Zwischenspiel: Eine neue Realität

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Das prachtvolle Kleid war von noch dunklerem Schwarz als ihr Haar.
Der Soff schien alles an Licht zu verschlucken, glich einer Nacht ohne Sterne. Wie eine zweite Haut schmiegte sich die Korsage an ihren Oberkörper und betonte ihre weiblichen Rundungen. Ihre Arme wurden von schwarzer, transparenter Spitze bedeckt. Als sich Amberly Blackheart vor dem hohen, in Blattgold eingefassten Spiegel im Kreis drehte, schwang der ausladende und Fußknöchel lange Rock erstaunlich leicht um ihre Beine. Amberlys Hände strichen über eine der vielen aufgestickten Rosen. Dabei begleitete ein leichtes Zittern ihre Finger. Durch die leuchtende, dunkelrote Farbe hoben sich die Blumen, die sie an die Farbe von Blut erinnerten, gut sichtbar vom ansonsten schlicht gearbeiteten Kleid ab.

Es war das erste Mal, dass die Hexe in die Farben der Familie Vandeleur gekleidet war. Dieses Kleid signalisierte ihr, dass es Zeit war, sich von allem Vertrauten zu verabschieden. Niemandem würde es erlaubt sein, sie in ihr neues Heim zu begleiten.
Von dieser Forderung waren die Wölfe nicht abgewichen.
Mit einem tiefen Atemzug wand sich Amberly vom Spiegel ab. Sie konnte den tieftraurigen Schimmer in ihren Augen nicht mehr ertragen. Es wurde so erschreckend real, wenn sie diesen sah. Entschlossen ergriffen ihre Hände den bis zum Boden reichenden schweren roten Umgang. Seidig weich umhüllte er ihre Gestalt. Mit festen Schritten verließ die junge Frau im Anschluss ihr Gemach.                                        
Ließ nicht zu, dass die Furcht in ihrem Herzen weiterwachsen konnte.

Als Amberly den mit grauen Steinen gepflasterten Innenhof betrat, wurde sie bereits erwartet. Esmeralda und auch Dilara standen neben einer schwarzen Kutsche. Beim Anblick der beiden Frauen wurde der Kloß in Amberlys Hals gar riesig. Tapfer kämpfte sie gegen die Tränen an.
Sie wollte nicht vor den Augen ihrer Schwester zusammenbrechen.

Dicht vor ihrer Tante blieb sie stehen. Diese begutachtete ihre Erscheinung mit dunkelbraunen Augen. Ein stolzes Lächeln erschien auf ihrem Gesicht, während sie begann, Amberlys roten Umhang zurechtzurücken. Dann blickte sie der jungen Hexe fest in die Augen, „Der Werwolf wird ganz hingerissen von dir sein. Er wird dir keinen Wunsch abschlagen können. Du wirst ihn in diesem Kleid verzaubern, mein liebes Kind."
Aus Esmeraldas Mund klangen die Worte so leicht. Doch Amberly befürchtet, dass ihre liebreizende Erscheinung allein nicht ausreichen würde, um das Herz eines Werwolfs zu erweichen. Sie würde ihre Abneigung und den über die Jahre gewachsenen Hass nicht so leicht hinter einem tiefen Augenaufschlag verstecken können.
Aber wenn sie am Leben bleiben wollte, musste sie genau das versuchen.

Die goldene Kette lag kühl auf ihrer Haut, als Esmeralda sie ihr umlegte. Nur der gläserne Anhänger in Form eines Schmetterlings gab eine beständige Wärme an ihre Haut ab. Amberlys Finger wollten gerade über das kostbare Schmuckstück gleiten, als ihre Tante sie in eine feste Umarmung zog.
Dicht an ihrem Ohr vernahm die junge Hexe ihre letzten Worte, „Gebrauche die Magie darin klug. Wir wissen nicht, ob es möglich ist, dir nochmals etwas zukommen zu lassen."               
Amberly nickte hastig mit ihrem Kopf. „Versprich mir, dass du die Kette niemals ablegst! Die Werwölfe werden sonst merken, dass sie betrogen worden!"                                  Als Amberly ihr jetzt antwortete, war ihre sichere Stimme für sie selbst eine Überraschung, „Ich verspreche es!"

Die Verabschiedung von Dilara war umso vieles schmerzhafter. Ganz fest hatte die Jüngere ihre Arme um Amberlys Mitte geschlungen. Ihr Kopf ruhte an ihrer Schulter. Amberly spürte, wie sehr ihre Schwester bebte, spürte jeden ihrer leisen Schluchzer.
Es verlangte ihr alles an Selbstbeherrschung ab, als sie Dilara sanft ein Stück von sich fortschob. Gerade so weit, dass sie in ein fleckiges Gesicht mit nassen Wangen blicken konnte. Mit einem zittrigen Luftholen legte sie ihre beiden Hände auf den Wangen von Dilara ab.
Amberlys Stimme wurde zu einem zittrigen Wispern, „Ich werde dich immer im Herzen tragen. Und eines fernen Tages werden wir wieder Seite an Seite über den Sand laufen."
Die junge Hexe spürte das schwache Nicken unter ihren Fingern.
Amberly schaffte es, sich mit einem zuversichtlichen Lächeln auf den Lippen von ihr abzuwenden.
Ihr Inneres fühlte sich dabei an, als wolle es entzweibrechen.
Die junge Frau stieg mit zittrigen Beinen in die Kutsche.

The Tale of Moonlight and Wild Roses Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt