7

103 9 9
                                    

TW: Detaillierte Beschreibung von svv

Er wollte die Klinge unter seiner Haut spüren. Er wollte den Schmerz spüren. Er wollte etwas spüren. Jetzt.
Julien stand mit zitternden Beinen vom Boden auf und griff nach seiner Kosmetiktasche, in welcher seine Klingen waren. Eine Seite seines Kopfes sagte ihm, dass er es lassen sollte, doch die andere, die viel stärker war, wollte den Schmerz wieder spüren.
Julien öffnete die Tasche und nahm sich eine Klinge. Sie sah wunderschön aus und sie gab ihm ein Gefühl, was für ihn wunderschön schien. Er hielt die dünne, scharfe Metallplatte zwischen seinen Fingern, welche zitterten.
Obwohl Julien sich schon öfters selbstverletzt hatte, hatte er heute Angst. Er hatte nicht Angst sich mit der Klinge unter die Haut zu schneiden, sondern, dass Rezo es erfahren würde.
Julien packte die frische Klinge aus und merkte, wie sein Herz schneller schlug. Er atmete tief durch. Panik, dass Rezo sich sorgen machen würde und wütend sein würde, breitete sich in ihm aus.
Er rollte den Hoodie Ärmel seines linken Armes hoch, schließlich war er Rechtshänder. Julien starrte auf seinen mit leichten Kratzern bedeckten Arm. Würden die Narben für immer bleiben? War es überhaupt das wert? War der kurze Schmerz das überhaupt wert?
Trotz allem setzte Julien an. Er hielt sich die glänzende Klinge gegen den Arm. Seine Hand hörte nicht auf zu zittern. Fuck. Julien brauchte den Schmerz jetzt sofort, doch sein zitternder Körper ließ das ganze nicht zu.
Er versuchte seinen Körper zu kontrollieren, besser gesagt versuchte er mit dem Zittern aufzuhören. Er schaffte es sogar.
Julien zog sich die Klinge über den Arm. Erleichterung. Es war wirklich eine Erleichterung für ihn.
Lächelnd saß er auf dem Badezimmerboden, während er die Wunde auf seinem Arm anschaute, die langsam zu bluten begann. Sie war definitiv tiefer als seine bisherigen, klaffte sogar leicht. Juliens Herz raste. Er wusste, dass ihm nichts passieren würde, trotzdem war es eine aufregende Situation. Der Adrenalinschub dämpfte den Schmerz und machte ihn angenehm.
Das Blut lief Julien über den Arm und tropfte auf den Boden. Ein wunderschöner Anblick.
Er wollte mehr. Er wollte einen weiteren Schnitt oder auch weitere Schnitte. Parallel zu seinem vorherigen Schnitt setzte er erneut an, atmete kurz durch und zog dann erneut die Klinge über seinen Arm. Wieder Ablenkung und wieder Erleichterung.
Julien hasste sich selber dafür, dass er sich nur so beruhigen konnte und nur so mit seinem Leben umgehen konnte. Er konnte nur so überhaupt am Leben bleiben. Natürlich wollte er nicht am Leben bleiben, aber er versuchte noch ein wenig zu bleiben, für Rezo.
Immer mehr Blut floss über Juliens Arm. Zwar waren es nur zwei Schnitte, jedoch waren sie viel tiefer als jede vorherige Schnitte. Für ihn brachten ihn entweder viele kleine oder wenige tiefe zur Beruhigung. Sein Kopf war nun zufrieden mit ihm. Er konnte jetzt aufhören. Zwar musste er sich noch um seine Wunden kümmern, aber er war nun fertig.
Er räumte die kleine Blutverschmierte Klinge, die in seiner Hand lag wieder in seine Kosmetiktasche. Julien stand auf und ging zum Waschbecken. Er schaltete das Wasser ein und wusch seinen blutigen Arm ab. Er beobachtete wie sich das Blut langsam von seinem Arm entfernte und er nur noch die offenen Wunden sah.

Anschließend ging Julien unter die Dusche und duschte sich schnell, da er eigentlich im Bad war, um sich zu duschen. Bei der Berührung mit dem warmen Wasser und Duschgel brannte sein Arm. Julien empfand diesen Schmerz nicht für so angenehm, wie den Schmerz, den er verspürte, wenn er sich schnitt.
Nach einer kurzen dusche verließ er die Dusche und trocknete sich ab, dabei achtete er darauf, dass kein Blut auf sein Handtuch kam. Als er halbwegs trocken war, nahm er sich wieder seine Kosmetiktasche, diesmal um einen Verband rauszuholen und seine Wunden zu verbinden, statt neue zu erschaffen.
Durch den Verband fühlte Julien sich wieder wohler. Noch wohler fühlte er sich jedoch, als er sich seinen Hoodie überzog. Er zog sich danach noch seine Hose an und schaute dann auf den Boden. Blut. Der ganze Boden war voller Blut.
Julien nahm sich ein Stück Toilettenpapier und wischte sein eigenes Blut vom Boden. Wie konnte es sein, dass sowas nun ein Teil seines Lebens war.
Als alles sauber war, kuckte Julien in den Spiegel. Er sah ein bisschen fertig aus, leichte Augenringe befanden sich in seinem Gesicht, aber er hatte schlimmeres erwartet.

Nach dem kurzen durchatmen verließ er wieder das Badezimmer und lächelte seinen besten Freund an, der auf dem Bett saß und sich irgendetwas an seinem Handy anschaute. Schließlich schaute Rezo hoch und erwiederte Juliens Lächeln.
»Ich geh dann auch duschen, ja?« Er merkte anscheinend nichts, was Julien sehr glücklich machte. Seine leichte Panik verflog schnell, kam aber wieder, als er merkte, dass er es ja auch im laufe des Tages herausfinden konnte.
Julien nickte, sein bester Freund ging an ihm vorbei, ins Badezimmer. Jetzt war er wieder alleine, alleine mit seinen Gedanken, welche durch die selbstverletzung weniger negativ waren, als zuvor. Zumindest für einen kurzen Augenblick, danach wurden sie schlimmer als zuvor.
Es war wie ein ewiger Kreislauf ohne ein Ende. Es war wie eine Sucht, eine Sucht die niemals aufhören würde und auch wenn sie aufhören würde, würden Spuren bleiben. Narben würden bleiben.
Julien verstand selber nicht, warum er das ganze tat und warum das ganze ihm so gefiel. Natürlich kannte er den Auslöser, aber ehrlich gesagt dachte er anfangs, dass das selbst verletzen nur bei einem Mal bleiben würde. Jetzt tat er es Regelmäßig und konnte nicht ohne, obwohl er erst vor paar Wochen damit angefangen hatte.
Julien begab sich auf das Bett und nahm sich sein Handy zur Hand. Wenn Rezo mit dem duschen fertig war, mussten sie nach unten gehen. Er und seine Klasse würden vermutlich heute viel machen. Vielleicht sogar ins Freibad gehen. Fuck. Seine damalige Lieblingsaktivität bereitete ihm nun Angst. Wahnsinnige Angst.
Natürlich würde er nicht mitschwimmen und die Tatsache, dass er Rezo eine relativ gute Ausrede bieten konnte, nämlich seine Kratzer, die er als Einzelfall bezeichnet hatte, dämpften seine Angst wieder.

1007 words
Nochmal da das eine relativ detaillierte Beschreibung von selbst Verletzung war: Ich will selbstverletzung keinesfalls positiv darstellen, deswegen stehen in der Geschichte auch negative Sachen (bzw. die Realität darüber) drinnen. Jeder der Probleme mit svv hat, kann mit mir gerne schreiben, ich werde immer zuhören und versuchen zu helfen. Falls es aber dazu kommen sollte, ist Wundreinigung wichtig. Anders als in diesem Kapitel, sollte man eine klaffende wunde nicht so lassen. Am besten ist es zum Arzt zu gehen, wenn man aber nicht die Möglichkeit hat, kann man auch steri strips verwenden (gibts beim dm) und wenn man garnichts zur Hand hat, lieber mit einem Pflaster verbinden, statt mit einem Verband, da dieser in der Wunde  trocknen kann und kleben bleibt, was ziemlich unangenehm ist. Außerdem solltet ihr die Wunde auch mit wunddesinfektionsmitel desinfizieren.
An alle die mit svv struggeln: Bleibt stark, ihr schafft das.
Zum Schluss will ich Rezo zitieren: »Außerdem löst ihr damit nie die Ursache für eure Gefühle, sondern es ist maximal nur eine kurzzeitige Illusion eines guten Gefühls. Macht sowas nicht.«

Seine zerstörte Familie, die ihn langsam zerstörte || Juzo ffWo Geschichten leben. Entdecke jetzt