April 2007

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„Du solltest dringend damit aufhören."

Ich kniete neben Josias auf dem Rasen des weitläufigen Gartens, der an unser Haus anschloss, und hob Handvoll um Handvoll Erde aus dem Loch, das wir gerade gruben. Im Gegensatz zu mir benutzte er Mamas Gartenschaufel. Er hasste Dreck unter den Fingernägeln wie die Pest.

„Warum?", fragte ich.

„Weil", er rümpfte die Nase, als ich aus Versehen – extra – etwas Erde auf seine Shorts fallen ließ, „normale Menschen das nicht machen. Du musst lernen, normal zu sein."

Dabei hatte ich dieses Mal gar nichts Böses getan, immerhin hatte ich unser Kaninchen gemocht. Es war flauschig gewesen, mit weichem, gepunktetem Fell und zwei gigantischen Schlappohren, die bei jedem Hoppeln über den Boden geschleift waren. Ich hatte es den ganzen Vormittag über gekuschelt.

Ich hatte es etwas zu fest gekuschelt.

„Ich mag Tiere", meinte ich und griff nach Oswalds schlaffem Körper, als das Loch endlich tief genug war. Er war immer noch weich und warm. „Ich hab ihn nicht extra abgemurkst."

„Genau deswegen habe ich dir gesagt, dass du aufpassen sollst." Er seufzte. „Leg ihn in das Loch."

„Okay." Ich ließ Oswald mit dem Kopf voran hineinfallen, ein Knäul aus Gliedmaßen. Jetzt sah er nicht mehr ganz so niedlich aus. „Was erzählen wir Papa?"

„Um ihn kümmere ich mich." Josias erhob sich und schüttelte die letzten Krümel Erde von seiner Hose, die Schaufel nur noch mit den Fingerspitzen haltend. „Du bleibst einfach still und lässt mich reden, hörst du?"

„Mhm." Ich häufte die ausgehobene Erde zurück ins Loch und klopfte sie fest. Wir hatten ein Grab gebaut. Einen Friedhof der Kuscheltiere.

„Gut." Er überreichte mir die Schaufel und wollte noch etwas hinzufügen, allerdings kam er nicht weit. Unser Vater unterbrach ihn.

„Was ist hier los?" Im Gegensatz zu Oswald war Papa überhaupt nicht kuschelig. Er war hart wie Kruppstahl.

„Ich habe vergessen, Oswalds Käfig zuzumachen." Josias' Mimik fiel prompt in sich zusammen. Seine Unterlippe zitterte, seine Augen produzierten Tränen und seine Stimme brach weg. Er war ein Genie. „Als wir gerade zu ihm sind, lag er auf der Wiese und hat sich nicht mehr bewegt. Irgendein Tier hat ihn angefallen."

Papa legte Josias eine Hand auf die Schulter und zog ihn für eine Umarmung an sich heran. „Sei nicht traurig, wir kaufen dir einen neuen Hasen."

Josias nickte und drückte sich an ihn, während Papa seine Aufmerksamkeit mir zuwandte: „Hast du den Käfig im Nachhinein geöffnet?"

„Ne." Ich schüttelte den Kopf. Staub rieselte zu Boden. „Ich habe ihm nur dabei geholfen, den Kadaver zu besei-"

In den allermeisten Momenten verstand ich nicht, weshalb unser Vater mich schlug. Dieser Moment war einer davon.

Ich fasste mir an die Wange und blickte zu ihm auf. „Wofür war die Schelle?"

Aber statt einer Antwort stellte er mir eine Gegenfrage: „Siehst du nicht, dass dein Bruder gerade traurig ist?"

Blinzelnd schwenkte ich meinen Blick zu Josias hin, der den Kopf heimlich in meine Richtung gedreht hatte und mich mit einem warnenden Halt die Klappe anschaute.

„Doch", sagte ich und kratzte mir über die getroffene Stelle. Sie kribbelte. „Deswegen habe ich ihm die Drecksarbeit ja abgenommen und Oswald verbuddelt. Damit er sich die Hände nicht schmutzig machen muss."

Fucking VanillaWo Geschichten leben. Entdecke jetzt