Elternbesuch

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1 Neue Nachricht von Colin Erfurt in "Exil Einsteiner": Hey ihr, meine Eltern besuchen mich übers Wochenende hier in Köln und wir haben überlegt heute Abend in einen Biergarten gehen. Ihr seid natürlich auch alle herzlich eingeladen, wenn ihr Lust habt mitzukommen!

Nachdem Colin seine Eltern am Freitagmittag nach der Schule von ihrem Hotel abgeholt hatte, führte ihr erster Weg in die WG, in der er mit seinem Partner Noah und seiner besten Kindheitsfreundin Julia wohnte. "Wow, ihr habt's euch ja ganz schön gemütlich gemacht hier - hätte ich beim Umzug gar nicht gedacht", bemerkte Colins Mutter Nadine, während ihr Blick in der Wohnküche umherschweife und sein Vater Oliver zustimmend nickte. "Ja, Julia hat da echt ein gutes Händchen für Deko. Und dass Noah und ich letzte Woche noch das Sofa, das wir über Kleinanzeigen kostenlos bekommen haben, mit der U-Bahn durch die halbe Stadt geschleppt haben, hat sich definitiv auch gelohnt - aber so schnell umziehen möchte ich jetzt erstmal nicht."

Da seine Eltern über die letzten Jahre schon mehrmals in Köln gewesen waren und sämtliche Touri-Aktivitäten demnach schon abgehakt hatten, machten die drei es sich mit kühlen Getränken am Esstisch gemütlich und plauderten über ihre Erlebnisse der letzten Wochen. Seitdem Colin mit 13 auf ein Internat in Erfurt und später in Köln gezogen war, sahen die drei sich nur noch selten, genossen sie die gemeinsame Zeit aber auch umso mehr.
Nadine zeigte Colin gerade Fotos von ihrem und Olivers letzten Wanderurlaub, als ein lautes Schlüsselklimpern zu hören war, und wenige Sekunden später Noah ebenfalls in der Küche auftauchte. "Hey Noah, ach schön dich zu sehen", begrüßte ihn Colins Vater sofort mit einem freundlichen Lachen und auch Colins Mutter setze sofort zu einer Begrüßungsumarmung an. Noah war unglaublich froh, dass er so herzlich in Colins Familie aufgenommen worden war, nachdem sich der Kontakt zu seinen eigenen Eltern in den letzten Jahren häufig als Herausforderung dargestellt hatte. Immer wenn er Colin mit seinen Eltern zusammen sah, war er verblüfft, wie ähnlich Colin ihnen sah. Das Lachen und seine Mimik hatte Colin definitiv von seinem Vater geerbt, während seine Augenpartie seiner Mutter wie aus dem Gesicht geschnitten war.

Während Noah und seine Mutter sich umarmten, musste Colin daran denken, wie nervös er gewesen war, als er seinen Eltern vor etwa drei Jahren das erste Mal erzählt hatte, dass Noah jetzt sein fester Freund war. Da seine Eltern einige offen queer lebende Freund:innen hatten, darunter auch sein Patenonkel Ingo und die beste Freundin seiner Mutter Vera, die er von klein auf kannte; waren seine Sorgen dabei nicht auf die seine Homosexualität bezogen gewesen. Er wollte unbedingt, dass sich seine Eltern und Noah gut verstehen würden, wusste aber auch, dass Noah auf fremde Menschen oft eher verschlossen und kühl wirken kann. Aber spätestens, als sie beim ersten gemeinsamen Essen zusammen über Geschichten aus der Schulzeit seiner Eltern lachten, die sich ebenfalls auf einem Internat kennen gelernt hatten, waren alle Bedenken verflogen.

Als sich bei den vieren nach langen Gesprächen langsam der Abendessen-Hunger einstellte, und sich auch die heißen Sommertemperaturen gegen Abend abgekühlt hatten, beschlossen sie sich auf den Weg in den Biergarten zu machen, wo sie mit Julia, Joel und Ava verabredet waren. Als sie die Haustüre hinter sich zugezogen hatte und Noah und Colin einige Schritte vor Colins Eltern liefen, griff Colin wie gewohnt nach Noahs Hand, deren Berührung in ihm jedes Mal eine wahnsinnige Geborgenheit auslöste. Vielleicht freute er sich durch die Anwesenheit seiner Eltern heute noch ein bisschen mehr darüber als sonst, so dass er sich einen lächelnden Blick auf ihre ineinander verschränkten Finger nicht verkneifen konnte, der auch bei Noah nicht unbemerkt bliebt. Er richtete seinen Blick ebenfalls auf ihre Hände, lächelte und fragte dabei "Was denn?" - "Ach, ich musste nur gerade daran denken, dass ich, wenn ich meine Eltern und ihre lange glückliche Beziehung so sehe, mich wahnsinnig darauf freue, das mit dir zu erleben..." - Noah konnte mit solchen fast beiläufigen Liebesbekundungen immer besser umgehen und antwortete mit einem "Du bist manchmal ganz schön süß, weißt du das?" und einem kurzen Kuss auf Colins Mund.

Colins Eltern, die die Szene aus einigen Metern Abstand beobachtet hatten, sahen sich zwar etwas peinlich berührt, aber dennoch zugleich stolz und liebevoll in die Augen, nahmen sich ebenfalls an der Hand und gaben sich einen kurzen Kuss, nachdem Oliver seiner Frau zuraunte: "Der Junge weiß eben schon, was gut ist"

Bei ihrer Ankunft im Biergarten sahen die zwei Zweiergespanne schon von weitem Julia winken, die bereits einen Tisch im Schatten beschlagnahmt hatte. Sie war direkt nach ihrer Barista-Schicht in einem Café nahe der Uni gekommen, in dem sie momentan in Teilzeit arbeitete, während sie sich nach zwei Semestern Soziologie-Studium wieder auf Aufnahmeprüfungen an Schauspielschulen in ganz Deutschland bewarb und vorbereitete. "Oh Julia, schön dich zu sehen! Liebe Grüße auch von deiner Mutter, die hab ich vorgestern noch bei uns Zuhause am See getroffen", begrüßte Nadine die junge Frau, die schon als Kleinkind mit ihrem Sohn zusammen auf dem Spielplatz gespielt hatte. "Oh danke, du siehst sie wahrscheinlich tatsächlich öfter als ich! Wie gehts euch? Hattet ihr eine gute Anreise?", startete sie sofort das Gespräch mit Colins Mutter. Noah und Colins Vater Oliver kümmerten sich inzwischen um die Verpflegung und kamen mit zwei großen Brotzeitplatten und Saftschorlen für alle zurück. Als sie gerade angestoßen hatten, stieß auch Joel zur Gruppe: "Was seh ich denn da? Ihr trinkt doch nicht etwa Limo der Konkurrenz?" Er begrüßte Julia, Noah und Colin mit einer Umarmung und gab Nadine und Oliver ganz förmlich die Hand und nahm neben Colins Mutter Platz.

"Wollte Ava nicht auch kommen? Gar nicht ihre Art zu spät zu kommen und nicht Bescheid zu geben", wunderte sich Noah, "Weißt du was von ihr, Joel?". Joel zuckte mit den Schultern: "Ne, hab sie heute noch nicht gesprochen... Aber ich teil mal unseren Standort mit ihr, dann findet sie uns leichter, wenns später noch voller wird" Joel und Ava durften zwar auch nach ihrem erfolgreich bestandenen Abitur noch bis Ende des Schuljahres auf dem Internat wohnen, auf dem bis letztes Jahr auch Colin, Noah und Julia gewohnt hatten, aber gerade seitdem sie alle Prüfungen bestanden hatten und somit auch keinen schulischen Verpflichtungen oder Anwesenheitspflichten mehr nachkommen mussten, begegneten sie sich nur noch selten. Während Ava viele der Sommertage für Radtouren oder Besuche bei Freund:innen in anderen Städten nutzte; nahm Joel an einem Young Entrepreneurs-Sommerprogrammen teil.

Etwa eine halbe Stunde später stand eine vollkommen verschwitzte Ava vor ihnen und winkte in die Runde: "Hallooo, sorry, dass ich so spät bin. Auf eine Umarmung verzichten wir grad besser...", sie setzte sich, nahm ein paar Bissen Breze und erzählte dann: "Puh, also ich war heute mit Valerian am Rhein unterwegs" - "Valerian ist Avas Rennrad", unterbrach Colin seine Freundin erklärend in Richtung seiner Eltern - "Genau", fuhr Ava fort, "war auch mega schön, aber auf dem Rückweg hat auf einmal die Gangschaltung den Geist aufgegeben, dadurch hab ich doppelt so lange gebraucht und musste ja auch nochmal zurück ins Internat, weil ich Valerian nicht so gerne mit in die Innenstadt nehme und bin dann auf Sabine II gewechselt." Auf den fragenden Blick von Nadine hin, fügte Ava hinzu: "Sabine II ist die Nachfolgerin von Sabine I, die wurde mir nämlich hier schon geklaut. Aber genau deswegen würde ich Valerian auch nicht in der Stadt stehen lassen... Hoffentlich bekomm ich den wieder hin..."

Olivers Vater hatte Ava aufmerksam zugehört: "Soll ich mir deinen Valerian morgen mal anschauen? Vielleicht kriegen wirs ja zusammen hin..." Ava runzelte skeptisch die Stirn und wechselte mit ihre Blicken zwischen Colin und seinem Vater hin und her. Colin hatte bei ihrer letzten Tour nicht mal einen Reifen flicken können, weswegen sie auch von seinem Vater, der in seinem ordentlichen weißen Hemd nicht gerade so aussah, als würde er regelmäßig auf einem Fahrrad sitzen: "Verstehen Sie - ich meine Du - verstehst du denn was von Fahrrädern? Das liegt sicher nicht nur am Schalthebel..." - "Also ich bin jetzt vielleicht kein ausgebildeter Mechaniker, aber meinen Eltern hat der Fahrradladen bei uns im Dorf gehört. Da bin ich quasi in der Fahrradwerkstatt aufgewachsen...", räumte Oliver Avas Zweifel aus dem Weg.

Ava bekam ganz große Augen: "Äh Colin, warum hast du nie erzählt, dass du aus einer echten Fahrrad-Dynastie kommst?" Colin verdrehte nur die Augen, während Ava sich wieder an Oliver wandte: "Das wäre ja früher mein Traum gewesen den ganzen Tag an Fahrrädern zu schrauben! und dann habt ihr bestimmt auch immer die neuen Modelle zuerst bekommen, oder?". Oliver lachte nur kurz: "Naja, also ich fands ehrlichgesagt gar nicht immer so toll, dass mein Vater so besessen von den Fahrrädern war, aber dass ich jedes Jahr ein neues Rad bekommen hab, fand ich natürlich schon cool - damit konnte man im Dorf die anderen Kids echt beeindrucken." - "Ja ist ja gut jetzt Papa, ich glaub nicht, dass wir jetzt den ganzen Abend von Fahrrädern reden wollen... Erzählt doch lieber nochmal was von euren Lehrer:innen, wenns schon um früher gehen muss. Die scheinen wenigstens noch Humor gehabt zu haben", unterbrach Colin seinen Vater. Nadine begann zu grinsen: "Also wenn ihr davon wirklich was hören wollt, haben wir bestimmt genug Geschichten auf Lager, oder Oliver?"




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⏰ Letzte Aktualisierung: Aug 13 ⏰

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