Kapitel 5 - Emilia

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„Willst du noch etwas vom Braten?", fragte mich meine Mutter und ich hielt ihr meinen Teller hin, damit sie mir noch mehr geben konnte. Ich war schon fast verrückt nach Rostbraten, so komisch das auch klingen mag.Nachdem mein Vater das „Vater unser" aufgesagt hatte, wie jeden Sonntag vor dem Essen, konnte ich endlich beginnen zu essen. Köstlich, wie jedes Mal.

„Sag mal Emilia ...", fing meine Mutter mit ihrer „Ich-will-ja-nichts-andeuten-aber-eigentlich-schon"-Stimme. Misstrauisch biss ich weiterhin auf mein Stück Fleisch herum.

„Vorhin ist Rafael ja ganz schön unhöflich gewesen. Wo sind denn seine Manieren geblieben?", fragte sie empört. Seufzend verdrehte ich die Augen. Wollte sie ernsthaft über meinen Freund mit mir diskutieren?Ich antwortete ihr nicht und schob mir eine weitere Gabel meines heiligen Lieblingsessens in den Mund.

„Emilia! Du kannst doch wenigstens antworten, wenn ich mit dir rede! Du musst es doch zugeben, Rafael war unhöflich! Dein Hausarrest in Frage zu stellen, das geht ihn doch gar nichts an, nicht wahr?"

„Jaja. Können wir bitte Thema wechseln?", fragte ich genervt und legte die Gabel beiseite. Langsam aber sicher hatte ich keine Lust mehr auf das sonntägliche Mittagessen.

„Nein, können wir nicht! Ich fand diesen Rafael schon immer etwas seltsam, aber es war in Ordnung. Doch seitdem seinen Eltern in grauenvollen Umständen gestorben sind, also seit dem großen Unglück kann sich dieses Kind gar nicht mehr benehmen!"

„Mama ...", gab ich warnend von mir. Ich konnte es gar nicht ab, wenn sie anfing, über Rafael so abzulästern. Besser, sie würde gleich damit aufhören.

„Und außerdem, warum verbringt er die ganzen Ferien daheim eingeschlossen? Sollte sich der Junge nicht um seine Zukunft kümmern? Er ist ja jetzt mit der Schule fertig, irgendwie muss es mit ihm weitergehen. Er könnte doch wenigstens seinen Führerschein machen, oder einen Ferienjob suchen! Gott, diese Realschüler, also ich ..."

Wütend sprang ich vom Stuhl auf und dabei riss ein Stück Stoff von meinem Kleid. Mist, das war eins meiner Lieblingskleider gewesen.„Halt doch die Klappe, Mama! Rafa kann doch nichts dafür, dass seine Eltern sich umgebracht haben! Lass ihn doch einmal in Ruhe, ja? Nicht jeder kann, nachdem er plötzlich Waise geworden ist, sein Leben weiterführen als wäre nichts geschehen! Und falls es dich interessiert, Rafael, der ach so dumme Realschüler, fängt in September eine Kochausbildung an! Ach, damit hast du nicht gerechnet, oder? Ich wette, du dachtest, er kann sich nicht einmal ein Ei kochen. Warum musst du ihn immer so kritisieren? Und das nur, weil er nach dem Hausarrest gefragt hat! Wie überempfindlich bist du eigentlich?"Sauer schnappte ich nach Luft, während mich meine Mutter mit ihrem eiskalten Blick und errötenden Wangen anstarrte. Ich war eigentlich ziemlich stolz auf meine Rede. Irgendjemand musste es ihr doch mal sagen, oder?

„Emilia.", ertönte eine bedrohliche Stimme. Ups, ich hatte meinen Vater komplett vergessen. Es bedeutete nichts Gutes, wenn er jetzt eingriff. Ich zuckte zusammen.

„Emilia, geh sofort in dein Zimmer, bevor ich mich nicht mehr beherrschen kann. Sofort!"Aus dem Nichts kam das Adrenalin zurück und ich schrie ihn auch an.

„Fein! Okay! Wenn man hier nicht mal mehr seine Meinung sagen kan ... AU! Bist du verrückt?"Die Backpfeife schmerzte mehr, als es mir ansehen lassen wollte. Doch ich hätte heulen können.

„Geh in dein Zimmer! Jetzt sofort auf der Stelle! Und du hast Hausarrest für den Rest der Ferien!"Ohne meine Eltern eines Blickes zu würdigen stolzierte ich in mein Zimmer. Bevor ich die Tür zuschlug, konnte ich mir ein lautes „Mir Hausarrest geben, aber beschweren, dass Rafael nie aus dem Haus geht, mh? Macht Sinn!" nicht verkneifen.

Ich schloss die Tür ab und warf mich auf mein Bett. Eine Träne floss meine Wange herunter, aber ich riss mich zusammen. Mir war der Appetit auf Rostbraten definitiv vergangen.

-

Ich hörte das leise Klopfen nur ganz dumpf und reagierte nicht darauf. Don't vom Hottie Ed Sheeran erklang gerade durch meine Kopfhörer und ich schüttelte meinen Kopf im Rhythmus mit. Erst, als die Stimme meines Vaters durch die Tür drang sah ich mich gezwungen, ihn reinzulassen.Ich schloss auf.

„Endlich machst du hier auf! Seit wann schließt du dich denn ein?"Ich antwortete nicht und drehte das Lied lauter auf. Ich verspürte noch ein Kribbeln auf meiner Backe und ich merkte, wie die Wut langsam wieder in mir aufstieg.

„Wir müssen reden, Emilia. Dringend."Wieder antwortete ich nicht. Der konnte ruhig weiter reden, ich musste ja nicht jeden einzelnen Satz kommentieren. Leider schnappte er sich meine Kopfhörer und ich musste ihm wohl oder übel zuhören.

„Ich bin mir sicher, du weißt, dass dein Verhalten vorhin unmöglich war ..."Ups, sorry Dad, was du sagst interessiert mich null. Brav nicke ich bei seinem Blahblah, doch in Gedanken bin ich bei Rafael. Ich mache mir schon seit vorhin, als wir ihn gesehen haben, Sorgen um ihn. Zwar habe ich sein gefährliches Päckchen schnellstmöglich entsorgt, doch er könnte sich ein neues besorgen, oder? Ich weiß, er hat es mir versprochen, aber ich weiß nicht, ob ich ihm bei diesem Thema wirklich vertrauen kann. Mein Kopf möchte ihm gerne vertrauen und ihm glauben, dass er nie wieder so etwas wie Drogen anrühren wird, doch mein Bauchgefühl rät mir was anderes ...

„ ... Internat, oder etwas ähnliches. Wir denken nämlich ..."Bei diesem Wort werde ich wieder hellhörig. Hab ich das richtig verstanden?„Internat? Was für ein Internat?", frage ich verdutzt und mein Vater seufzt.„Das versuche ich dir doch die ganze Zeit zu erklären. Deine Mutter und ich denken, dass du in einem Internat besser aufgehoben wärst. Deine Manieren vorhin zeigen deutlich, dass dich hier in schlechtem Umgang aufhältst."Meine Güte, sag doch gleich, dass Rafael der schlechte Umgang ist. Sonst sehe ich außer ihm und Sara, gelegentlich auch zwei drei andere Leute aus meiner Klasse, niemanden. „Aber ihr könnt mich nicht einfach ins Internat schicken?"„Lass es dir durch den Kopf gehen. Deine Mutter und ich sind nämlich beide der Meinung ..."„ ... Dass es besser für mich wäre, jaja. Finde ich aber nicht. Sorry."Somit meine ich, die Diskussion beendet zu haben. Ein Internat, sind die noch ganz dicht?

„Lass es dir durch den Kopf gehen.", wiederholt mein Vater, legt meine Kopfhörer auf meinem Schreibtisch hin und verschwindet wieder. Dramatischer Abgang. Alles klar.Aber ein Internat? Nein danke.

Die Prinzessin und ihr RitterWo Geschichten leben. Entdecke jetzt