Prolog

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Leise seufzend erhob sich Maxim vom breiten Fenstersims der Dachkammer, in der er fast schon so lange lebte, wie er sich erinnern konnte.

Als sein Vater noch bei ihm war, war alles einfacher gewesen, schöner.

Er vermisst ihn sehr, die gemeinsamen Ausflüge und vor allem das Kuscheln auf dem Sofa.

Seine Stiefmutter war mit ihren beiden Söhnen eingezogen, da war Maxim kaum sechs Jahre alt.

Zuerst hoffte er, sie würde ihm eine gute Mutter sein. An seine eigene konnte er sich nicht erinnern, sie starb, als er nur wenige Monate alt war.

Doch seine neue Mutter mochte ihn nicht, tat sich schwer, ihm gegenüber Zuneigung zu zeigen. Vor seinem Vater tat sie immer so, als würde sie ihn gern haben, war er weg, sah sie ihn kaum an und wenn doch, dann nur, um ihn zu bestrafen.

Maxim hielt den Mund, sagte nichts, weil sein Vater nach all den Jahren endlich wieder glücklich schien.

Kurz nach seinem siebten Geburtstag starb dann auch sein Vater.

Tagelang weinte er nur, aber anstatt ihn zu trösten, schob ihn Anne, seine Stiefmutter, so weit wie sie nur konnte ab. Seitdem lebte er nun hier unter dem Dach.

Nur Silver, sein kleiner silbergrauer Kater, leistete ihm Gesellschaft, war sein einziger Freund.

Nie durfte er jemanden zu sich nach Hause einladen, nie bei anderen übernachten. Mit jedem Jahr, das verging, zogen sich seine Schulfreunde immer mehr von ihm zurück. Er machte ihnen keine Vorwürfe, sie versuchten lange, an ihn heranzukommen, doch er blockte alles ab, wollte sie nicht in das hineinziehen, was sein Leben war.

Seit er die Schule beendet hatte, zwei Jahre früher als andere, weil er aufgrund seiner guten Zensuren zwei Klassen überspringen konnte, war er hier mehr oder weniger gefangen. Natürlich nicht mit Ketten oder vergitterten Fenstern, doch ohne Freunde, einen Ort, an den er gehen konnte, ohne Geld, was sollte er da schon tun, als zu bleiben? Niemand würde ihn aufnehmen und durchfüttern und schon gar nicht glauben, was ihm in seinem Elternhaus geschehen war. Nach außen war seine Familie in der ganzen Stadt hoch angesehen, viele verdankten ihnen ihren Arbeitsplatz.

Anne sorgte dafür, dass es für ihn hier genug zu tun gab, dachte sich immer etwas aus, um ihn zu drangsalieren.

Seine Stiefbrüder Drew und Adam, beide mehrere Jahre älter als er, waren aber noch schlimmer.

Maxim konnte sich nicht mehr genau daran erinnern, wie oft sie ihn schon zusammengeschlagen und misshandelt hatten. Vor ein paar Jahren, als sie herausfanden, dass er schwul war, nutzten sie dieses Wissen, um ihn noch mehr zu demütigen.

Von den beiden hasste er Adam am meisten, denn er überschritt eine Grenze. An Maxims 16. Geburtstag war er zu ihm gekommen, um ihm sein Geburtstagsgeschenk zu geben. Er verteilte nie Geschenke, vor allem nicht an ihn. Das machte Maxim hellhörig.

Gegen den gut trainierten jungen Mann, der Adam schon damals gewesen war, konnte sich der schmächtige, kleine Maxim nicht verteidigen.

So sehr er sich auch wehrte, um sich schlug und weinte, am Ende konnte er nichts tun, als daliegen und es über sich ergehen lassen, dass sich sein Stiefbruder an ihm verging. Als er verschwunden war, bespuckte ihn Adam und drohte ihm, es ja niemandem zu erzählen, so perversem Abschaum wie ihm würde man eh kein Wort glauben.

»Sei froh, dass ich der erste Kerl war, nun weißt du wenigstens, was ein richtiger Mann ist und wie er es dir am besten besorgt.« Breit grinsend ließ er ihn liegen.

Noch Tage danach war Maxim nicht in der Lage gewesen, sich zu setzen, hatte Schmerzen.

Bis zu dem Zeitpunkt, als er die Schule beendete, war es nicht mehr dazu gekommen, da seine Stiefmutter nicht wollte, dass es auffiel, sie wollte den guten Ruf wahren. Doch seitdem geschah es regelmäßig.

Aber anderweitig musste er ihm immer wieder zu Diensten sein. Maxim lernte, sich dabei weit weg zu träumen, sich Orte vorzustellen, an denen er gern wäre oder Menschen, mit denen er in diesen Augenblicken viel lieber zusammen sein würde. Es berührte ihn kaum noch, es gehörte schon zu lange zu seinem Leben dazu und die Kraft, sich zu wehren, besaß er nicht.

Ein kurzer Blick zur Uhr zeigte ihm, dass er sich beeilen musste. Drew würde wütend werden, wenn er sein Frühstück nicht pünktlich um 10 Uhr bekam.

Schnell gab er dem Kater einen leichten Kuss aufs Köpfchen, rannte zur Tür und dann die schier endlosen Stufen hinunter ins Erdgeschoss.

Die Küche lag im hinteren Teil des Hauses, sodass er selten einem der Gäste begegnete, die Anne oder einen seiner Stiefbrüder aufsuchten.

Mit dem voll beladenen Tablett ging er die große Haupttreppe hinauf in den ersten Stock, wobei er aufpassen musste, dass es ihm nicht aus der Hand glitt, denn das würde ihm wieder Ärger einhandeln. Sein Körper war, seit er das Frühstück hergerichtet hatte, seltsam angespannt, seine Sinne nahmen alles wahr und verursachten ihm Herzklopfen.

Je weiter er die Treppe hinauf ging, desto intensiver empfand er es.

Wurde er etwa krank?

Sein Prinz (Welt der Wandler 1) - Weg zur LiebeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt