20 - Hast du dich etwa versteckt?

346 60 36
                                    

Ich sah ihn völlig verblüfft an, ehe ich mich räusperte und nickte. 
"J-Ja, so schlimm war's nicht", antwortete ich und zeigte ihm meine Handflächen. Harry musterte sie, nickte dann leicht und sah mir in die Augen.
"Du hast dir Sorgen gemacht", stellte ich mit leiser Stimme fest. 
Er nickte leicht. "Natürlich, Louis." 

In seinem Gesichtsausdruck konnte ich Müdigkeit erkennen, fragte mich augenblicklich, ob er gerade erst wieder von seiner Mutter zurück gekommen war. 
"Wie war es in Holmes Chapel?" fragte ich ihn deshalb unsicher. 
"Schön", antwortete er schlicht und sah an mir vorbei in mein Zimmer, als es darin knallte. 
"Das ist Niall!" sagte ich eilig, denn ich hatte Angst davor, dass er vielleicht dachte, dass es sich um Zayn handeln könnte. Ich wollte keine weiteren Missverständnisse mehr. 
"Hey Harry!" rief mein bester Freund gleich darauf. Innerlich dankte ich ihm sofort dafür, äußerlich versuchte ich mir das nicht anmerken zu lassen.
Harry's Mund umspielte ein kleines Lächeln, dass jedoch gleich wieder verstand. "Ich wollte nur sicher gehen, dass alles okay ist. Ich geh dann wieder", sagte er jedoch. 
Bittend sah ich ihn an. "Bitte, bleib doch." 
Er schüttelte den Kopf. "Lou, was ich gesagt habe, gilt weiterhin. Melde dich bei mir, wenn du weißt, was du willst." 

Er ging und ich blieb im Türrahmen und sah ihm nach, schluckte leicht, konnte mich jedoch nicht bewegen. Wieso war ich so verdammt ängstlich? Er war hierher gekommen um nach mir zu sehen, das hatte bis auf Niall nie jemand für mich getan, der nicht zur Familie gehörte. Auch Nick nicht. 
Doch ich schloss die Tür und drehte mich um, lehnte mich mit dem Rücken dagegen und sah Niall an, dessen Ausdruck pure Genervtheit ausstrahlte. 
"Bist du eigentlich wirklich so dumm?" fragte er mich. 
Ich murrte leise und starrte auf meine Füße. "Wenn er vor mir steht, kriege ich keinen Ton raus. Ich weiß doch auch nicht", sagte ich leise. 
"Wieso schreibst du's nicht auf?" fragte Niall mich.
Nachdenklich hing mein Blick auf dem Boden. Aufschreiben war keine schlechte Idee, es war sogar eine verdammt gute. 

Ich stieß mich von der Tür ab, lief zu meinem Schreibtisch und nahm mir einen Stift, sowie einen Block. Damit bewaffnet warf ich mich neben Niall aufs Bett und sah ihn an. "Ich möchte allein sein."
Er lachte und nickte. "Soll ich danach Korrektur lesen?" fragte er frech.
"Ich denke, korrekte Rechtschreibung kriege ich gerade noch so hin!" antwortete ich und lächelte Niall an, denn ich hatte neuen Mut gefasst. Auch wenn es vielleicht für andere albern war, ich war mir sicher, dass ich die Worte besser aufschreiben konnte, als sie zu sagen. 
Niall verabschiedete sich von mir und ich trank die Bierflasche eilig aus, dann begann ich zu schreiben. 

Lieber Harry,ich weiß gar nicht, wo ich anfangen soll, weil ich gerade überhaupt nicht weiß, wo wir stehen. Es fällt mir schwer, mit dir darüber zu reden, weil ich Angst habe. Ich habe Angst davor, verletzt zu werden. Und aus dieser Angst heraus habe ich dich verletzt.Harry, ich habe Zayn zur gleichen Zeit kennengelernt, doch schon nach dem ersten Date mit dir wusste ich, dass ich nur Augen für dich habe. Ich habe ihm gesagt, dass ich kein Interesse habe. Doch das wollte er nicht akzeptieren. Er wollte nicht aufgeben. Das Bild, was sich vor deinem Auge abgespielt hat, war sein Versuch, einen Keil zwischen uns zu treiben, doch das werde ich nicht zulassen.Ich habe mich beim Spiel nur so dumm angestellt, weil meine Gedanken ausschließlich bei dir waren. Die Zeit ohne dich war furchtbar und ich habe gemerkt, wie sehr ich dich vermisst habe. Ich möchte dich nicht mehr vermissen. Ich möchte bei dir sein. Du kannst nichts für meine Vorgeschichte, aber meine Vorgeschichte sorgt dafür, dass ich länger brauche, als andere Menschen. Du bist mir wichtig und ich werde nichts tun, was dich verletzen könnte. Ich bin nicht einfach, aber ich bin mir sicher, dass wir es gemeinsam schaffen können. Wenn du dazu bereit bist und mich noch nicht vergessen hast.Dein Lou


Ich las die Zeilen und schämte mich für mich selbst. Ich rief Niall an.
"Schon fertig?" fragte er, ich stellte auf Lautsprecher und ließ das Handy in meinen Schoß fallen. "Ich denke, niemand hat je etwas Peinlicheres geschrieben", antwortete ich schlicht. 
Niall lachte, dann hörte ich eine Tür zufallen. 
"Bist du bei dir?" fragte ich ihn. Er bestätigte es mir und ich stand auf, faltete den Brief und zog mir meine Schuhe an.
Während wir weiter sprachen, lief ich in die Etage unter mir und klopfte bei ihm. 
"Moment, Lou. Es hat geklopft." 
Kurz darauf öffnete er die Tür, sah mich zunächst ungläubig an und verdrehte dann die Augen. 
"Ich rate mal wild ins Blaue hinein, ich soll ihm den Zettel geben?" fragte er genervt. 
Ich nickte fest. "Ja, bitte." 

Er verdrehte die Augen erneut, ehe er mir den Zettel aus der Hand zog und ihn öffnete.
"Eh!" rief ich und schnellte nach vorn, doch er hob den Arm in die Luft und sah mich ernst an. Ich erwiderte den Blick schmollend. 
"Du bist fies." 
"Ich will wenigstens wissen, wie sehr du dich blamieren wirst", entgegnete er trocken, drehte sich von mir weg und las die Zeilen durch. Ich lief automatisch hochrot an und verschränkte die Arme. Manchmal konnte ich meinen besten Freund einfach nicht ausstehen.
Als er fertig war, sah er mich an und lächelte. "Ist doch niedlich!" 
Schnaubend verdrehte ich die Augen. "Also, gibst du ihm den Brief?" fragte ich ihn.
Er nickte. "Na klar." 
Wir sahen uns an und ich hob auffordernd die Augenbrauen, woraufhin er genervt aufstöhnte und sich die Schuhe anzog.
"Du bist so ein Idiot!" maulte er, lief an mir vorbei und stiefelte mit dem Brief in der Hand auf den Flur. Ich folgte ihm und er sah zu mir. "Du kommst ernsthaft mit?" 
Wieder nickte ich. "Ich verstecke mich hinter der Ecke, keine Sorge", antwortete ich. 

Niall lachte. "Ich mach mir mehr Sorgen um deinen Geisteszustand. Sollen wir vielleicht noch stille Post spielen?" 
"Niall..." maulte ich und wir liefen schweigend zum Wohnheim nebenan, in dem Harry sein Zimmer hatte. Als wir auf seiner Etage ankamen, blieb ich an der Ecke stehen und sah nervös zu Niall. 
Er nickte mir zu, ging zu Harry's Zimmer und klopfte. 

Nervös kaute ich auf meinen Nägeln und als sich die Tür öffnete, rutschte mir das Herz in die Hose. 
"Was machst du denn hier?" hörte ich Harry, seine Stimme ganz verschlafen. Ich biss mir auf die Lippe, es war schon spät abends. Wir hatten ihn mit der Aktion geweckt. Automatisch fühlte ich mich schlecht. 
"Lou hat dir einen Brief geschrieben. Den würde ich dir gern übergeben", hörte ich Niall sagen.
"Wieso gibst du ihn mir?" 
Niall's Seufzen ertönte. "Hör mal, mit Lou braucht man hin und wieder Geduld. Er hat viel durch. Nimm's ihm bitte nicht übel. Ich weiß, sowas ist anstrengend, aber er ist ein ganz, ganz toller Mensch und er ist wirklich kein Arschloch." 
Ein Lächeln schlich sich auf meine Lippen. Ich musste mich unbedingt bei ihm bedanken, ich hatte ihn wirklich überhaupt nicht verdient. 

Eine Weile war es still, dann hörte ich ein Räuspern. "Er hat das geschrieben?" hörte ich Harry.
"Ja, ganz alleine. Wie ein großer Junge!" scherzte Niall und Harry lachte leise. 
"Das ist echt niedlich. Aber es beantwortet mir leider noch immer nicht meine Frage." 
Mein Magen verzog sich und ich seufzte innerlich, kaute auf meiner Lippe herum. Der Brief war also doch eine bescheuerte Idee gewesen und hatte rein gar nichts gebracht. Ich hatte mich zum Affen gemacht vor ihm. 
Kurz entschlossen trat ich aus meinem Versteck hervor und ging mit festen Schritten auf ihn zu. Harry sah mich überrascht an, hob dann eine Augenbraue. 
"Hast du dich etwa versteckt?" 

"Harry, bitte!" Ich überging seine Frage und stellte mich vor ihn. "Ich weiß, ich bin irgendwie kompliziert, aber du fehlst mir!" 
Ich sah ihn betrübt an und er seufzte leise, ehe er zurück auf den Brief in seinen Händen blickte. "Man, Lou", murmelte er, ließ mein Herz gleich wieder aussetzen. 
Niall klopfte mir auf den Rücken. "Ich habe meinen Teil getan. Jetzt macht ihr euren!" sagte er und lächelte mich aufmunternd an, dann verschwand er und ließ uns allein.
Bedrückt sah ich zu Harry, der mich wortlos musterte. 
"Ich hab mir heute vorgestellt, was wäre, wenn ich dich mit einem anderen sehen würde. Es hat mir nicht gefallen, es hat mir so gar nicht gefallen", sagte ich zu ihm.
"Dann weißt du mal, wie ich mich fühle", konterte er trocken. 
Ich nickte leicht und atmete tief durch. "Können wir diese Auszeit nicht einfach beenden? Was ist, wenn du in der Zeit jemand anderen siehst und der gefällt dir besser? Dann habe ich keine Chance mehr, dir noch mehr peinliche Briefe zu schreiben!" 

Nun musste er leicht lachen und ich verzog das Gesicht zu einer Schnute. "Ich verspreche dir, dass ich keinen anderen date, nicht einmal angucke. Ehrlich, Harry. Ich habe dir schon so viel erzählt, was niemand anderes weiß! Wenn du willst, lese ich den bescheuerten Brief in der nächsten Vorlesung vor, damit du mir glaubst!" rief ich aus. "Müsstest du ja dann, niemand macht sich freiwillig so zum Affen", fügte ich deutlich leiser hinzu. 

Sein Widerstand bröckelte, eine Sekunde später stahl sich ein Lächeln auf sein Gesicht und er schüttelte den Kopf.
"Deine Schwester war vorhin auch schon hier."
"Wie bitte?" fragte ich entgeistert, woraufhin er nickte. "Hat mir erzählt, dass ich ganz schön blöd wäre, wenn ich dich fallen lassen würde."
Ich verzog das Gesicht, sah ihm in die Augen. "Ich fände das auch ganz schön blöd", murmelte ich kaum hörbar, was ihm ein Grinsen entlockte. 
"Komm schon her!" sagte er, zog mich an sich und verband unsere Lippen zu einem Kuss, den ich nur allzu gern erwiderte und meine Arme dabei um ihn schlang. 
Er zog mich an sich, löste den Kuss, blieb jedoch nah an meinem Mund dabei. "
"Ich hab dich auch vermisst..." flüsterte er. 




Tangled Hearts | L.S.Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt