Schweigend führte der Werwolf Amberly durch die breiten Flure seines Zuhauses. Mit gerafftem Rock folgte sie seinen zügigen Schritten schließlich eine Wendeltreppe hinauf. Am oberen Ende stand eine dunkle Holztüre schon weit offen. Cassian wartete davor mit ineinander verschränkten Händen auf sie.
„Euer Gepäck sollte bereits eingetroffen sein. In einer Stunde werdet Ihr gemeinsam mit dem Rudel zu Abend essen."
Amberly musste tief durchatmen.
Sie gedachte nicht in Gesellschaft dieser Wölfe ihr Abendessen einzunehmen. Nach der durchaus anstrengenden Kutschfahrt hatte sie gehofft, den Abend für sich alleine zu haben.
Um ihren Willen zu unterstreichen, streckte sie den Rücken durch und sprach mit fester Stimme, „Danke für die Einladung, aber ich werde alleine speisen!"Die Schwarzhaarige hatte sich schon fast zur Gänze an Cassians hochgewachsener Gestalt vorbei geschoben, als kräftige Finger ihr Handgelenk umschlossen.
Sein Griff war unnachgiebig.
Trotzdem kam es Amberly so vor, als achtete der Werwolf darauf, ihr dabei keine Schmerzen zuzufügen. Kurz spielte sie mit dem Gedanken, zu versuchen sich loszureißen. Aber ein Blick hinunter zu seinen Fingern und sie verwarf diese Idee mit einem heftigen Ausatmen.
Stattdessen suchten ihre aufblitzenden grauen Augen Cassians Blick. Zeigten dem Werwolf somit deutlich, wie unerwünscht seine jetzige Berührung ihr doch war.🩶
Ohne seinen Griff zu lockern, erwiderte Cassian ihren Blick. Am Rande bemerkte er dabei, ihren veränderten Herzschlag. Sein Wolf zwang ihn, seine Augen für die Dauer einer Ewigkeit, die doch nur eine Sekunde war, auf ihrer Halsschlagader zu verharren.
Gebannt sahen Wolf und Mann dem flatternden Pulsieren zu.
Schließlich schaffte es Cassian, seinem Wolf nicht mehr gar so viel Raum zu gewähren. Die ganze Aufmerksamkeit des Mannes ruhte wieder auf dem Paar grauer Augen direkt vor ihm.
Cassian erwiderte ihren glühenden Blick inzwischen mit derselben Intensität.
Keiner von beiden wollte nachgeben.Amberly Blackheart hob sogar trotzig ihr Kinn noch weiter an.
Mit ihrer anmutigen Statur, dem stolz erhobenen Kinn und ihren flammenden Augen, erinnerte sie wahrhaft an eine Königin. Vielleicht könnten sich auch die Werwölfe, für welche Stärke ein Grundpfeiler ihrer Existenz darstellte, sich der Stärke der jungen Frau unterwerfen.
So viele Möglichkeiten und die winzigste Entscheidung könnte alles ändern. Der Flügelschlag eines Schmetterlings konnte einen Sturm entfachen.Es war wohl diese herausfordernde Geste, die den Werwolf dazu brachte, sich ein ganzes Stück zu ihr herunter zu beugen. Als Cassian jetzt zu ihr sprach, wurde seine Stimme von einem dunkeln Grollen begleitet, „Das war weder eine Einladung noch eine Bitte. Es war ein Befehl!"
Sein Gesicht war der Hexe so nah, dass er beim Einatmen unwillkürlich auch den Duft ihrer Haut aufnahm.
Nach kurzem Zögern erlaubte Cassian auch seinem Wolf den lieblichen Duft nach Vanille und Rosenblüten zu inhalieren.
Es konnte für den Werwolf nur von Vorteil sein, den Geruch des Feindes zu kennen.Auch wenn Cassian ihr Unbehagen über seine Nähe spüren konnte, wich die Hexe keinen Zentimeter vor ihm zurück. Es war diese Furchtlosigkeit, die ihn dazu brachte, nochmals Worte an sie zu richten. Direkt an Amberlys Ohr und dieses mal in deutlich sanfterer Tonlage. Das dunkle Grollen suchte man vergebens, „Ihr solltet diesem Befehl besser folgeleisten, mein Bruder duldet keinen Ungehorsam."
Er konnte hören, wie sie scharf Luft holte, sie wollte tatsächlich ansetzten und ihn unterbrechen. Da nahm der Druck seiner Finger auf ihrem Handgelenk merklich zu. Hektisch suchten Cassians Augen erneut die ihrigen. Als die Hexe allerdings kein wütendes blaues Glühen finden konnte, schloss sich ihr Mund wieder.
„Als Beta ist es meine Pflicht, mein Rudel zu beschützen. Ihr werdet in naher Zukunft ein Teil davon sein. Ich hoffe wirklich, Ihr nehmt Euch meine Warnung zu Herzen, Miss Blackheart!"Kaum hatten diese Worte Cassian Vandeleurs Lippen verlassen, gab er ihr Handgelenk frei. Ohne noch einmal zurückzublicken, begab sich der junge Mann zurück in das Untergeschoss.
Für eine lange Sekunde tanzte dabei noch Amberlys völlig verwirrte Gesichtszüge durch seinen Geist. Mit einem energischen Kopfschütteln schob Cassian ihr hübsches Antlitz schließlich zur Seite.
Er hatte nur seine Pflicht erfüllt.
Eine weitere Warnung würde die Hexe von ihm nicht zu erwarten haben.
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The Tale of Moonlight and Wild Roses
FantasyWie weit würdest du gehen, um jene zu beschützen, die du liebst? Mit jedem neuen Tag vergaß sein Herz mehr. Vergaß, wie ihr Haar mit Rosen geschmückt aussah. Vergaß, wie spielerisch ihre dunklen Augen seinen Blick eingefangen hatten. Erinnerte sic...