Kapitel 4

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Sicht Miriam
Am nächsten Morgen bin ich früh wach und spiele noch ein wenig mit meinem Playmobil, bevor ich nach unten gehe, als ich Stimmen aus der Küche vernehme. Ich habe ein wenig Angst, dass sich, nachdem ich Steff nun alles erzählt habe, etwas geändert hat. Doch als ich in die Küche komme, begrüßen sie mich mit einem freundlichen “Guten Morgen”, welches ich ebenso erwidere. Wir frühstücken in Ruhe und planen den Tag ein wenig, wobei wir eher beschließen, den Tag ruhig angehen zu lassen. Nach dem Frühstück räumen wir gemeinsam auf.

Sicht Steff
Der Tag verläuft heimlich unspektakulär. Außer, dass wir eine Runde draußen spazieren gehen, machen wir nichts weiter produktives.
Am Abend, nachdem wir Miriam ins Bett gebracht haben, schauen wir noch eine Serie und ich checke meine Mails. Ich scrolle, durch einige Werbe-Mails, als ich eine E-Mail von Frau Ehl entdecke, die schon am Freitag gekommen zu sein scheint.

Sehr geehrte Frau Kloß, sehr geehrter Herr Stolle,

Ich war soeben im Krankenhaus, habe mir die Berichte angeschaut und mitgenommen. Ich würde gerne alles weitere mit Ihnen vor Ort besprechen. Können sie am Montag um 11 Uhr bei mir sein? Bitte geben Sie mir eine kurze Rückmeldung, ob Ihnen der Termin passt.

MfG,
P. Ehl

Ich zeige Thomas die Mail und er stimmt dem Termin sofort zu. Also schreiben wir eine Antwort und melden uns dann noch bei Hannes und Nowi. Wir haben von der Band aus zum Glück keine Termine und wollen uns nur ganz normal im Proberaum treffen, so dass wir getrost zwischendurch woanders hin können.
Hannes und Nowi antworten schnell und wir einigen uns darauf, dass wir uns normal treffen und dann zu dem Termin gehen würden.
Wenig später gehen wir schlafen, wobei an Schlaf nicht groß zu denken war. Eher wälze ich mich die ganze Nacht hin und her, denn der Termin gibt mir ein mulmiges Gefühl.
Am nächsten Morgen bringen wir Miriam zur Schule und fahren dann gleich mit dem Auto zum Proberaum, was wir eigentlich sehr selten tun. Meistens gehen wir zu Fuß oder fahren mit der Straßenbahn, doch heute ist es so praktischer.
Im Proberaum kann ich mich kaum konzentrieren, was auch die anderen merken, doch sie sagen nicht, auch wenn ich merke, dass sie von meiner Unaufmerksamkeit genervt sind. Dafür bin ich ihnen sehr dankbar. Wir machen uns viel zu früh auf den Weg und sind somit viel zu früh da, doch da wir beide immer lieber zu früh als zu spät sind, finden wir es nicht weiter schlimm.
Als wir in das Büro kommen begrüßt Frau Ehl uns freundlich. “Hallo Herr Stolle, hallo Frau Kloß, schön sie zu sehen.”, und bittet uns, uns zu setzen. Sie erzählt uns kurz von ihrem Besuch im Krankenhaus und dann davon, was sie bei den Berichten gesehen hat. Als sie und danach die Berichte zeigt, sehen wir sofort, was sie meint. Der Bericht ist ziemlich auffällig mit TipEx korrigiert worden. “...ist Victoria Kloß gestorben”, ich versuche alles zu lesen, was da steht, doch ich bleibe bei diesen vier Worte stehen. Thomas und Frau Ehl reden weiter und als sie das Blatt plötzlich gegen das Fenster hält, schnürt es mir die Kehle zu, was ich dort lese. “...ist Miriam Neuber gestorben”, kann man dort durchscheinend lesen. Ich bekomme nur noch am Rand mit, wie sie uns erklärt, dass sie sowohl die Krankenschwester als auch die Eltern benachrichtigen lassen kann, um gerichtlich gegen diese Sache vor zu gehen, doch für eindeutige Beweise vor Gericht wäre ein Mutter- und Vaterschaftstest gut. “Ich möchte Ihnen für all das etwas Bedenkzeit geben und würde mich freuen, wenn sie sich in den nächsten Tagen bei mir melden”, sagt sie uns noch, bevor wir uns verabschieden.

Sicht Thomas
Ich merke, wie Steff immer weniger am Gespräch teilnimmt und glasige, ungläubige Augen bekommt. Als wir uns verabschieden und danach zum Auto gehen, geht Steff wie selbstverständlich zur Fahrerseite, da sie den Hinweg auch gefahren ist.
“Steff, stopp! Du kannst in dem Zustand, wie es dir gerade geht, unmöglich fahren.” Ich schiebe sie in Richtung der Beifahrerseite, was sie wortlos hinnimmt und setzte mich selbst auf die Fahrerseite. Während der Fahrt rufe ich Hannes an, sich hoch auf die Freisprechanlage.
“Bruder, was verschafft mir die Ehre, mit dir zu telefonieren?”, nimmt Hannes fröhlich am anderen Ende ab.
“Ich wollte nur Bescheid geben, dass ich Steff erstmal nach Hause bringe, vielleicht schaue ich nochmal vorbei, aber Steff kommt auf jeden Fall nicht mehr.”
“Ohje, so schlimm?”, fragt Hannes besorgt.
“Ich kann es euch nachher erzählen, wenn ich noch lang komme, sonst rufe ich noch mal an.”
“Okay.” Nachdem ich aufgelegt habe, sehen ich, dass Steff mich aus dem Augenwinkel schuldig anschaut. “Thomas, es tut mir…” “Steff, es ist okay”, unterbreche ich sie. “Du brauchst jetzt Ruhe und wir brauchen beide Bedenkzeit.”
Der restliche Heimweg verläuft schweigsam. Zuhause angekommen geht Steff sofort ins Schlafzimmer und kuschelt sich ins Bett. Ich mache ihr einen Tee, den ich ihr dann auch oben bringe. “Danke”, nimmt sie vorsichtig die dampfende Tasse entgegen und ringt sich ein Lächeln ab. Ich gebe ihr einen Kuss. “Miriam muss bald abgeholt werden. Ich kann das gerne machen und würde vorher noch kurz in den Proberaum, wenn ich dich alleine lassen kann.”
“Klar, mach das.”
Uns ist beiden bewusst, dass wir miteinander reden müssen, doch vor schwierigen Entscheidungen war es schon immer so, dass Steff sich im Bett verkrochen hat und ich in der Musik abschalten konnte. Es ist meistens so, dass wir uns erstmal aus dem Weg gehen, bevor wir miteinander reden. Es ist nicht so, dass mir das alles nicht nahe geht, es ist eher so, dass ich mich erstmal ablenken muss und schon immer der war, der erstmal weitergemacht hat.
Im Proberaum erkläre ich Hannes und Nowi die ganze Situation. Sie machen sich sofort Sorgen um Steff und schlafen vor, dass ich Miriam ja von der Schule abholen kann und sie noch mit in den Proberaum kommt, damit Steff sich nicht etwas ausruhen kann. Das Angebot nehme ich dankend an, schreibe Steff, dass wir etwas später nach Hause kommen und gehe ich mit Miriam statt nach Hause in den Proberaum, was sie sehr freut. Als ich ihr erzähle, dass es Steff nicht so gut geht, macht sie sich auch Sorgen, doch ich versichere ihr, dass es nichts Schlimmes ist. Im Proberaum lernt sie dann endlich auch mal Hannes und Nowi kennen. Zuerst ist sie etwas verunsichert, doch nach kurzer Zeit verstehen die drei sich super. Die Hausaufgaben, die Miriam noch machen muss, machen wir schnell zu Viert, was ein wenig Chaos verursacht, doch am Ende geht es recht schnell. Wir zeigen ihr noch ein paar Lieder, an denen wir gerade arbeiten, bevor wir dann nach Hause gehen.
Zuhause finden wir Steff in der Küche. Sie ist dabei, das Abendessen vorzubereiten und sieht schon etwas besser aus, doch man sieht deutlich, dass sie geweint hat. Ich gebe ihr einen Kuss, bevor wir gemeinsam den Tisch decken. Nach dem Abendessen spielen wir noch etwas, bevor Miriam ins Bett muss.

Sicht Steff
Wir sitzen im Wohnzimmer, jeder ist in seinen Gedanken versunken. Wir müssen heute noch reden, das ist uns beiden bewusst, sonst werden wir noch weniger schlafen können, als es wahrscheinlich eh schon wird. “Ich würde gerne Gewissheit haben und einen Test machen. Ich habe nur Angst, dass Miriam sich Hoffnung macht und dann vielleicht enttäuscht ist oder wieder ängstlicher wird”, beginne ich vorsichtig.
“Wir müssen ihr das alles schon Ruhe erklären und ihr versichern, dass sich zwischen ihr und uns, egal wie der Test ausgeht, nicht ändern wird. Und wir sollten sie fragen, ob sie das überhaupt möchte.”
“Also bist du auch dafür?”, frage ich noch einmal nach.
Thomas nickt. “Wir beide hassen Ungewissheit und sollte sie wirklich unsere Tochter sein, wonach es aktuell stark aussieht, könnte es für die Zukunft gut sein, wenn wir es wissen. Wenn es negativ ist, wird sich nichts ändern und wenn es positiv ist, kann ich mir vorstellen, dass es Miriam helfen könnte.”
“Okay, du hast recht. Lass uns morgen nach der Schule mit Miriam reden und danach Frau Ehl unsere Entscheidung mitteilen.”
Wir reden noch lange auf dem Sofa, wie wir es am besten machen können und so wird es viel zu spät, als wir ins Bett gehen.

Unsere Tochter?Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt