Jazmin reichte den Feldstecher an Csaba, der neben ihr auf der Anhöhe zwischen den Fichten kauerte und auf den in der Ferne aufragenden, abgeflachten Schneeberg spähte. Der Peilsender hatte sich seit zwei Tagen nicht mehr bewegt und sie mitten ins Nirgendwo geführt. Auf dem Weg über die verlassen Landstraßen waren ihnen keinerlei Menschen begegnet. Die wenigen, verstreuten Ortschaften waren in der brütenden Mittagshitze den Zikaden und Heuschrecken zum Opfer gefallen, die sich nun anstatt von Nutztieren und ihren Besitzern in den leeren Höfen zwischen den wuchernden Disteln und Rosenhecken eingenistete hatten.
»Erkennst du was?«, fragte Jazmin und schirmte die Augen gegen die pralle Sonne ab. »Ich dachte, vielleicht ist das dort«, sie deutete mit dem Arm auf den südlichen Hang des Schneeberges, »ein Sendemast?«
Csaba spähte durch den Feldstecher und runzelte angestrengt die Brauen. »Könnte aber auch der Pfeiler einer Seilbahn sein.«
Jazmin hob die Schultern. »Willst du das Risiko eingehen?«
Jetzt hob Csaba die Schultern. »Erbse hat kein Problem damit, hier zu sein. Und wir waren vorsichtig.«
»Das hatten wir doch schon«, schnaubte Jazmin belustigt, aber müde. »Deine Katze hat keinen sechsten Sinn.«
»Sie hat bessere Augen und Ohren als wir«, hielt er dagegen und scannte die gewundene Straße ab, die den Berg hinaufführte. Sie lag ebenso verlassen da, wie heute Morgen.
Er versuchte zu verstehen, weshalb Izabela in ein Gebirgsmassiv ohne nennenswerte Infrastruktur geflogen war, der mit dem Ort Puchberg kaum den strategischen Handlungsspielraum aufwies, um einen militärischen Stützpunkt zu gewährleisten. Oder sie hatte Zar aus dem Helikopter geworfen und alles, was dort auf dem Berg lag, waren seine verwesenden Überreste.
Jazmin seufzte und legte ihm eine Hand auf die Schulter. »Ich gehe zurück zum Jeep und sehe nach dem Rechten.«
Csaba brummte und starrte weiterhin auf die kleine Schneekappe auf dem höchsten Punkt des Bergmassivs. Er setzte sich auf einen flachen, moosbewachsenen Stein und stützte die Ellenbogen auf die Knie. Nein, er glaubte eigentlich keine Sekunde daran, dass Izabela Zar einfach so unbeaufsichtigt töten würde. Das sah ihr nicht ähnlich, denn Zar stellte eine Gefahr für sie dar und für Verräter hatten die Varai ein ganz spezielles Protokoll. Zar würde – sollte er denn überhaupt noch leben – ganz gewiss an dem Ort sein, an dem Izabela glaubte, dass ihn niemand in die Finger bekommen würde.
Eine Berührung an seinem Unterschenkel riss ihn aus den Grübeleien. Erbses Schwanz kringelte sich um sein Gelenk und sie legte ihm ein totes Eichhörnchen vor die Füße. Dabei stieß sie ein leises Maunzen aus und knuffte ihre Stirn gegen sein Knie.
»Danke«, sagte er und kraulte sie hinter dem Ohr, ehe er sich mit einem Stöhnen aufrappelte und den Feldstecher zurück in die Tasche seiner Kampfweste steckte.
Die Sonne sank langsam hinter den Alpenausläufern auf den Horizont zu und ließ die Schatten länger werden. Ihnen ging langsam der Sprit aus und wenn Csaba nicht fürchtete, von Joska eingeholt zu werden, dann von einem oder mehren Engeln. Niemandsland war gefährlich und laut dem GPS befanden sie sich nicht einmal mehr in Ungarn. Die versprengten Reste der Menschheit waren selten gastfreundlich und er sprach nur brüchig Deutsch, was ein Zusammentreffen mit Fremden auf dieser Seite der Grenze zu einem untragbaren Risiko machte.
Er hob auf Erbses erneutes, ungeduldiges Miepsen das tote Eichhörnchen vom Boden und bedachte sie mit einem Blick. »Ein bisschen mehr brauchen wir aber schon.«
Die Schwanzspitze der Tigerkatze kringelte sich aufmerksam hin und her und Csaba seufzte ergeben. »Na schön. Hast du großartig gemacht. Ich bin stolz auf dich.«
![](https://img.wattpad.com/cover/334643015-288-k668810.jpg)
DU LIEST GERADE
[Sci-Fi/Fantasy] Starfall - Wenn der Himmel fällt ✓
Khoa học viễn tưởngKapitellänge ~3.000 Worte »Seine sieben Augenpaare waren auf sie gerichtet und alle vierzehn der menschlichen Pupillen nahmen sie ins Visier. Asavi richtete die Pistole auf den Engel, wusste aber längst, dass es zu spät war.« Als Asavi an ihrem vier...