05 Harry

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Als ich Freitagabend endlich die Schürze auszog und die Küche verließ, war ich todmüde. Die Woche hatte ich einige Überstunden gemacht und war froh, dass ich heute nicht bis spät in die Nacht bleiben musste. Es war kurz nach neun und ich ließ mich an der Bar nieder, denn Luke stand dahinter und mixte Drinks.
"Hast du umgeschult?", fragte ich den angehenden Hotelmanager und grinste, als er genervt die Augen verdrehte.
"Danny musste kurz weg, ich hoffe er kommt gleich wieder. Ich hab nämlich keine Ahnung, wie man einen"; er stoppte und sah auf seinen Notizblock. "Cosmopolitan mixt. Und was zur Hölle ist ein Espressomartini?". Er sah beinahe verzweifelt wieder zu mir und ich lachte während ich mich vom Barhocker rutschen ließ, um meinem Kumpel auszuhelfen, der neben Bier höchstens mal einen Cider bestellte.
Während ich die Bestellungen abarbeitete und Desna zum servieren hinstellte, schenkte ich uns natürlich den ein oder anderen Drink ein und als Danny endlich zurück war, hatten Luke und ich beide einen sitzen.

"Und was machen wir jetzt?", fragte Luke. Ich sah ihn empört an.
"Du warst derjenige, der mich in die Abstinenz geschickt hat und jetzt verführst du mich?".
Wir verließen das Hotel. Feierabend fühlte sich herrlich an.
Luke schnaubte amüsiert.
"Na komm, Isla ist dieses Wochenende nicht da und jetzt haben wir eh schon angefangen. Lass uns wenigstens noch was unternehmen".
Ich nickte.
"Außerdem", echauffierte er sich dann. "Habe ich dich nie", er malte betont deutliche Anführungszeichen in die Luft, "in die Abstinenz geschickt. Ich habe Sorge kundgetan und dir geraten, mal etwas kürzer zu treten. Riesiger Unterschied!".
Ich klopfte ihm auf die Schulter. Was ihm sagen sollte, dass ich es nicht ernst gemeint hatte und ihm auch dankbar war.
Über eine Woche lang hatte ich nun mein Programm runtergeschraubt. Zumindest das, was nach der Arbeit geschah. Außer eins, zwei Bier hatte ich keinen Alkohol getrunken und keine Drogen angerührt.
Ich war stolz auf mich. Für andere war das vermutlich schwer nachvollziehbar, aber so lange hatte ich seit geraumer Zeit keine Pause gemacht und als es mir an den ersten Abenden tatsächlich schwer fiel, zuhause zu bleiben, hatte ich Luke im Stillen Recht gegeben und gedankt.
Das hieß aber nicht, dass ich nun nicht mehr feiern gehen würde. Allerdings hatte ich beschlossen, mal ein paar weitere Wochen auf die Drogen zu verzichten, um meinem Schlafrhythmus etwas Gutes zu tun und das Feiern gehen aufs Wochenende beziehungsweise auf meine freien Tage zu verschieben.
Ich seufzte, sah an mir herunter, überlegte kurz.
"Dann lass uns zu mir fahren, dort trinken wir noch eins, zwei Bier, ziehen uns um und dann gehts los", entschied ich und Luke nickte begeistert.

Als ich meine Wohnungstür aufschloss, hörte ich Jamies Tür gerade zu gehen. Ich zögerte, dann vernahm ich Schritte im Treppenhaus.
"Ich hol dich an der Station ab, ich brauch eh noch Kippen", sprach Jamie in sein Telefon, als er auf meiner Etage ankam. Sein Gegenüber erwiderte etwas, Jamie schnalzte genervt mit der Zunge. "Zehn Minuten, Lizzie. Entspann dich", schob er dann hinterher. Die Anruferin (Liz?) hatte offensichtlich gefragt, wie lange es noch dauern würde.
Jamie legte auf und sah mich und Luke an.
"Hey, alles klar?", nickte ich ihm zu, Jamie lächelte und reichte uns lässig die Hand. Dann musterte er Luke und schien sich an ihn zu erinnern. "Du hast doch auch mal hier gewohnt. Ziehst du wieder ein?", fragte er.
"Ne ne. Ich hab hier nur mal eine Zeit auf der Couch pennen dürfen. Heute bin ich zu Besuch. Wir wollen bei Harry was trinken, bevor wir weiterziehen. Hast du schon was vor?".
Luke stand noch immer in meiner halb geöffneten Wohnungstür und schubste diese jetzt einladen auf.
Ich schmunzelte über meinen angetrunkenen Kumpel, der zwar nie schüchtern war, aber eher selten die Initiative ergriff.
Und ich war beeindruckt, wie leichtfertig er Jamie einlud. Ich zerbrach mir den Kopf, wie ich Freunde fand und Luke stand eine Sekunde in meinem Flur und kumpelte direkt mit meinem Nachbarn ab.
Jamie warf einen Blick auf sein Handy, überlegte kurz.
"Ich muss eine Freundin an der Bahn abholen und mir Zigaretten kaufen, aber wenns für euch okay ist, würde ich danach mit Lizzie gemeinsam bei euch vorbeischauen?".
Das war mehr als okay, dachte ich. Grinste aber lässig.
"Klar".

"Und diese Lizzie ist das Mädchen vom letzten Wochenende, ja?", fragte Luke ein paar Minuten später auf meinem Balkon. Ich hatte mich schnell abgeduscht und mir schnell etwas Frisches angezogen, sodass ich nun endlich nicht mehr nach Friteusenfett roch.
Ich nickte nachdenklich und fragte mich erneut, ob Jamie und sie was am Laufen hatten. Ich würde es vermutlich bald herausfinden und hoffte, dass es nicht so war.
Ich zog eine Zigarette aus dem Päckchen auf dem Tisch und zündete sie an, Luke trank einen herzhaften Schluck Bier.
Wir sprachen nun über dies und das, es war leicht. Luke und ich kannten uns schon lange und konnten miteinander über alles reden und auch mal Smalltalk führen.
Heute floss das Gespräch ganz oberflächlich dahin, wir hatten gute Laune und Luke sprühte nur so vor Motivation. Es fühlte sich nach einem dieser Abende an, als ich neu in London war und gerade mit meiner Ausbildung angefangen hatte. Luke war ebenfalls neu im Hotel gewesen und wir hatten jede Chance genutzt, gemeinsam um die Häuser zu ziehen.
Ich drückte gerade meine Zigarette im Aschenbecher aus, als es an der Tür klopfte.
"Kommt rein", sagte ich, nachdem ich geöffnet hatte und schenkte Jamie und Liz ein selbstsicheres Lächeln.
Dabei blieb mein Blick etwas länger an Liz hängen und sie schmunzelte zurück.
"Schön dich wieder zu treffen", sagte sie, als ich die beiden auf den Balkon führte, wo Luke sich natürlich höflich vorstellte.
Liz und Jamie setzten sich an den Tisch, ich bot ihnen Bier an, was sie gerne annahmen und Luke begann direkt Konversation zu betreiben.
Er und Jamie hatten schnell ein gemeinsames Thema gefunden: Musik.

"Wie geht es deinem Finger?", fragte ich Liz dann und sie hielt ihn mir fröhlich entgegen. "Fast verheilt", entgegnete sie. "Das habe ich wohl der grandiosen Erstversorgung zu verdanken".
Ich nahm ihre Hand entgegen und begutachtete sie. Ein paar silberne Ringe glänzten an ihren langen Fingern, ihre Nägel waren strahlend blau lackiert. Der Schnitt von letzter Woche war noch zu sehen, aber kaum mehr als eine schmale Linie.
Ein wenig länger als üblich hielt ich ihre Hand in meiner und Liz nahm sie auch nicht weg. Ich sah zu ihr auf, schmunzelte und ließ sie dann endlich los.
"Du hast mir noch gar nicht verraten, was dich zu diesem Schnittwundenprofi macht", spielte sie dann auf meine Aussage von letzter Woche an und lehnte sich in ihrem Stuhl zurück.
Ich nahm einen Schluck Bier und griff dann nach dem Päckchen Zigaretten auf dem Tisch. Ich hielt es Liz fragend entgegen, sie nahm sich einer heraus und steckte sie sich zwischen die Lippen. Sie sah so sexy aus und ich hielt ihr betont lässig das Feuerzeug entgegen, in dessen Flamme sie sich ihre Zigarette anzünden ließ.
Dann nahm ich mir selbst eine, zündete sie an und nahm einen Zug.
"Ich arbeite als Koch", sagte ich dann schulterzuckend. Vielleicht hatte sie jetzt wirklich einen Arzt oder so erwartet, doch damit konnte ich leider nicht dienen. Falls sie das nun enttäuschen sollte, war sie nicht die einzige. Da konnte sie sich direkt neben meiner Mutter einreihen.
Liz sah mich allerdings ehrlich interessiert an. Sie lehnte sich neugierig wieder in ihrem Stuhl nach vorn.
"Das finde ich cool! Wo denn?", fragte sie und ich erzählte ihr vom Hotel. Davon wie ich dort Luke kennengelernt hatte und wie sehr ich die Arbeit in der Küche liebte. Ich erzählte ihr aber auch, dass ich mehr und mehr die Schnauze voll davon hatte, nicht das kochen zu dürfen, was ich wollte und vorallem wie ich es wollte. Liz hörte mir aufmerksam zu und stellte irgendwie genau die richtigen Fragen und irgendwann war ich überrascht davon, wie viel ich von mir Preis gab.
Ich stellte fest, dass ich nun ganz schön viel gesprochen hatte und viel lieber etwas über sie lernen wollte.
Gerade entgegnete ich auf eine weitere Frage von Liz: "Erzähl mir lieber etwas von dir, ich hab genug geredet", als Luke zu mir rüber sah und fragte, ob wir weiterziehen wollten.Ich unterdrückte ein Seufzen und auch den Impuls ihn ohne mich los zu schicken.

"Was habt ihr denn noch vor?", fragte Jamie neugierig und Luke meinte, dass wir einfach gerne noch auswärts was trinken würden, am liebsten bei lauter Musik und der Möglichkeit zu tanzen.
"Habt ihr Lust mitzukommen?", fragte ich und fuhr mir durch die braunen Locken. Liz sah Jamie an, nickte aber bereits.
Ihr Kumpel (?) nickte ebenfalls. "Ich kenn da nen Laden mit großartiger Livemusik, wo man auch gut lange feiern kann".
Luke war begeistert, Liz allerdings gar nicht. "Jamie!", sagte sie genervt und verzog das Gesicht.
Er grinste und zuckte mit den Schultern. "Stell dich nicht so an, Lizzie. Da ist doch längst Gras drüber gewachsen".
Sie musterte ihn finster. Und ich war plötzlich mehr als neugierig.
"Live Musik klingt super", sagte ich also und Liz warf nun auch mir einen empörten Blick zu.
"Überstimmt, mein Schatz. Sorry!", entschied Jamie und stand energisch vom Balkontisch auf.

Skinny DippingWo Geschichten leben. Entdecke jetzt