Go England!

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Jeder Mensch kennt es, wenn alte, längst vergessene, Wunden wieder aufreißen. Sie tun weh; Bluten. Und lassen uns Schmerz empfinden. Als Kind Beispielsweise, man fällt hin, reißt sich die Knie und Hände auf. Man geht zu Mama oder Papa, lässt die Wunde säubern, desinfizieren und bekommt ein Pflaster drauf. Solange, bis nichts mehr zu sehen ist und, wenn überhaupt, nur noch eine kleine Narbe bleibt. Dann fällt man fünf Tage später wieder hin und die Kruste, die sich gebildet hat, reißt erneut auf. So ist es auch als Erwachsener. Nur leider ist es als Erwachsener meistens so, dass es kein Körperlicher sondern Psychischer Schmerz ist. Ereignisse oder Personen, die tiefe, blutende Spuren hinterlassen. Und dann kommt der Schmerz ganz plötzlich wieder, obwohl man dachte, man hätte ihn längst überwunden.

Nachdenklich sehe ich auf die Instagram Story. "Ey Harry, kann ich mein Handy wieder haben?", fragt James und reißt mich aus den Gedanken. "Klar, sorry.", meine ich, gebe dem älteren sein Handy zurück und seufze. "Was ist los?", fragt er, aber ich schüttle den Kopf. Wir sitzen schon seit geraumer Zeit auf unseren Plätzen im Stadion in Berlin. Bis eben hatte ich auch noch eine super Laune, dann habe ich eben herausgefunden, dass er ebenfalls hier ist und scheinbar auch gar nicht sooo weit weg von uns seine Plätze hat. Er ist mit Oli und ein paar Freunden hier. Mir wird keine Chance gegeben meine Gedanken weiter zu vertiefen, da es nun losgeht. Die spanische und englische Mannschaft läuft ein. Bereits jetzt ist Anspannung im Publikum zu spüren, auch bei mir. Allerdings hat meine Anspannung eher eine andere Natur. Meine Anspannung kommt von diesem Mann, der nur wenige Meter weiter sitzt, in seinem weißen England Trikot und der blauen Shorts dazu. Der Anpfiff des Spiels erklingt durch das Stadion, was mich aus meinen Gedanken holt. Zumindest ein stück weit. James rüttelt aufgeregt an meiner Schulter und fragt: "Wusstest du, dass Louis auch hier ist?! Das ist doch die Gelegenheit mit ihm zu reden." "Hm.", gebe ich nur zurück. Louis und ich waren früher unzertrennlich. Nicht nur als beste Freunde, sondern auch als ziemlich verliebtes Paar. Wir widersetzten uns dem Management von One Direction, kämpften für unsere Liebe. Bis ich schließlich aufgab. Ich ging mit Simon den Deal ein, dass ich mich von Louis trennen würde, dann würde sein Vertrag schon früher enden und er wäre frei. Louis weiß bis heute nichts davon, aber er ist glücklich und das ist alles, was für mich zählt. Mein Vertrag hingegen lief dann noch vier Jahre länger bei Simon, die vier Jahre, die Lou früher gehen durfte. Erst seit circa vier Jahren bin ich draußen. Ich habe meine drei Alben gedropt und war fast die ganzen vier Jahre auf Tour. Ich schreibe schon am vierten Album, aber bis das kommt, dauert es noch ein Weile.

Ein mächtiger Jubel bricht aus. England hat das eins zu eins geschossen. Wie ein Vogel hüpfe ich rum, springe James fast über den Haufen und pfeife. Dann drehe ich mich zurück zum Feld, aber mein Blick bleibt an klaren, hellblauen Augen hängen. Unvergleichlich, wie eh und je. Wie ein Bergsee, ganz klar, strahlen sie Loyalität, Liebe und Treue aus. Als sie meine erkennen, sehe ich einen Schimmer von Wut, Enttäuschung und Fragen aufblitzen. Aber keiner von uns löst den Blick. Es ist als würde er mir all die Beschimpfungen und Enttäuschungen entgegen schreien, gleichzeitig aber sagen, dass er mich liebt und ich nie wieder gehen soll. Dann bricht unser Blickkontakt doch ab, weil Oli den kleinen anspringt. Er fällt fasst um, fängt sich aber gerade noch rechtzeitig. Oli lacht herzlich, was Louis auch kurz erwidert, dann schwingt sein Blick nochmal zu mir - diesmal nur ganz kurz. Als wolle er sich versichern, dass ich wirklich hier stehe. Mir wird das etwas viel, weshalb ich James sage, dass ich kurz rein gehe, da ich kurz Ruhe brauche. Er schaut zwar fragend, aber ich gehe einfach rein und lehne mich mit einem Seufzen an die Wand. "Harry?!", fragt jemand, was mich die Augen öffnen lässt, "Nein, das glaub ich jetzt nicht. Du bist hier! Warum sagst du denn auch nichts?!" Ed kommt auf mich zu und umarmt mich stürmisch. Ich erwidere die Umarmung. "Ja... Sorry, ist irgendwie untergegangen. Ich habe nicht damit gerechnet, dass du herkommst.", sage ich, was eine Lüge war. Ich wusste, dass er kommt und wollte ihm schreiben. Dann hab ich in seiner Story gesehen, dass er mit Louis da ist und habs gelassen. "Ich bin mit Lou hier.", sagt er und ich nicke. "Ich weiß, hab ihn schon gesehen.", erwidere ich geknirscht. "Setzt euch doch zu uns.", strahlt er, aber ich schüttle den Kopf. "L-lieber nicht...", sage ich und Ed schaut fragend, "Lou und ich... Sind ein bisschen auf Kriegsfuß." Der rothaarige lacht. "Ein bisschen?", fragt er, "Man, als du vor acht Jahren schluss gemacht hast, kam der zu mir und hat mich angeschrien, warum er im Leben immer Pech hat und wie gerne er dir an die Gurgel wollen würde. Eine Woche später war er wieder bei mir, heulend, und hat mir gesagt, dass er dich ewig lieben wird. Völlig egal, was du tust. Seitdem liegt er bei mir immer wie ein Häufchen Elend auf dem Sofa, wenn er bei mir ist. Und ich bin mir sicher, Oli darf sich auch anhören wie wunderschön du bist und wie perfekt seine Hand in deine passt und wie gerne er sämtliche Taylors, Olivias und weiß Gott wen, anschreien würde, dass du Sein bist." Ich schlucke. Dass Louis so empfindet war mir nicht klar. "Vielleicht redest du heute mal mit ihm und sagst ihm die Wahrheit.", hängt Ed dran, "Die ganze. Von vorne bis hinten. Er hat sie verdient." Ich nicke leicht. "Danke Ed...", murmle ich, drehe mich dann wortlos um und gehe wieder zu James. "Alles klar?", fragt dieser sofort und ich nicke.

Nach dem Spiel strömen die Mengen nach draußen. Im VIP Foyer ist schon gut etwas los, Oli unterhält sich mit Ed, nur Louis steht neben dran und sagt nichts. Ich nehme also all meinen Mut zusammen und gehe zu ihnen rüber. "Hi.", sage ich einfach und alle drei drehen sich zu mir. Ed lächelt mich an. Louis schaut mich an, als würde er gleich sterben und Oli schaut mich an als würde ich gleich sterben. "Weißt du, du bist ein Arschloch.", sagt Oli, "Und der einzige Grund, weshalb ich dich nicht auf der Stelle umbringe, ist die Öffentlichkeit. Und wenn du weiterhin auf deinen zwei langen Beinen davon rennen willst, rate ich dir jetzt loszulaufen." "Oli...", schaltet sich Louis ein, "Lass gut sein." Ich schlucke, die Drohung hat mal sowas von gesessen. Ich richte mich an Louis. "Können wir bitte reden? Ich weiß, du hast ne Menge Schmerz durchgemacht und ich bin auch acht Jahre zu spät, aber besser spät als nie, oder...?", frage ich vorsichtig. Nach einigen Momenten des Zögerns nickt Louis und ich folge ihm einfach. Einige Minuten später sitzen wir wirklich in seinem Auto. "Was möchtest du?", fragt er und ich antworte sofort: "Dir erklären was passiert ist." Louis schaut mich an. "Wie, was passiert ist?", fragt er wieder, "Du hast schluss gemacht und mir gesagt du würdest mich nicht mehr lieben. Und dann bist du abgehauen." "Jaaa.", seufze ich langgezogen, "Das... war gelogen... Ich... War so erschöpft vom Kämpfen gegen das Management, dass ich Simon gefragt habe, was ich tun muss, damit du frei bist. Er hat mir einen Deal angeboten. Er zieht dir vier Jahre ab, aber dafür bleibe ich vier Jahre länger bei ihm... Ich bin auf den Deal eingegangen, deshalb wurde dein Vertrag schon so früh aufgelöst." Louis schluckt. "Das... das heißt, ich durfte nur früher gehen, weil du länger geblieben bist?... Das... Harry das tut mir leid, warum hast du das gemacht? Und noch wichtiger, warum hast du nichts gesagt? Wir hätten das doch durchgestanden..." Erneut kratze ich all meinen Mut zusammen und wippe nervös mit dem Bein auf und ab. "Ich habe das getan, weil ich dich geliebt habe... Du... Du warst meine Welt und ich wollte das du glücklich bist und das war der einzige Weg, wie zumindest einer von uns sein Glück findet... Und... Ich liebe dich auch immer noch, meine Gefühle haben sich nie verändert, sie sind nur stärker geworden... Ich habe nie was gesagt oder mich gemeldet, weil ich dachte, du willst mich nicht mehr..." Der kleinere seufzt, lehnt sich nach hinten und macht die Augen zu. "Das war ziemlich dumm von dir Hazz...", sagt er, "Hättest du nur mit mir geredet, dann... Wir hätten einen Weg gefunden, der uns beide gleichermaßen glücklich macht und bei dem wir zusammen bleiben können.... Stell dir vor, wenn... Wenn wir zusammen geblieben wären, wären wir jetzt wahrscheinlich verheiratet und hätten vielleicht auch Kinder... Und ich will damit etwas wichtiges sagen, ich will sagen, dass ich dich auch immer noch liebe und all das, was unsere Zukunft bringt, mit dir haben will... Irgendwann.... Irgendwann will ich dich heiraten, Kinder mit dir haben und vielleicht einen Hund oder eine Katze..." Bei den Worten toben meine Schmetterlinge im Bauch und ich bekomme Herzrasen. Wortlos nehme ich seine Hand und küsse sie, bevor ich sie auf meine Brust lege, damit er spürt, wie mein Herz schlägt. "Das machst du mit mir...", hauche ich, "Das und noch soviel mehr... Ich will alles von und mit dir haben, alles, was das leben so bringt." Kaum habe ich zu Ende gesprochen, presst Louis seine Lippen auf die meinen und er küsst mich mit so viel Liebe und Leidenschaft, dass es mir kurz den Atem nimmt.

Etwa zwanzig Minuten, nachdem wir verschwunden sind, kommen wir zurück ins VIP Foyer. Viele sind schon gegangen, nur ein paar wenige sind noch da. Ed kommt auch gleich auf uns zu. "Na?!", fragt er grinsend. "Wir... Wir haben alles geklärt, was geklärt werden musste.", sagt Louis, was Eds Grinsen verschwinden ließ. "Wie jetzt? Kein "Wir Heiraten morgen" kein "Wir sind wieder zusammen"?", fragt er und wirkt enttäuschter, als ein kleiner Junge, der keinen Lolli bekommt. "Vielleicht in ein paar Jahren, aber jetzt bekommst du nur die Info, dass wir uns ausgesprochen haben und nicht von einander abgeneigt sind.", sagt mein Kleiner wieder, was mich grinsen lässt.

Und was soll ich sagen? Nur zehn Minuten später haben wir gemeinsam das Stadion verlassen und sind zu ihm gefahren.
Und damit war mein Seelischer Schmerz vollständig geheilt. Ich bin zu Louis gerannt und er wurde erneut mein Pflaster, für all die Wunden die mir andere zugefügt haben, oder die ich mir Teils auch selbst zugefügt habe. Und ein guter Liebhaber ist er auch - aber das ist nur ein nettes Extra zu all der Perfektion, die er in meinen Augen verkörpert.
England hat vielleicht nicht die Europameisterschaft gewonnen, aber dafür hat sie mir meinen Seelenverwandten wieder gebracht, den ich all die Jahre vermissen musste.

Larry OneshotsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt