44 | Gegen die Zeit - Aurelio

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Ein riesiger Conroy setzte sich in Bewegung. Ich war auf alles vorbereitet. Nur nicht darauf, was sie ihr in den letzten Stunden womöglich alles angetan hatten. Ich blickte hinaus in die Nacht und versuchte, einen klaren Gedanken zu fassen. Wie sonst sollte ich sie da rausholen?
Die Fahrt dauerte eine gefühlte Ewigkeit, also überprüfte ich ein weiteres Mal meine Waffen. Heute Nacht würde es Tote geben. Das war sicher. Fest stand aber nicht, auf welcher Seite. Sie hatten uns angerufen, also waren sie ebenso vorbereitet, oder sogar im Vorteil. Bevor ich allerdings darüber nachdenken konnte, klingelte erneut mein Telefon.
„Luca? Was ist los?"
Selbst durchs Telefon konnte ich unser aller Anspannung spüren. Nicht, weil wir Angst vor dem Tod hatten. Wir wollten nur, dass Emilia lebt und es ihr gut geht.
„Dante hört mit. Wir sind gleich da. Aurelio, du und deine Männer gehen von der Ostseite rein. Wir verteilen uns auf den Nord- und Südteil des Lagers. Und ganz egal, was wir dort vorfinden. Ihr müsst euch zusammenreißen!"
Weder Dante noch ich antworteten auf seine kleine Rede.
„Habt ihr das verstanden?", brüllte er uns durchs Telefon an.
„Ja!", antwortete ich ihm knapp und legte auf. Es waren nur noch wenige hundert Meter und das Lager war bereits aus der Ferne zu sehen. Um diese Uhrzeit herrschte Hochbetrieb am Hafen.
Die Wahrscheinlichkeit, dass jemand die Polizei rief, war gering, denn hier regierten wir. Und besonders ich hatte einen guten Draht zur Polizei. Sie taten verwerfliche Dinge in meinem Club, die sie nicht nur ihren Job kosten würden. Im Gegenzug sahen sie weg, wenn es um das Gesetz ging. So läuft das in unserer Welt. Solang jemand davon profitiert, läuft das Geschäft. Außer sie werden gierig. So wie ein Petrow. Dann endet es genau hier.
„Wir sind da!" Als mein Blick über das Gelände schweifte, sah ich nicht ein einziges Fahrzeug hier stehen. Ich wählte sofort die Nummer von Luca, um die Lage zu checken.
„Keine Autos?" -
„Nein, hier ist alles ruhig und bei Dante auch."
Ich dachte kurz nach und korrigierte unseren Plan. „Hört zu! Das ist kein Hinterhalt im eigentlichen Sinne. Petrow und seine Männer sind weg. Das Spiel hat er vor einiger Zeit schon mal abgezogen. Im Gebäude werden allerdings ein paar Männer auf uns warten. Der Wichser macht sich nicht selbst die Hände schmutzig, weil er weiß, dass er mit einer Kugel in seinem Kopf enden würde."
Kurz herrschte Stille, als dann Dante das Wort ergriff. Und ohne zu wissen, was er wollte, baute sich sofort diese Wut in mir auf. Auch wenn er sie, wie wir alle retten will, wollte ich ihn nicht in ihrer Nähe sehen.
„Sagt sofort Bescheid, wenn eure Seiten sauber sind. Dann suchen wir das gesamte Lager nach ihr ab."
„Gut, so machen wir es."
Das Gespräch wurde wegen der Kommunikation nicht beendet, also stellte ich es auf laut und steckte es in meine Tasche. Toni, der neben uns saß, nickte mir zu. „Es geht los!" Wir teilten uns auf und auf den Dächern waren die ersten Männer von Petrow zu sehen.
Toni schaltete sie mit einem Kopfschuss aus. Er war ein verdammt guter Sniper. Wenn nicht sogar der Beste, den ich kannte.
„Das Dach auf der Nordseite ist sauber. Wir gehen rein."
„Hier ist auch alles sauber.", antworteten die beiden. Unsere erste Hürde war also geschafft. Im inneren des Lagers verteilten sich unsere Männer auf die gesamte Fläche und aus allen Richtungen ertönten Schüsse. Wo man auch hinsah, fielen Petrows Männer von den Plattformen. Dann kehrte Stille ein. Hier unten und auch alle oberen Bereiche wurden überprüft. Wir hatten sie erfolgreich ausgelöscht.
„Sucht sie! Wenn ihr was habt, sagt Bescheid. Das gilt besonders für dich, Dante."
Der antwortete mir nicht mal, was wohl auch besser war. Sonst würde womöglich er heute noch mit einer Kugel enden.

Alle suchten in jedem Winkel des Gebäudes nach Emilia. Sie war nirgends.
„Was ist, wenn sie gar nicht hier ist?" Auch Luca schnaufte ins Telefon, vollkommen frustriert darüber, dass wir sie noch nicht gefunden hatten.
„Sie muss hier irgendwo sein. Ohne Grund opfert Petrow keine Männer. Dafür hat nicht mal der Russe genügend zur Verfügung."
Ausnahmsweise mal ein guter Einwand von Dante. „Wir teilen uns nochmal auf und suchen alles ein zweites Mal ab. Los!"
Ich bahnte mir den Weg zu einem kleinen Flur. Hier waren keine Räume zu sehen, was mich stutzig machte, denn der Flur führte sonst nirgends hin. Als ich wieder umdrehte, sah ich, wie jemand eine Klappe öffnete. Sofort zog ich meine Waffe und schoss ihm von hinten in den Kopf.
„Es gibt eine Keller Ebene. Ich geh runter. Kommt sofort in den Nord-Ost-Flur."
Ich öffnete die Klappe und zog den Fettsack, den ich eben erschossen hatte raus. Meine Waffe zielte weiterhin nach vorne, falls noch mehr von Ihnen hier unten waren. Nachdem ich einige Meter gelaufen war, konnte ich Entwarnung geben.
„Das war der Letzte. Ich fange an zu suchen."
„Wir sind gleich da.", antwortet Luca, der seiner Atmung nach zu urteilen, hier her rannte.
Hier unten war es stockdunkel. Ich schaltete die Taschenlampe an meinem Telefon ein und durchquerte Raum um Raum in diesem riesigen Kellerloch. Wenn selbst ich nicht wissen wollte, was hier alles schon vor sich ging, hieß das einiges. Ich entschied mich, die Seite zu wechseln, als mir endlich ein paar Männer entgegenkamen.
„Ihr sucht in dieser Richtung. Ich gehe hier lang".
„Luca und ich sind jetzt im Westflügel. Immer dem Geruch nach.", meldete sich nun auch Dante.
„Wo bist du nur, tesoro?", flüsterte ich vor mich hin. Und dann erkannte ich in all der Dunkelheit einen Lichtspalt am Ende des Flurs. Bevor ich aber jetzt alle unnötig aufscheuchte, wollte ich erstmal selbst nachsehen.
Ich hielt vor einer großen Stahltür, die in einen weiteren Raum führte. Hier war definitiv jemand gewesen. Neben dieser kleinen Leuchte, Standen Flachmänner. Ich nahm mir zuerst die linke Seite vor. Es sah aus, wie ein kleines Gefängnis, mit den Gittertüren. Hier war sie auch nicht.
„Fuck!! Emilia, wenn du mich hören kannst, mach dich bitte bemerkbar." Nichts. Es blieb stumm. Also lief ich auf die andere Seite und leuchtete in jede dieser Zellen. Ich hatte schon fast die Hoffnung aufgegeben, da nur noch eine Zelle übrig blieb. Ich leuchtete rein und mir blieb auf der Stelle die Luft weg. Da lag sie. Ich hatte sie endlich gefunden! Ihr Anblick zerschmetterte mein Herz.
Wie ein Tier haben sie sie dort festgebunden. Das Leben aus ihrem Körper gefoltert. Sofort rannte ich zu ihr. Ich traute mich gar nicht sie anzufassen. Sie lag in einer Pfütze ihres eigenen Blutes.

„Ich hab sie!", rief ich in das Telefon. Ich nahm sie in meine Arme und überprüfte ihren Puls, der kaum noch zu fühlen war.
Hinter mir kamen Dante und Luca rein gelaufen. Auch sie hatten nicht mit diesem Anblick gerechnet.
„Ist sie ...?"
„Sie lebt. Aber nicht mehr lange, wenn wir sie hier nicht raus bringen."
„Ich trage sie zum Auto. Ihr zwei fahrt."
Ich wartete gar nicht erst auf eine Antwort und hob sie hoch. „Ich hab dich, il mio sole. Wir bringen dich hier raus. Hörst du?".
Luca und Dante liefen mir voraus und öffneten die Tür zur Rückbank. Vorsichtig legte ich sie hinten ins Auto. Ich hob ihren Kopf an und schob mich darunter auf den Sitz. Ich wollte sie keine Sekunde mehr alleine lassen.
Ich habe viel in meinem Leben gesehen. Viele Tote und habe selbst genügend Menschen ins Grab gebracht. Das hat mich alles kalt gelassen. Sie aber hier so leblos auf meinen Beinen liegen zu haben, ist mein Abgrund.
„Du musst jetzt kämpfen, Tesoro! Sei stark. Ich brauche dich!" Meine Atmung ging schwer, aber wenn ich jetzt von ihr verlangte stark zu sein, musste ich es auch für sie sein. Ich wollte ihr nicht weh tun, also streichelte ich sanft über ihren Kopf.
Im Auto herrschte Stille. Mir war bewusst, dass es besonders für Dante nicht leicht war. Ich konnte ihn wirklich verstehen. Aber er musste verstehen, was er ihr angetan hat.
Luca drückte noch mehr aufs Gas und wenige Minuten später, hielt er den Wagen mit einer Vollbremsung, direkt vor dem Eingang der Notaufnahme an.
Wir stiegen aus und Luca gab dem Personal bescheid, dass wir dringend Hilfe brauchten. Wieder war ich es, der sie jetzt auch aus dem Auto raus hob. Und dann passierte etwas, womit ich ehrlich gesagt schon nicht mehr gerechnet hatte. Sie öffnete ihre Augen und sah direkt in meine. Diese Leere brach mir das Herz. Ein paar Ärzte kamen mit einer Trage raus gelaufen, auf die ich sie behutsam ablegen konnte.
„Die Ärzte werden dir jetzt helfen und ich werde nicht von deiner Seite weichen, Tesoro. Luca und Dante sind auch hier."
Ich wollte sie wissen lassen, dass sie nicht allein ist. Plötzlich griff sie nach meiner Hand und begann zu flüstern. Ihre Stimme war so gebrochen. Diese Bastarde hatten sie zerstört.
„Du musst dich jetzt ausruhen, Emilia."
Aber da packte sie nochmal meine Hand und flüsterte jetzt so, dass ich sie gerade so verstehen konnte.
„Ich dachte nur noch an zwei Dinge. Bald würde ich meine Eltern und Santo wiedersehen und zu deinem Schutzengel werden." Und dann verließ die Kraft sie schon wieder.
„Wir müssen sie in den OP bringen. Jetzt!", unterbrach uns einer der Ärzte. Aber nicht, bevor ihr nicht dieses Versprechen gab.
„Ich werde sie finden. Jeden Einzelnen, der dir das angetan hat. Ich werde ihre ganz persönliche Hölle. Das schwöre ich dir bei meinem Leben, Tesoro!"

Remember my Name - Emilia d'Amico | Band 1Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt