Geschmack

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Man brachte mir bei, ich sei die Knospe einer wunderschönen Blume und meine Blütezeit beginne, wenn mich ein Vampir zur Dienerin erwählt. Dafür habe ich bisher gelebt, gelernt und trainiert. Als Jahrgangsbeste an der Mädchenschule Violetta Auris darf ich auf einen edlen, wohlhabenden und, mit ein wenig Glück, sogar adligen Käufer hoffen.

Janet Auris führt diese Schule nun in der dritten Generation. Sie ist jene gute Seele, die mich am Leben erhalten hat, als meine Mutter aus der Stadt verwiesen wurde, ein Todesurteil, denn außerhalb herrscht eine lebensfeindliche Umgebung, zumindest für uns Menschen. Für mich ist der Weg zu überleben, die Knospe jener wunderschönen Blume zu sein und genau das bin ich. Ich werde blühen, wie keine andere vor mir.

Heute ist ein besonderer Tag. Jedes der zehn Mädchen in der Abschlussklasse erhielt die Anweisung, sich gründlich zu waschen, ein Röhrchen Blut abzugeben und sich zurechtzumachen. Die Verkäufe beginnen eigentlich erst nächste Woche, deshalb wissen wir alle, was das bedeutet. Es gibt eine exklusive Käuferanfrage, für die jede von uns Perfektion zu liefern hat. Wir alle tragen einfache pastellfarbene Kleider, mit denen wir uns gleichen sollen, doch das tun wir nicht. Sorgfältig kämme ich meine hüftlangen, lockigen, goldenen Haare, die mich unter ihnen allen hervorheben. Ich habe ein gutes Gefühl.

Ich wünsche den anderen Mädchen Glück, und doch gönne ich es ihnen nicht. Auch wenn ich ihnen nichts Schlechtes wünsche, geht es hier um mein eigenes, möglichst langes Überleben in dieser harten Welt. Meine Blüte wird bald beginnen. Ich weiß es.

Direktorin Auris wartet im Präsentationsraum auf uns, in dem sich viele Reihen bequemer Stühle befinden und eine kleine Bühne, auf die wir uns aber nicht stellen sollen, sondern davor. Einzeln liest sie vor, in welcher Reihenfolge wir uns zu platzieren haben.

"Miriam, Annabelle, Cecilia, ..."

Cecilia, das bin ich. Ich nicke und stelle mich neben Anna, die blass aussieht.

"Bist du okay?', frage ich aus Höflichkeit und erhalte ein kleines Nicken, so wie wir es gelernt haben. "Mir ist nur ein bisschen schlecht wegen der Aufregung."

Sie wäre eigentlich eine tolle Wahl, denn sie ist klug, freundlich, hat ein wunderschönes Lächeln, aber in ihrem Zustand ist sie keine Konkurrenz. Viele der anderen Mädchen wirken aber leider ähnlich motiviert wie ich. Na, wir werden sehen.

Nach einiger Zeit sind alle positioniert, Haare werden gelegt, letzte Falten in den Kleidern geglättet und dann wird es still.

Fünf Minuten stehen wir so, bis wir vom Gang aus Schritte hören. Es wird ernst.

Zuerst tritt die Direktorin ein und nach ihr folgt, wer uns wirklich interessiert. Wer wird der exklusive Kunde sein? Ich muss ruhig bleiben, perfekt bis in die Zehenspitzen.

Ein junger Vampir betrifft den Präsentationsraum. Er trägt kurze, lockige Haare in einem verräterischen Weißblond. Mein Gott, das ist der Jackpot. Das ist niemand anderes als der Sohn des Stadhalters. Ein Adliger aus der Lucard Familie. Niemand hier ist einflussreicher oder adliger als diese Familie. Durchatmen. Das muss einfach klappen.

Der hübsche junge Mann läuft an den ersten drei Mädchen vorbei, als ein weiterer Mann den Raum betritt, der kurz mein Denken aussetzen lässt.

Mein Gott, diese Aura. Er trägt die welligen weißblonden Haare halblang, die im Nacken zusammengebunden sind. Sein schwarzes Hemd ist offen, wodurch ich auf seine Brust sehen kann, an der er eine goldene Kette trägt, die zu seinen Ohrringen passt. Wenn mich nicht alles täuscht, ist er nicht nur der schönste Mann, dem ich je begegnet bin, er ist auch der Stadthalter höchstpersönlich.

Vaporized to OblivionWo Geschichten leben. Entdecke jetzt