Colin schaute auf sein Handy und aktualisierte die Zuginformationen in der DB App. Schon wieder hatte sich die erwartete Ankunftszeit in Erfurt um 20 Minuten nach hinten verschoben. Als ob über 5 Stunden im ICE nicht schon genug wären. Aber eigentlich war es ihm ganz recht, immerhin kann man auf Zugfahrten immer auch seine Gedanken sortieren und davon hatte Colin gerade jede Menge im Kopf. So zogen die ganzen letzten Monate an Colin vorbei, während er aus dem Fenster blickte.
Das letzte Mal, als er so lange im Zug saß, war nur ein Gedanke in seinem Kopf: Noah. Sein Zimmernachbar, in den er sich im Laufe des letzten Schuljahres verliebt hatte, der ihm aber auch mehrmals zu verstehen gegeben hatte, dass er seine Gefühle nicht erwidert. Eigentlich hatte Colin am Anfang des neuen Schuljahres die Hoffnung gehabt, dass es zwischen ihnen doch noch ein Happy End geben könnte. Doch als Noah ihm schon in der ersten Schulwoche wieder vorwarf, dass er „mit seinem Gefühlsscheiß eh alles kaputt mache" entschied Colin, dass es wohl das Beste für ihn wäre, endgültig mit Noah abzuschließen und auf ein Internat in Köln zu wechseln, wo seine beste Freundin Julia ebenfalls zur Schule ging.
Während der Verabschiedung von seinen Freund*innen in Erfurt konnte er zwar noch die Fassung bewahren, als er jedoch im Zug saß und damit auch realisierte, dass Noah sich wirklich nicht mal mehr von ihm verabschiedet hatte, begannen sich auch bei ihm Tränen in den Augen zu sammeln und Träne für Träne seine Wange herunterzufließen. Auf Spotify suchte er nach einer Playlist mit traurigen Herzschmerzliedern – eigentlich hätte er nie gedacht, mal in so einer Stimmung zu sein, in der man das hören möchte, aber besondere Situationen erfordern eben besondere Musik.
In Köln angekommen erwartete Julia ihn schon mit einem selbstgebastelten „Welcome Colin"-Schild am Bahnhof. Als sie ihn zur Begrüßung umarmen wollte und in seine roten aufgequollenen Augen sah, war ihr klar, dass ihre erste gemeinsame Köln-Challenge in den nächsten Tagen vor allem eine Challenge für Julia war und darin bestehen würde, Colin auf andere Gedanken zu bringen.
Beim Ausräumen seines Koffers in seinem neuen Zimmer war ihm beim Anblick seines sonst so bunten Kleiderschrankes so übel zumute, dass er sich noch an seinem ersten Tag in Köln neue einfarbig schwarze Jeans und Pullis zulegte – die spiegelten seinen Gemütszustand wenigstens etwas besser wider. Als er in seinem neuen Outfit das erste Mal Julia beim Frühstück begegnete, wanderten ihre Blicke an ihm von oben bis unten herab und fragte sie ihn ungläubig: „Oha, wer ist denn bei dir gestoben?", merkte aber durch Colins leeren Blick sofort, dass sie den Grund längst kannte und flüsterte: „Echt? Wegen Noah?". Colin nickte nur zaghaft, während Julia dazu überging ihm ihren erarbeiten Plan für seine erste Woche in Köln vorzustellen. Sie gingen gemeinsam zusammen in Julias Theatergruppe, liefen alle Treppenstufen des Kölner Doms hoch, machten Fahrradtouren am Rhein entlang und an einem Tag begleitete Julia Colin sogar an die Universität, wo Colin im Rahmen eines Schnupperstudiums Mathematikvorlesungen hören konnte. Doch Colin konnte all dem nur wenig abgewinnen und spätestens am Abend kreisten seine Gedanken immer wieder nur um Noah und ihren Streit. Und immer wieder fragte Colin sich, wie er sich fast ein ganzes Jahr lang einbilden konnte, dass Noah auch mehr als nur Freundschaft für ihn empfindet.
Am Freitagabend schlug Julia schließlich vor zum Wochenabschluss noch in eine Bar zu gehen. Immerhin waren beide schon 16 und durften damit auch Abends das Internat noch verlassen. Colin war erst wenig begeistert von diesem Vorschlag. „Mir ist aber grade wirklich nicht nach Party-Musik und guter Laune" murmelte er, worauf Julia antwortete: „Dann gehen wir eben wohin, wo die Leute schlechte Laune haben, aber du kannst nicht die ganze Zeit nur in deinem Zimmer sitzen und an Noah denken!". Julia kannte sich in Köln selbst noch kaum aus, fragte aber bei den Abiturienten nach Empfehlungen für Bars „wo man auch traurig sein kann". Nachdem die meisten Personen auf diese Frage hin lachen mussten und meinten, dass es sowas nicht gibt, brachte eine Mitschülerin sie schließlich auf die Idee in eine Bar zu gehen, in der heute ein Gothic Abend stattfinden sollte. Auch wenn Julia nach einer kurzen Google-Recherche feststellen musste, dass sie dem DJ, der dort heute spielen sollte, wenig abgewinnen konnte, dachte sie doch, dass Colin sich dort wahrscheinlich wohler fühlen würde als auf einer Back-to-the-90s-Party, die ihr eine andere Mädelsgruppe empfohlen hatte.
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Nolin Snippets
FanfictionDas hier ist eine kleine Sammlung von Nolin OneShots zu allem, was mir so in den Sinn kommt. enjoyy :)