Kapitel 3 - Emilia

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Ich hatte das erste Mal seit langem einen wirklichen unbeschwerten Nachmittag verbracht. Nachdem Rafaels Eltern gestorben waren, war das selten geworden, da immer dieser Hauch von Trauer in der Luft lag. Heute hingegen hatte ich mich mit einer Freundin, Sara getroffen und hatte einen echt tollen Tag gehabt. Als ich auf meinem Fahrrad in die Einfahrt fuhr und es an meinem Fahrradständer ankettete, beschloss ich noch nach Rafa zu schauen. Sein unfähiger Onkel, war nämlich nicht mal annähernd ein Ersatz für seine Eltern und nicht gerade ein Vorzeige Vormund. Aber da Rafael erst 16 war, brauchte er nun mal einen Erziehungsberechtigten und da stand leider nur sein Onkel Hannes zur Verfügung. Als ich mich auf dem Weg zum Nachbarhaus machte, las ich mir noch einmal die SMS von Rafael durch. Er hatte mir geschrieben, dass er auch einen sehr guten Nachmittag gehabt hatte. Aber wem wollte er was vor machen? Seit dem Tod seiner Eltern war nicht einmal ein Monat vergangen, er musste nicht auf tapfer tun. Vor allem nicht vor mir. Immerhin kannte ich ihn seitdem ich denken konnte. Als ich vor seiner Haustür stand, begann es zu regnen. Energisch klopfte ich gegen die Tür. Drinnen hörte ich Schritte, die in meine Richtung kamen. Dann stoppten sie. Er wollte mich doch nicht etwa im Regen stehen lassen? War er etwa sauer auf mich, weil ich heute etwas ohne ihn gemacht hatte? Ach was... so war Rafa gar nicht. Nach einer gefühlten Ewigkeit öffnete sich endlich die Tür. Mein weises Top war inzwischen vom Regen komplett durchsichtig. Das wäre mir sicherlich vor jeder anderer Person peinlich gewesen, nur nicht vor Rafael. Der hatte nämlich schon ganz andere Teile an meinem Körper gesehen.,,Naaaa Prinzessin?" kicherte Rafael als Begrüßung. Verwirrt starrte ich ihn an. Er schaute mit einem dümmlichen Lächeln auf dem Gesicht zurück. Dann schloss er mich plötzlich in seine warmen Arme, wirbelte mich im Kreis herum und warf mich schließlich über seine Schulter, um mich in sein Wohnzimmer zu tragen. Rafael setzte mich wieder auf meinen eigenen Beinen ab, als ich anfing zu strampeln. Dann gab er mir einen Kuss auf die Lippen,zog mich plötzlich in die Tanzposition und begann mit mir einen etwas missglückten Walzer zu tanzen. Seit wann konnte er das überhaupt?,,Weißt du was, Prinzessin? Wir sollten raus in den Regen gehen, dort tanzen und ,,I'm dancing in the rain" singen!" sagte er. Ich dachte erst, es sei ein Witz. Doch sein Gesicht war ernst, nur seine Augen glänzten vergnügt. ,,Du meinst das Lied,,I'm singing in the rain", oder?" fragte ich ihn verwirrt.,,Singing, dancing...ist doch alles das selbe. Komm, wir gehen raus." meinte er und zog mich, bevor ich ihn widersprechen konnte raus ins Freie und somit auch ins eiskalte Nasse. Große Regentropfen klatschten mir ins Gesicht. Rafael ließ meine Hand los und rannte ein paar Schritte die Straße entlang. Dann hob er seine Arme Richtung Himmel und stieß ein lautes Jauchzen aus.,,Danke Gott. Wirklich danke. So gut wie alle Teenager in meinem Alter träumen von einem selbstständigen Leben. Ein Leben ohne Eltern. Du hast dir nur leider genau einen von den wenigen ausgesucht, der das nie wollte. Ich wollte nur meine Eltern. Danke dafür." Schrie er gen Himmel und brach dann wieder in lautes Lachen aus. Er drehte sich zu mir um und seine Augen begannen zu strahlen.,,Weißt du noch? Als wir kleiner waren, haben wir den nächsten Regen gar nicht abwarte können. Du hast dann immer deine Gummistiefel mit den kleinen Fröschen drauf angezogen und wir sind raus auf die Straße gerannt und durch jede Pfütze gesprungen die uns in den Weg kam." sagte er und sah mich liebevoll an. Auch ich musste etwas lächeln. Daran hatte ich schon lange nicht mehr gemacht. Ich lief auf ihn zu, nahm in an der Hand und strich ihm eine nasse Haarsträhne aus dem Gesicht.,,Wir können es jetzt machen. Zusammen durch alle Pfützen springen. So tun als wären wir wieder sechs Jahre alt. So als wäre alles noch gut." Rafael nickte begeistert und wir liefen los, nahmen Anlauf und landeten laut platschend mit den Füßen in einer der Pfützen. Wir beide mussten unglaublich anfangen zu lachen. Rafael beugte sich vor küsste mich wieder. Ich erwiderte den Kuss und schaltete den Regen um uns herum komplett aus.,,Ich liebe dich."murmelte er, mit dem Gesicht immer noch auf meines gelehnt.,,Na dann kannst du mich ja bestimmt einholen, oder?"fragte ich ihn neckisch und rannte durch den Regen bis zu meinem Haus. Ich drehte mich immer wieder zu Rafael um, der mir grinsend hinter rannte und streckte ihm die Zunge raus.Hey immerhin war ich ja wieder eine sechs jährige, da durfte man so was. Rafael packte mich von hinten am Rücken und drehte mich um. Er war so viel schneller als ich, ich hatte eh nie eine Chance gehabt zu gewinnen.,,Ich hab dich eingeholt und jetzt möchte ich meinen Preis haben."flüsterte er mir ins Ohr. Ich tat so als würde ich überlegen. Vor unserem Haus war eine kleine Mulde in der Einfahrt, die sich beim Regen immer so voll mit Wasser füllte, dass sie aussah wie ein kleiner Tümpel.,,Wie wäre es hiermit?"fragte ich ihn und zog ihn mit einem Ruck in die Mulde. Wir beide landeten im Wasser und wurden noch nässer als davor.,,Du kleine....!"rief Rafael entsetzt auf, musste dann aber doch lachen.,,Ich hoffe mal du wolltest ,,Du kleine Prinzessin" sagen." kicherte ich. Rafael beugte sich vor und legte seinen Kopf in meine Halsbeuge. Gerade als ich ihn wieder küssen wollte, hörte ich ein Klopfen, dass vom Fenster in meinem Haus kam. Meine Mutter stand dort und hatte mit ihrem Fingerknöcheln dagegen geklopft. Sie hatte ihren braunen Haare zu einem strengen Knotten gebunden und trug eines ihrer hässlichen knielangen Kleider. Sie schaute mich entgeistert an. Auf ihrem Gesicht konnte ich pures Entsetzen lesen. Doch da war auch etwas anderes drinnen zu lesen: Wut. Sie öffnete das Fenster und streckte ihren Kopf heraus, wobei sie einige Regentropfen ins Gesicht bekam.,,Hab ich meine Tochter etwa zu einem Schwein erzogen, oder warum suhlst du dich im Schlamm?! Du kommst sofort rein!" schrie sie aufgebracht mit ihrer nervtötend schrillen Stimme. Rafael und ich verdrehten zur selben Zeit die Augen. Meine Mutter verschwand wieder im Haus. Ich sah ihn grinsend an. Doch mein Grinsen erstarb schnell. Was war mit seinen Augen?,,Rafael...deine Pupillen sie sind so...so seltsam!" murmelte ich leise. Rafael wurde blass und rieb sie sich schnell.,,Ach das ist nichts...hab wohl zu viel Regen rein bekommen." Ich unterbrach ihn.,,Lüg mich nicht an Rafael Schmidt!" sagte ich streng. Ich hatte einen unguten Verdacht. Er hatte sich gerade so seltsam verhalten. Nicht so wie sonst. Selbst für den Rafael, der seine Eltern noch nicht verloren hatte, war so ein Verhalten nicht normal, aber für den Rafael, der seid erst knapp einem Monat ein Vollwaise war, war das definitiv unangebracht. Ich stand aus der Mulde auf und rannte durch den Regen zurück zu Rafas Haus. Da er so überrascht war, hatte ich relativ großen Vorsprung. Die Tür war noch offen und ich stürmte ins Wohnzimmer und sah mich dort um. Mein Blick fiel auf ein Foto von Rafael mit seinen Eltern zusammen. Ich hob es hoch und schaute schwermütig drauf. Warum hatten sie es getan? Ich konnte es mir einfach nicht erklären. Im Rahmen raschelte etwas. Verwirrt löste ich ihn vom Bild und Heurika: Ein kleines Plastikpäckchen mit weißen pulverartigen Inhalt drinnen fiel heraus. Ich war zwar ein ziemlicher Laie auf dem Dorgengebiet, aber ich wusste genau dass das Kokain war. Mein Herz rutschte mir in die Hose. Rafael musste das genommen haben. Das erklärten auch seinen ungewöhnlichen Stimmungsumschwung. Hinter mir hörte ich ein Räuspern. Rafael stand dort und schaute mich mit schuldbewussten Blick an.,,Es tut mir so Leid Lia...ich wollte es nicht nehmen...aber...ach mein ganzes Leben ist einfach so abgefuckt gerade!"sagte er mit gebrochener Stimme.,, Gehöre ich auch zu dem abgefuckten in deinem Leben?"fragte ich ihn verletzt und wich einen Schritt von ihm zurück. Erschrocken kam Rafael auf mich zu.,,Nein! Um Himmelswillen Nein! Du bist das einzige Gute in meinem Leben gerade. Ich brauche dich und... dieses Zeugs was du da gerade in der Hand häst brauche ich nicht. Ich habe es heute zum Ersten und zum Letzten Mal genommen. Versprochen!" Stotterte er. Ich nahm ihn vorsichtig in den Arm. Er war so groß, aber trotzdem so zerbrechlich.,,Es ist spät. Wir bringen dich mal am besten ins Bett."
Ich deckte Rafael zu und küsste ihn auf die Stirn.,,Schlaf gut, mein tapferer Ritter." flüsterte ich. Rafael öffnete seine Augen wieder und musste kichern.,,Noch kitschiger gings auch nicht, oder?"fragte er mich und ich musste auch lachen.,,Du sagst am besten mal gar nichts. Du bist doch der jenige, der mich immer Prinzessin nennt. Ich dachte es würde Gleichberechtigung in unserer Beziehung herschen. Das heißt: Ich habe auch das Recht die einen bescheuerten Kosenamen zu geben." Rafael gähnte.,,Na gut. Dann bin ich eben. Dein ,,tapferer Prinz". Solange du nur meine Prinzessin bleibst, kann ich damit leben."murmelte er mit geschlossenen Augen. Bevor ich antworten konnte, kuschelte er sich auf seiner Decke zusammen und war in das Reich der Träumenden entflohen.

Als ich nach Hause kam, erwartete mich meine Mutter bereit. ,,Emilia Klein! Was war das vorhin? Zu was habe ich dich bitte erzogen?"schiss sie mich sofort an. Ich verdrehte meine Augen demonstrativ und wollte mich an ihr vorbei schieben, doch sie hielt mich am Arm fest. Bevor ich mich versehen hatte, landete ihre flache Hand auf meiner Wange.,,Du weißt ganz genau, was ich vom Augen verdrehen halten. Ich habe in letzter Zeit dass Gefühl, dass du jedes Mal respektloser wirst, wenn du von Rafael zurückkommst. Es ist besser, wenn du Morgen Hausarrest hast und ihn einige Zeit lang nicht siehst." In meinen Augen standen Tränen doch ich blinzelte sie wütend weg und stürmte an meiner Mutter vorbei, die Treppe hoch in mein Zimmer und verbarrikadierte mich dort. Seid wann hatte meine Mutter was dagegen, wenn ich etwas mit Rafael unternahm? Das ganze war so unfair! Ich schaute in meinen Schminkspiegel. Mein braunen Haare waren durchnässt und meine dunklen Augen sahen mir entgegen. Auf meiner Wange konnte ich den roten Abdruck von dem Schlag meiner Mutter erkennen. Ich strich vorsichtig mit meinem Zeigefinger drüber und zuckte vor Schmerzen zusammen. Dieses mal hatte meine Mutter aber wirklich ganz schön fest zu geschlagen. Ich unterdrückte die Tränen und zog mit meinen Pyjama an. Als ich im Bett lag, begann ich aber dann doch leise zu weinen.

Die Prinzessin und ihr RitterWo Geschichten leben. Entdecke jetzt