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Laureen öffnete wie jeden Morgen die Terrasse ihres schmucken Anwesens, schlüpfte durch die Tür hinaus und schlenderte über den Rasen zu ihrem liebsten angelegten Garten.

Öfters – so auch an diesem Morgen – tauchte Laureen ihre Hand filigran in die Luft, als würde sie sich von der lauen Sommermorgenbrise umschmeicheln lassen. Ihr seidener Morgenmantel rutschte dabei ihren Arm etwas hinunter, doch das machte ihr nichts aus. Mit der Nasenspitze der Sonne entgegen verharrte sie einen klitzekleinen Augenblick, bis ihr Lächeln sich in beide Mundwinkel vertiefte.

»Mhm.« Mit diesem wohligen Gruß nahm sie ihren Weg auf. Der führte sie über die freie Wiese auf den gepflasterten Pfad entlang der hochgewachsenen Hainbuchen, die sie allzu gerne bewundernd streifte. Ihr Gang wurde mit jedem Schritt flüssiger, eher fließender und schwungvoller.

Ihr Anblick ließ vermuten, dass sie sich auf die kommenden Stunden freute. Hinter den Hecken verbargen sich all ihre Kostbarkeiten. Die Mitte des Irrgartens gab ihren größten Schatz preis: ihren Arbeitsplatz. Um alle präzisen Schönheiten bewundern zu können, musste ein Weg voller Irrungen und Gabelungen auf sich genommen werden. Für Laureen selbst war das selbstverständlich kein Hindernis; ging sie doch Tag ein Tag aus dorthin.

Leichtfüßig in ihren Sandalen begab sie sich durch die Öffnung der Hainbuchen und verfolgte ihren Lieblingsweg zum Inneren. Vorbei an den Zeugnissen ihrer schaffenden Leidenschaft, die sie innerhalb des Irrgartens ausstellte.

»Guten Morgen«, begrüßte sie strahlend ihre Skulpturen und vergewisserte sich, dass alles mit ihnen in Ordnung sei und sie nicht verrückt waren. Es war müßig, für sie alle den perfekten Platz zu finden.

Als Steinhauerin hatte Laureen sich damit einen Namen gemacht, außergewöhnliche Gegenstände zum Leben zu erwecken – keine Gottheiten oder Idole. Nein, ihr Fokus lag woanders. Ihrem neuesten Objekt fehlten lediglich die letzten Feinschliffe. Bis es vollkommen sein würde; bis es ein Prachtexemplar von einem Kerzenleuchter sein würde.

Was als nächstes entstehen würde, konnte sie noch nicht zweifelsfrei sagen. Doch sie war sich sicher, dass es ihr spätestens mit dem letzten Meißelstich zugerufen werden würde. Sie rieb sich die Hände vor Freude, zupfte ein Band von ihrem Handgelenk, um ihre zerzausten Locken aus dem Gesichtsfeld zu verbannen und schnappte sich ihren Arbeitskittel.

Auf der Liste stehen noch genug Optionen, bis ich ›sie‹ alle zusammenhabe.

verrückt entrücktWo Geschichten leben. Entdecke jetzt