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Die nächsten Tage zogen schnell an mir vorrüber und die Verletzung am Bein heilte gut, dennoch blieb ich vorerst im Krankenzimmer. Die wenigen Leute, die von meinem Erinnerungsverlust wussten, wurden von allem benachrichtigt.

Ich erfuhr, dass die Wachen, die mit mir in dem Flugzeug saßen, alle, bis auf einen, der nach Hause zu seiner Familie geschickt wurde, wieder gesund waren und weiter arbeiteten. Man versicherte mir er würde wieder vollkommen genesen.

Jetzt saß ich an dem Schreibtisch, der mir vor ein paar Tagen auf das Krankenzimmer gebracht worden war, und schrieb an meine Familie. Neben mir lagen zwei Stapel Briefe, alle an mich addressiert. In einer fast bis zum Platzen gefüllten Kiste unter dem Tisch, befanden sich ebenfalls noch haufenweise Briefe.
Ich beendete meinen Brief, versiegelte ihn und legte ihn dann auf mein Bett, damit er nicht zwischen den anderen unter ging. Halb ging, halb hinkte ich zurück zum Schreibtisch. Einige Zeit sah ich die Briefe einfach nur an, dann nahm ich den obersten vom Stapel zu meiner linken und öffnete ihn. Eine kleine Muschel fiel heraus, als ich das Blattpapier herauszog und es auffaltete.

Die Tür schwang plötzlich auf und Mirolan kam herein. Hinter mir blieb er stehen. "Bist du dabei, deine Fanpost zu lesen?"

Ich legte meinen Kopf in den Nacken und lächelte ihn von unten an. "Fanpost ist ein wenig übertrieben, oder?"

Mirolan senkte seinen Kopf und küsste mich zur Begrüßung auf den Mund, dann zog er sich einen Stuhl heran. "Was soll es sonst sein?", erwiederte er, "Die sind alle für dich gekommen, als wir uns verlobten - einige sogar schon vorher"

"Dann sind es doch er Glückwunschbriefe", meinte ich.
"Glückwunschkarten bekommt man bei einem Geburtstag oder einer Hochzeit", Mirolan ließ seinen Blick über die gestapelten Briefe gleiten.
"Zumindestens muss ich die nächsten dann ja nicht alleine öffnen", murmelte ich und spielte mit der Muschel in meiner Hand, "Ich habe vielleicht ein zehntel hinter mir und meine Finger schmerzen schon allein vom Öffnen"

"Sieh doch das positive: du bekommst doch auch teilweise Geschenke - wie das in deiner Hand", lachte er, "Was ist das überhaupt?"

Ich hielt die Muschel hoch, so dass er sie sehen konnte. "Sie kommt von der Westküste. Ich hatte mir Muschelen irgendwie immer größer vorgestellt", ich betrachtete das daumengroße Fundstück eingehend.

"Du hast noch nie welche gesehen?", fragte Mirolan, klang aber nicht sonderlich überrascht.

"Wo denn? In meiner alten Provinz gibt es keine Meere oder dergleichen, wo man Muscheln finden kann, und ich kannte auch niemanden, der es sich leisten konnte, dorthin zu reisen", ich sah Mirolan an und ahnte, wie meine Augen jetzt leuchten mussten, "Aber es ist bestimmt wunderschön dort. Meterhohe Wellen, die von Steinen gebrochen werden, weiße Sandstrände, hohe Klippen, hübsche Muscheln, sternenklare Nächte", schwärmte ich.

"Ich war selbst erst ein paar Mal dort", meinte Mirolan, "Wenn wir nach Frankreich mussten. Ich habe zwar nicht viel davon gesehen, aber so schön ist es auch wieder nicht"

Ich seufzte und zuckte die Achseln. "In meiner Vorstellung ist es das", erklärte ich und kehrte aus meiner Tagtraumwelt zurück, "Aber was wolltest du eigentlich hier?"

"Oh ja, richtig, hab ich ganz vergessen", Mirolan drückte den Rücken durch, "Wir haben die Attentäter aus deinem Flugzeug geschnappt. Sie sitzen jetzt im Gefängniss, wo sie noch einige Verhöre erwarten"

Ein halb lautes "Wie?", war das einzige, was ich hervorbrachte.
Ich wusste nicht, wie ich reagieren sollte. Sollte ich mich freuen? Sollte ich traurig sein, weil sie ja nur für eine bessere Gesellschafft gekämpft hatten? Irgendwie fühlte ich gar nichts.

The Selection ~ Yora's GeschichteWo Geschichten leben. Entdecke jetzt