Luxus

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Jedes Mädchen hat bereits gepackt, für den Fall, dass sie erwählt wird, so auch ich. Meine kleine Tasche trage ich selbst. Wir verlassen die Mädchenschule und rufen Solis. Das sind sowas wie fahrende Stühle aus transparentem Kunststoff, die die Fortbewegung in der Stadt komfortabel machen. Einen weiten Weg haben wir nicht, denn auch, wenn die Pyramidenstadt Mensonia mit einer Höhe von fast 500 Metern die größte ihrer Art ist, sind die Hochhäuser darin dicht beieinander gedrängt. Um welchen genauen Arbeitsort es sich handeln würde, wusste ich bereits, als die beiden Hochadligen die Schule betraten. Die Familie Lucard lebt in der Spitze des Zentralgebäudes, dem interessantesten und am besten ausgestatteten Hochhaus der Stadt, das zugleich auch als Mittelstütze der Pyramide dient.

Ich bin schrecklich aufgeregt, wenn auch auf positive Weise. Endlich endet die Schinderei in der Schule, in der ich stets alles gegeben habe, um die Beste zu sein. Lernten die anderen Mädchen, lernte ich mehr, pflegten sie sich, machte ich es präziser, lachten und spielten sie, arbeitete ich an mir, meinen Bewegungen, meiner Sprechweise. Die Mädchen waren lieb zu mir, aber Freunde fand ich auf diese Weise keine. Einzig unsere Direktorin Janet Auris kann und darf ich als meine engste Freundin betrachten.

Ich verstaue mein weniges Gepäck unter meinem Sitz. Dann fahren wir los, mitten durch die Stadt, was wir Mädchen natürlich unter Aufsicht schon oft getan haben. Am Tag ist nie besonders viel los. Mensonia lebt in der Nacht, sagt man, doch bezeugen kann ich das nicht. Bereits 19 Uhr begann unsere Sperrstunde. An den Schaufenstern und Werbetafeln kann ich dennoch erahnen, dass sich unsere Schule mitten in einem Vergnügungsviertel befinden muss.

Wir fahren nur drei Minuten, in denen Luis ständig zu mir schaut, mich Octavian aber keines Blickes mehr würdigt. Im Zentralgebäude docken die Solis mit der Rückenlehne an einen röhrenförmigen Aufzug an. Octavian ist bereits über uns. Seine während der Herfahrt übereinander geschlagenen Beine musste er wegen der Verletzungsgefahr nebeneinander stellen. Luis befindet sich in der Röhre neben mir und ich überlege, wie alt er ist. Als ich in der vierten Klasse war, feierte die Stadt ein Fest zu seiner Volljährigkeit, glaube ich. Das macht ihn acht Jahre älter als mich. Er ist also schon 25 und trotzdem noch so unbeholfen. Ohje, das kommt wohl davon, wenn man jemanden sein ganzes Leben lang in Watte packt.

In einem großen Empfangsraum mit jeder Menge Sitzgelegenheiten steigen wir in einen normalen Fahrstuhl um. Als wir im unfassbaren 144. Stock anhalten, verlassen nur Luis und ich die Kabine, Octavian aber nicht, der weiterfährt. Vor uns befindet sich eine Tür, die sich automatisch öffnet, als sich Luis nähert.

"Das ist meine Etage", sagt er stolz und geht vor. Allerdings bleibt er bereits in der Tür stehen und lächelt dann breit. Meine Aufregung wächst. Mir wird bewusst, dass ich zum ersten Mal mein neues Zuhause betrete und hoffe, dass es mir gefällt. Ich nehme meine Tasche, mache einige Schritte und staune. Der Raum hat Panoramafenster zu allen Seiten. Die Möbel sehen schlicht und bequem aus und stehen in so großen Abständen zueinander, dass man dazwischen tanzen könnte, was ich ziemlich gut beherrsche, aber jetzt natürlich nicht tue. Rechts von zwei Fensterfronten eingerahmt steht sein Himmelbett, der Ort, vor dem es mir am meisten schaudert. Dafür gefällt mir der riesige Tisch in der Mitte, der zum Arbeiten einlädt. An mehreren Stellen stehen Sessel oder Sofas, eines davon mit Blickrichtung nach draußen. Auch Pflanzen gibt es einige. Sie sind wichtig für die Sauerstoffsättigung der Luft und auch das Raumklima.

"Hast du Fragen?", höre ich dankenswerterweise. Ohja, eine Menge.

"Gehört die Reinigung zu meinen Aufgaben?"

Er schüttelt den Kopf. "Dafür gibt es anderes Personal. Ui, nicht schlecht. Dann kommen jetzt die unangenehmen Fragen.

"Wie ist es mit meiner Nahrungsaufnahme?"

Vaporized to OblivionWo Geschichten leben. Entdecke jetzt