Gedankenverloren starrte ich auf die stürmische See hinaus. Der Wind peitschte um meine Ohren und ein Teil meiner Haare hatten sich schon lange aus meinem Zopf gelöst.
Ich griff mit nach einer der Strähnen und drehte sie zwischen meinen Fingern hin und her, während sich meine Gedanken um den Anblick, der sich mir bot kreisten. Irgendetwas war anders heute, doch ich konnte nicht ergründen, was es war. Die übliche Anzahl an Möwen kreiste über der See und auch die Wellen waren so hoch wie immer. Das einzig seltsame war...die Farbe, na klar! Normalerweise hatte es eine hellen Blauton, der an manchen Tagen schon fast ein wunderschönes Türkis annahm, doch heute sah das kühle Nass vor mir nicht sonderlich blau aus. Eine schwarze Masse erstreckte sich vor mir, nur der Helle Schaum auf den Wellen stach heraus.
Unruhig erhob ich mich von dem Ast, auf dem ich bis eben gesessen hatte und beeilte mich, unsere Siedlung zu erreichen. Es gab die verschiedensten Legenden und Lieder über eine Verfärbung des Wassers, aber ich konnte mich nicht erinnern, dass irgendwo die Farbe Schwarz vorkam. Der Älteste sollte auf jeden Fall über diesen Vorfall Bescheid wissen, wenn er es denn nicht schon tat. Das Beobachten der Sterne und des Wassers war so etwas wie meine liebste Beschäftigung, aber vielleicht auch nur, weil es hier so gut wie nichts anderes gab. Das Leben hier war friedlich, aber trüb.
Vor mir erhoben sich nun schon die ersten Dächer unserer kleinen Häuser und ich verlangsamte meine Bewegungen ein wenig, um nicht röchelnd vor Otis, dem Ältesten, zu stehen. Niemand wusste wie alt er wirklich war und ins Geheim hegte ich den Verdacht, dass er dies nicht einmal selbst mehr wusste.
"Theres, was ist denn passiert?", rechts von mir vernahm ich Otis Stimme, wie er nach mir rief. Ich machte auf dem Absatz kehrt und lief auf ihn zu. Seine warmen braunen Augen sahen mir verwundert entgegen und seine Stirn lag in Falten. Ich hatte es trotz der offensichtlichen Gefühle in seinem Gesicht noch nie geschafft, seine Laune vorherzusagen.
"Otis! Hast du das Wasser heute schon beobachtet? Es ist schwarz!", bevor ich überhaupt bei ihm angekommen war, sprudelten die Worte schon so aus mir heraus. Ich war nicht gerade dafür bekannt, lange ruhig zu sein. Augenblicklich veränderte sich der zuerst noch fragende Gesichtsausdruck des alten Mannes. Seine Lippen wiesen nun einen leicht geöffneten Spalt auf, seine Hände verkrampften sich und seine Knöchel wurden weiß. Am Anfang schien er noch wie erstarrt, doch dann überwand er den letzten Schritt zwischen uns und packte meine Schultern. Seine Fingernägel gruben sich durch den dünnen Stoff meines Oberteils und für einen Moment biss ich mir vor Schmerzen auf die Lippen.
Er starrte mir in die Augen, konnte sicherlich schon meine ganze Seele lesen und als ich tief zurück blickte, drehten seine geweiteten Pupillen mir den Magen um. Seine Reaktion auf meinen Bericht ließ mich nur noch besorgter werden. Otis schien sich gefangen zu haben, denn er räusperte sich und ließ ein wenig an Druck nach, machte jedoch nicht den Anschein, meine Schultern loszulassen: "Theres, mein Kind. Was hast du gesehen? Berichte es mir." Zögerlich senkte ich den Kopf und überlegte, wie ich das Gesehene am Besten formulieren könnte. "Ich war oben auf dem Hügel, auf meinem Ast. Ich habe wie jeden Tag das Meer beobachtet und es ist noch immer so stürmig wie immer, aber die Farbe Otis, die hat mich stutzig gemacht. Das Meer ist schwarz wie Pech." Noch immer standen wir so nah voreinander und ich spürte, wie sich sein Blick auf meinen Kopf brannte, denn ich hatte es noch nicht gewagt, die Augen von den kleinen Steinen unter unseren Füßen abzuwenden und Otis anzusehen.
Ich hatte Angst, gewaltige Angst, denn eine solche Reaktion von dem sonst so gelassenen Ältesten bedeutete selten etwas Gutes. Schließlich ließ er von mir ab und meine Schultern sanken herab, denn ein Stück Anspannung fiel von mir. Otis begann unruhig vor mir auf und ab zu stiefeln und murmelte Bruchstücke einer Legende vor sich hin. Zumindest klang alles, was ich aufschnappen konnte, danach. "Schwarzes Wasser...Winde sprechen...nein nein zu lange...Drachen und alte Herrscher...warnen warnen. Theres ruf den Rat zusammen, wir müssen sofort handeln!", die letzten Worte rief er mir im Gehen zu, denn Otis machte sich auf den Weg zu dem Herzstück unseres Dorfes, dem Rathaus.
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Ich hab die Geschichte vor drei Jahren geschrieben und mich nun endlich dazu überwunden, dass erste Kapitel umzuschreiben :) ich hoffe mal, es ist nicht mehr ganz so grauenvoll wie davor..

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Die Schwarze See || PAUSIERT
FantasíaDie Geschichte eines Königreiches im Untergang und gleichzeitig dem Erwachen einer vergangenen Liebe. 🤍Ausschnitt🤍 "Na komm noch ein Stück näher, Süße. Ich beiße nicht.", er sah mir direkt in die Seele und wie von selbst, begann ich immer näher zu...