Kapitel 2

69 3 0
                                    

Sicht Miriam
Ich wache auf, als die Sonne durch die Gardinen scheint. Verschlafen schaue ich auf die Uhr. Was, schon um neun? Schlagartig bin ich wach und lausche, ob ich Geräusche von unten höre, doch da ist nichts. Vielleicht bin ich doch noch nicht zu spät, wenn sie erwarten, dass ich Frühstück mache. Schnell ziehe ich mich an. Eigentlich ist es warm genug für ein T-Shirt, doch darin fühle ich mich nicht so wohl, also ziehe ich doch einen Pulli über. Danach husche ich ins Bad, bevor ich so leise wie möglich die Treppe nach unten schleiche. Kurz vor der Küche halte ich inne, denn es dringen Stimmen durch die geschlossene Tür. Ich bin unsicher, ob ich reingehen soll und klopfe schließlich an der Tür. “Komm rein, Miri." Oh nein, jetzt passiert es, doch ich kann nicht mehr zurück. Ich öffne vorsichtig die Tür, doch es passiert nichts.
Thomas und Stefanie sitzen am Tisch, der schon für das Frühstück gedeckt ist. “Du musst nicht klopfen, um in die Küche zu kommen. "Normalerweise ist die Tür auch immer offen, doch wir wollen dich nicht wecken, da wir geredet haben und aus diesem Grund die Tür geschlossen”, erklärt Thomas mir freundlich. “Magst du Tee oder Kakao oder was ganz anderes?” Stefanie ist derweil aufgestanden und hat einen Schrank mit verschiedensten Getränken geöffnet. “Gerne einen Früchtetee.” “Okay, mache ich dir fertig. Setzt dich gerne schon”, fügt sie den letzten Satz noch hinzu, weil ich etwas unschlüssig dastehe. “Bitteschön”, stellt sie mir wenig später die Tasse hin. “Nimm dir gerne zu essen, was du magst. Wir wussten ja nicht, was du gerne isst und haben jetzt einfach mal eine Auswahl zusammengestellt, in der Hoffnung, dass etwas dabei ist.” “Danke”, ich schaue über den Tisch, der reichlich mit Brötchen und verschiedenen Marmeladen, Müsli und Obst gedeckt ist. Ich entscheide mich für Müsli und nehme noch etwas Obst dazu. “Wenn dir noch etwas fehlt, können wir es gerne noch kaufen und generell kannst du natürlich das nächste Mal beim Einkaufen mitkommen, dann kannst du sagen, was du gerne magst." “Dankeschön”, sage ich leicht überfordert von der Freundlichkeit, auch wenn ich mich innerlich davor warne, dass immer noch etwas passieren kann. 
Nach dem Frühstück machen wir einen kleinen Spaziergang zu dem Proberaum der Beiden. Sie erklären mir, dass sie in der Band zu Viert sind und zeigen mir dann einige Songs, die ich sehr gut finde. Thomas zeigt mir noch etwas auf dem Klavier und an der Gitarre, woran sie gerade arbeiten und am Ende singe ich noch etwas aus Quatsch mit Stefanie, wobei sie sagt, dass ich eine gute Stimme habe. Es ist ein schöner Tag und mir fällt erst abends auf, wie entspannt ich war und dass ich überhaupt nicht an etwas Schlimmes gedacht habe, das passieren könnte.
Trotz des schönen Tages kommt der Albtraum in der Nacht wieder und auch diesmal weckt Stefanie mich wieder und auch diesmal erzähle ich ihr nicht, was ich träume.
Am nächsten Morgen geht es dann zur Schule. Thomas fährt mich hin, er muss sowieso noch was wegen dem Sorgerecht regeln und außerdem haben wir vergessen zu schauen, welchen Bus ich nehmen muss.

Sicht Steff
Während die Beiden unterwegs sind, beginne ich die Adoptionsunterlagen wegzuheften. Dabei schaue ich noch einmal nach Miriams Geburtstag, um ihn in den Kalender einzutragen. Doch als ich das Datum sehe, stocke ich. Es ist genau der Tag, an dem unsere Tochter, die nun im Himmel war, geboren wurde. Konnte das Zufall sein? Ich musste mich vergewissern, dass es Zufall war und schaute nach dem Geburtsort und dem Krankenhaus. Ich lese es mehrfach, um sicher zu sein, dass ich mich nicht verlesen habe. Das ist das Krankenhaus, in den ich auch war und ich weiß, dass an demselben Tag nur ein weiteres Mädchen geboren wurde. Am Tag darauf ist unsere Tochter dann ohne vorherige Anzeichen verstorben. Konnte es sein, dass sie wirklich das Mädchen war, was an dem Tag dort geboren wurde? Was mich allerdings noch stutziger macht, ist, dass Thomas meinte, dass Miriam mir sehr ähnlich sieht. Thomas hatte gestern unbemerkt ein Video von Miriam und mir gemacht, wie wir singen und mich dann darauf angesprochen. Ich habe es als Zufall abgetan, aber jetzt war ich mir doch nicht mehr so sicher. Es war alle etwas komisch, als uns gesagt wurde, dass sie es nicht überlebt hat, doch ich war nicht so geschafft von der Geburt und dann so überwältigt von Trauer, dass ich nicht weiter darüber nachgedacht hatte. Aber jetzt. Könntest es sein, dass Miriam unsere Tochter ist? Das sie vertauscht worden war? So etwas gibt es doch nur in Filmen oder? Ich beschließe Thomas davon zu erzählen, wenn er wieder kommt und räume die Unterlagen erstmal nicht weiter weg.
Das tue ich dann auch sofort, als er kommt. Er ist genauso verwirrt wie ich. “Wir können das eindeutig über einen Test herausfinden”, schlägt er vor. Ich nicke. “Aber lass uns vielleicht erstmal unserer Anwältin schreiben und fragen, ob es auch andere Wege gibt. Ich möchte Miriam nicht irgendwelche Hoffnungen machen. Vielleicht kann sie Berichte aus dem Krankenhaus oder so anfordern.”  
Frau Ehl hat uns schon oft in heiklen Angelegenheiten geholfen und vielleicht kann sie es auch diesmal. Wir erläutern ihr die Situation, bevor wir uns auf den Weg in den Proberaum machen, so wie den Tag verbringen.
Am Nachmittag holen wir Miriam aus der Schule ab. Es ist so schönes Wetter, dass wir danach nur schnell unsere Sachen zu Hause ablegen. Danach holen wir uns ein Eis und gehen noch eine Runde im Park spazieren.
Am nächsten Tag schon haben wir eine Antwort von Frau Ehl. Sie schreibt, dass solche Verwechslungen äußerst selten sind und dass sie es kaum für möglich hält, dennoch nimmt sie unser Anliegen ernst und hat die Berichte aus dem Krankenhaus angefordert, auch wenn sie denkst, dass es sich dann vielleicht eher um das andere Mädchen handelt, was an dem Tag auch geboren wurde. Sobald sie die Berichte hat, wird sie sich bei uns melden.
Wir sind beruhigt, dass sie der Sache nachgeht und uns nicht gleich für verrückt erklärt.

Unsere Tochter?Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt