch nicht da zu sein.
Ich nutzte diesen Moment, um Aurelio zu antworten.
„Hallo Aurelio. Tut mir leid, dass ich jetzt erst antworte. Ich konnte einfach nicht. Danke, für alles. Ich wüsste nicht, was ich gestern sonst getan hätte.", schrieb ich kurz und sendete die Nachricht ab.
„Entschuldige dich nicht. Ich verstehe es. Kannst du dich etwas ausruhen?", antwortete er auch schon und gab mir ein beruhigendes Gefühl.
„Ich bin auf dem Weg zu einem Treffen! Ich muss einige Dinge klären! Ich wollte dir aber wenigstens meinen Dank für deine Taten aussprechen!", antwortete ich ihm erneut, als kurz darauf eine weitere Nachricht eintraf.
Diese musste allerdings bis später warten, da ich den Wagen meiner Tante in der Einfahrt sah!
Es war also so weit. Der Sprung ins Ungewisse. Und der Moment, an dem ich ihr, nach dem Verlust ihrer Söhne, in die Augen schauen musste.
Ich stieg aus, was sie mir gleichtat. Im ersten Moment fühlte es sich bedrohlich an. Ich war mir nicht sicher, ob sie wirklich allein war. Dann kam sie auf mich zu und umarmte mich.
Jetzt war ich restlos verwirrt. Was passierte hier. Sie umarmte die Frau, die ihren Sohn erschossen hat.
„Hallo, Emilia. Lang ist es her, dass wir miteinander persönlich sprechen konnten. Lass uns in den Gartengehen.", sagte sie erstaunlich ruhig zu mir und lief zum Garten voraus.
Ich war so durcheinander, dass ich kein Wort herausbrachte und ihr einfach folgte.
Angekommen im Garten, setzten wir uns an den Tisch, wo wir beide kurz schwiegen, bevor ich das Wort ergriff.
„Vittoria, ich kann nicht in Worte fassen, wie sehr mir dein Verlust leid tut. Und noch weniger, dass ich mit dafür verantwortlich bin. Ich kann mir nicht vorstellen wie du dich fühlst.", sprach ich entschuldigend und mit Tränen bedeckten Augen zu ihr.
Sie musste sichtlich ergriffen, einen Moment Luft holen, bevor sie sprach!
„Danke! Es ist das Schlimmste, was einer Mutter passieren kann. Ich muss meine beiden Söhne zu Grabe tragen. Ich werde nie wieder glücklich sein! Sie waren mein Glück. Denn ohne sie, wäre ich heute längst nicht mehr hier.", sprach sie, ohne den Blick von mir abzuwenden.
Ich versuchte, ihre Worte zu verarbeiten, aber da sprach sie weiter.
„Emilia, ich wäre heute nicht hier, wenn ich nicht wüsste, dass die Schuld nicht bei dir liegt. Du hast dir dieses Leben nicht gewünscht. Genauso wenig wie Santo oder ich! Leider ist Meo ganz wie sein Vater geworden!", blickte sie nun herab zu ihren Händen, die ineinander verschränkt waren.
„Was hat das zu bedeuten? Ich verstehe nichts mehr.", bat ich ahnungslos um eine Erklärung.
„Die Ehe zwischen deinem Onkel und mir ist arrangiert. Meine Eltern haben mich an seine Eltern verkauft, um ihre Schulden begleichen zu können. Und mein Schicksal war damit besiegelt. Ich hatte die Wahl mich anzupassen, und für Nachfolger zu sorgen, oder zu sterben.", erzählte sie mir diese Dinge mit einer Ruhe, als wäre es das Selbstverständlichste der Welt.
„Eine Zwangsehe.", flüsterte ich schockiert von ihrer Enthüllung, vor mich hin.
„Ich habe vieles über mich ergehen lassen müssen. Und als ich mit meinen Söhnen schwanger war, schwor ich mir, für sie ein besseres Leben zu wollen.
Und es fehlte ihnen an nichts. Leider veränderte sich Meo sehr, als Armando ihn in die Geschäfte einbezog. Santo ,mein kleiner Sonnenschein, hatte nie Interesse daran. Das machte mich glücklich.
Mir war allerdings auch bewusst, dass er nie den Respekt seines Vaters bekommen würde.", beschrieb sie mit einer Kälte in ihrer Stimme.
Allein bei der Erwähnung seines Namens, kamen mir weitere Tränen. Mein Herz zerbrach ein weiteres Mal.
„Es tut mir so unendlich Leid. Ich hätte ihn beschützen müssen.", entschuldigte ich mich unter Tränen.
„Emilia, ich bin hier, weil ich nicht will, dass das Gleiche mit dir passiert.
Was du vielleicht nicht weißt ist, dass ich deine Eltern immer bewundert und gemocht habe. Deine Mutter und ich pflegten sogar eine Freundschaft. Aber dein Onkel kontrolliert seitdem ich Achtzehn war, mein ganzes Leben. Dein Vater war zwar sein Bruder, aber er war ihm auch im Weg. Er kennt nichts anderes als Macht.
Und dafür geht er über Leichen!", gab sie mir unmissverständlich zu verstehen.
Und sie hatte recht, ich wusste nicht, dass sie mit meiner Mutter befreundet war. Ich kannte sie nur als die böse Tante. Aber jetzt verstand ich auch warum.
„Vittoria, weißt du wo die anderen sind? Und ob es ihnen gut geht?", wollte ich von ihr wissen.
„Er hält sie gefangen. Ich weiß aber nicht wo. Es geht ihnen soweit gut. Ich weiß allerdings nicht, wie lang er es dabei belassen wird. Und du solltest wissen, dass Flavio ihm hilft.", gab sie mir weitere Informationen, die mich zumindest für den Moment beruhigten.
Meiner Familie ist also noch nichts zugestoßen und dabei, musste es bleiben.
Mich wunderte es nicht im Geringsten, dass Flavio seine Finger im Spiel hatte. Er war seit geraumer Zeit der Handlanger meines Onkels.
Um ihn würde ich mich auch noch kümmern. Ich musste allerdings erst mal herausfinden, wo mein Onkel meine Familie gefangen hält. Und dann musste ich natürlich auch dafür sorgen, dass Santo ein anständiges Begräbnis bekommt.
„Vittoria, ich habe bereits von Dante und Luca erfahren, dass mein Onkel lediglich die Beisetzung für Meo plant. Wäre es für dich in Ordnung, wenn ich die Beerdigung für Santo ausrichte?", fragte ich vollkommen überfordert.
„Das wäre sehr schön, Emilia, auch wenn ich an diesem Tag wahrscheinlich nicht dabei sein kann.
Aber du wirst mir mit Sicherheit sagen, wo sein Grab sein wird. Und bitte vergiss niemals, wie sehr er dich geliebt hat. Du warst wie eine Schwester für ihn und er hat immer zu dir aufgesehen. Du bist stark Emilia und du wirst noch stärker sein müssen, um das hier durchzustehen.
Aber wenn du auf dich vertraust und nur dir vertraust, wird dir niemand etwas anhaben können.", nahm sie meine Hand in ihre, um sich dann von ihrem Stuhl zu erheben.
„Ich werde für uns stark sein und alle die, die sie uns viel zu früh genommen haben, zia!", versicherte ich ihr.
Sie nickte mir zu und wollte gerade gehen, da blieb sie aber stehen.
„Ich hoffe sehr, dass wir die Möglichkeit bekommen, all das hinter uns zu lassen.", sprach sie erneut zu mir und verließ den Garten.
Ich war so durcheinander. War das wirklich passiert? All die Jahre dachte ich, sie hasst mich. Und nun erfahre ich all diese Dinge.
Nach allem, was zuletzt geschehen war, gab sie mir aber eines: Hoffnung!

Remember my Name - Emilia d'Amico | Band 1Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt