Der Geist der rothaarigen Frau

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Es war eine dieser stillen Nächte, in denen der Mond hell am Himmel leuchtete und die Sterne wie kleine funkelnde Diamanten strahlten. In der kleinen Stadt Rivermoon hatte sich eine unheimliche Atmosphäre verbreitet. Die Legenden über den Wald am Rande der Stadt erzählten von einem grausamen Mörder, der dort hauste. Angeblich war seine letzte Tat die Ermordung einer rothaarigen Frau gewesen, deren Geist nun durch die Bäume schwebte und nach Rache suchte.

Die siebzehnjährigen Freunde Leo und Mia hatten alles davon gehört. Es waren die letzten Wochen vor dem Ende der Sommerferien und sie wollten das Abenteuer suchen und die Angst besiegen. Also beschlossen sie, eine Nacht im Wald von Rivermoon zu verbringen. Ihre Freunde hatten sie gewarnt, dass das keine gute Idee sei, aber sie schenkten diesen Geschichten keinen Glauben. Ausgerüstet mit einem Taschenmesser, zwei Taschenlampen, einem alten Zelt und ein paar Snacks machten sich die beiden auf den Weg.

Der Weg in den Wald war unheimlich still. Jedes Rascheln der Blätter und Japsen der Tiere ließ ihre Herzen schneller schlagen. Als sie endlich eine kleine Lichtung erreichten, stellten sie ihr Zelt auf und entzündeten ein Feuer. Das Knistern des Feuers gab ihnen das Gefühl von Sicherheit, aber die Geschichten über die rothaarige Frau und ihren Mörder schwirrten in ihren Köpfen.

"Glaubst du wirklich, dass es hier spukt?" fragte Mia, während sie in die Flammen starrte.

Leo zuckte mit den Schultern. "Ich weiß nicht. Vielleicht ist es alles nur ein Gerücht. Aber… was, wenn es wahr ist?"

Sie lachten nervös, aber das Lachen wurde schnell von einem leisen, melancholischen Weinen unterbrochen. Instinktiv wurde es still um sie herum. Ihre Herzen klopften im Takt der unheimlichen Melodie, die durch den Wald schwebte.

"Hörst du das?" flüsterte Mia und sah sich um.

"Ja, das kommt von dort drüben." Leo zeigte in die Dunkelheit die sich rechts von ihnen verbreitete. Gemeinsam beschlossen sie, dem Geräusch nachzugehen.

Als sie tiefer in den Wald vordrangen, wurde das Weinen lauter. Plötzlich stießen sie auf eine kleine Lichtung, und dort, geradeaus vor ihnen, stand eine schattenhafte Gestalt. Es war der Geist einer rothaarigen Frau, deren wilden Locken im Wind wehten. Ihr Gesicht war blass, und ihre Augen strahlten in einem tiefen türkisblau, das sowohl Traurigkeit als auch Entschlossenheit ausstrahlte.

"Hilfe…" hauchte die Frau und ihre Stimme war so schwach, dass sie kaum zu hören war. "Ihr müsst weg… er wird kommen…"

Mia zog Leo an ihrer Jacke zurück. "Wir sollten gehen Leo. Wir sind hier nicht sicher!"

"Warte!" Leo trat einen Schritt näher und rief: "Wen meintest du mit 'er'?"

Das Gespenst zitterte, als die Dunkelheit um sie herum dichter wurde. "Er ist hier. Der Mann, der mich getötet hat. Er sucht nach neuen Opfern. Ihr dürft nicht bleiben!"

Plötzlich hörten sie hinter sich ein Knacken und eine dunkle Gestalt trat aus den Schatten. "Wo denkt ihr hin, meine Lieben?" Die Stimme war kalt und durchdringend, und das Flüstern brachte ihre Nackenhaare zum stehen. Es war der Mörder, halb verborgen in der Dunkelheit. Seine Augen leuchteten wie zwei glühende Kohlen.

"Lauft! Jetzt!" schrie die rothaarige Frau und für einen Moment schien es, als würde sie sich zwischen den Jugendlichen und dem Mörder stellen. Doch ihre Gestalt begann zu flimmern, und Leo spürte einen scharfen Schmerz in seiner Brust als sich die Dunkelheit um sie herum schloss.

Die beiden Jugendlichen drehten sich um und rannten, so schnell sie konnten, den Pfad zurück, den sie gekommen waren. Der Mörder hinter ihnen schien wie ein Schatten, der niemals aufhörte zu bewegen. Sie schrien und strauchelten, während sie über Wurzeln und steinige Absätze sprangen.

"Mia, ich kann nicht mehr!" rief Leo, während er das Gefühl hatte, dass seine Beine ihn im Stich ließen.

"Komm! Wir müssen weiter!" rief Mia. Ihre Stimme war ein verzweifelter Schrei in der Nacht. Der Geist der rothaarigen Frau tauchte vor ihnen auf, ihre sanfte Präsenz gab ihnen einen Moment der Hoffnung.

"Ihr müsst mir vertrauen! Folgt mir!" rief sie, während sie die Jugendlichen in eine andere Richtung führte.

Sie rannten in die Dunkelheit, das Wehklagen des Geistes ermutigte sie, als sie sich schließlich mitten im Wald verloren glaubten. Der Mond tauchte die Szenerie in ein silbernes Licht, und die tanzenden Schatten um sie herum schienen vor Angst zu zittern.

Doch dann fiel Leo zu Boden und Mia drehte sich um, um ihm zu helfen. "Leo, was ist los?" Fragte sie nach Luft schnappend.

"Ich kann nicht mehr" keuchte er. Und genau als diese Worte fielen, hörten sie das Lachen des Mörders und es war das letzte was sie hören wollten.

"Bitte, steh auf!" rief Mia panisch. Doch Leo war wie festgewurzelt. Seine Augen weit aufgerissen, als er die dunkle Gestalt nahebei erblickte.

Gerade als der Mörder sich über Leo beugte, hob die rothaarige Frau ihre Hand. "Stop!" rief sie mit einer Stimme, die so stark war, dass sie den Wind durchdrang. Der Mörder hielt inne und sein Gesicht frisierte sich vor Wut.

"Sie sind meine!" schrie er, aber die Frau erwiderte: "Nicht mehr! Du hast dein Werk vollendet, aber deine Zeit ist vorbei!"

In diesem Moment wurde die Dunkelheit von einem gleißenden Licht durchbrochen, das vom Geist der rothaarigen Frau ausging. Leo fühlte, wie das Gefühl zurück in seine Beine kam und er sprang auf. Gemeinsam mit Mia rannten sie zu einem Baum, der ihnen Schutz bot.

Die Gestalt des Mörders begann zu verschwinden, als die rothaarige Frau an Intensität gewann und schließlich zog sie ihn in die Dunkelheit zurück aus der er gekommen war. "Lauft! Und vergesst niemals, was geschehen ist!" rief ihr Geist, während sie sich auflöste.

Leo und Mia blieben einen Moment lang noch stehen. Sie atmeten tief ein und sahen sich an. "Was war das?" fragte Mia. Ihr Herz klopfte bis zum Hals.

"Ich… ich glaube, wir wurden gerettet. Sie hat uns gerettet." murmelte Leo. "Lass uns nach Hause gehen. Es ist nicht sicher hier."

Die beiden verließen den Wald. Erst als sie den Rand des Waldes erreichten, drehte sich Leo noch einmal um und flüsterte: "Danke…"

Die rothaarige Frau war fort, aber ihr Geist würde nie vergessen werden. Und auf eine seltsame Art und Weise fühlten sie sich, als hätten sie nicht nur ihr Leben gerettet, sondern auch den Frieden einer verlorenen Seele. In der Kälte der Nacht lebte die Erinnerung an die warnende Stimme weiter und beschützte zukünftige Wanderer vor dem Schatten, der im Wald hauste.

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