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~Mirolan~

Der Schutzbunker war nicht sonderlich groß. Zwei Betten, ein Waschbecken und ein paar Stühle um einem Tisch herum, mehr passte nicht herein.

"Jetzt heißt es wohl warten bis die Wachen uns nach dem Angriff finden", meinte mein Vater und ließ sich auf einen Stuhl fallen.

Yora blickte nicht sonderlich begeistert, legte aber ihren Degen auf den Tisch und streifte die Flügel ihres Kleides ab.
Fast eine Woche habe ich jetzt versucht ohne sie zu leben, keine Treffen mit ihr gehabt und auch sonst nicht mit ihr gesprochen.

Ich ging zum Waschbecken und drehte den Hahn auf. Das Wasser sammelte sich in meinen Händen, die ich zu einer Schale geformt hatte. Ich nahm sie hoch und wusch mein Gesicht damit.
Und? Was habe ich davon? Ich weiß jetzt, dass ich es nicht lange aushalte ohne sie. Und dass es ihr wohl nicht so geht wie mir.

Ich drehte den Hahn zu und wischte mir die Hände an der Hose ab.
Sonst hätte sie sicherlich etwas anderes auf meine Andeutung vorhin geantwortet, oder?

Ein Seufzen entfuhr mir, als ich mich auf eines der Betten fallen ließ.

"Was, etwa so geschafft?", fragte Yora mit einem Unterton, der wohl spöttisch klingen sollte, es aber nicht tat. Sie war jetzt an das Waschbecken getreten und wischte sich die Schminke vom Gesicht.

"Hey, ich habe gerade vermutlich 100 Leben gerettet", protestierte ich.

"Ja, vermutlich hast - habt Ihr das", entgegnete sie ohne vom Waschbecken aufzuschauen, "Und ich nicht, oder was?" Endlich drehts sich Yora zu mir. Die Haare fielen ihr nun offen über die Schultern und das einzigste was sie noch trug war das Kleid, kein Schmuck mehr, keine Schuhe. Sie sah so verdammt gut aus, so jung und gleichzeitig wild und frei...

"Doch", lenkte ich ein, "Natürlich ist das genauso auch dein Verdienst. Wahrscheinlich hast du mit dem Angriff davor zusammen sogar mehr geleistet als ich"

Mein Vater, den ich während des Gespräches kaum beachtet hatte, warf mir einen Blick zu, eine Augenbraue gehoben und den Mund zu einem schrägen Grinsen verzogen.

"Ich werde dann mal dafür sorgen, dass sie uns später finden", meinte der König dann und öffnete eine Tür direkt neben dem Eingang, wohinter er dann verschwand.

Yora ließ sich auf einen Stuhl fallen. "Tja, ich schätze, wenn ich morgen gehe, werdet ihr hier ein ernsthaftes Sicherheitsproblem haben", meinte sie.

"Moment warte! Warum- ich meine-", stammelte ich verwirrt und geschockt, "Du willst gehen?"

"Ich denke nicht, dass es eine Rolle spielt, was ich will", Yora starrte auf die Tischplatte, als sei sie furchtbar interessant.

"Was redest du da für einen Unsinn? Natürlich spielt es eine Rolle, was du willst", rief ich aufgebracht aus, "Yora, was ist los?", sagte ich dann etwas ruhiger.

"Du hast mich doch vorgewarnt, dass ich rausfliegen werde!", entgegnete sie und schaute mich wütend an.

"Was? Wann?"

"Du sagtest, du hättest deine Zukünftige bereits. Du wolltest mir nicht sagen, wer es ist. Und du hast mir die ganze letzte Woche keine Beachtung geschenkt", leise und langsam sprach sie die Worte aus.

Oh Yora, natürlich habe ich meine Frau bereits. Natürlich will ich dir nicht sagen wer es ist, denn es gab immer nur eine, seit Beginn des Castings, gab es immer nur eine, Yora, dich. Seitdem ich denken kann, habe ich noch nie jemanden so sehr gebraucht, wie dich. Jeden Tag, an dem du da bist, rettest du mich. Und ich habe früher nie gemerkt, wie verloren ich doch bin.

"Aber ich habe dir auch gesagt, ich würde dich weiter im Schwertkampf unterrichten, bis ich dir alles gelehrt habe", sagte ich nur, obwohl mir tausend andere Dinge die ich hätte sagen können durch den Kopf gingen, "Und das Angebot, mein Versprechen, gilt so lange, bis du es auflöst"

Lange Zeit sagte Yora nichts, schaute mich nicht einmal an.

Doch ich, ich hoffte darauf, dass sie mich endlich wieder mit ihren wunderschönen Augen ansah.

Ich wusste, dass sie einen guten Grund dafür hatte, wie sie sich benahm. Nicht nur jetzt, dass sie mich nicht ansah. Einen Grund, dass sie nicht tanzte. Dass sie generell niemanden zu nah an sich heran ließ. Und ich wusste, dass es wirklich schlimm war.

Als ich Lady Chloé näher kennen lernte, verhielt sie sich ähnlich wie Yora, sie ging auf Distanz. Doch tatsächlich war sie irgendwann, vor ein paar Tagen war es erst, bereit, mir von allen zu erzählen. So erfuhr ich, dass die Fünf am Casting teilgenommen hatte, um nicht länger bei ihren Eltern bleiben zu müssen, denn ihr Vater hatte Chloé geschlagen. Ich hatte ihr versprochen, ohne dass sie es verlangt hatte, sie könne so lange hier bleiben wie ich es hinauszögern konnte.

Im Vergleich zu Yora hatte ich mit Chloé allerdings herzlich wenig Zeit verbracht und dennoch machte Yora keine Anstalten, es mir zu sagen.
Vielleicht liegt es einfach an ihrem Charakter, dass sie niemanden etwas erzählt, hatte ich versucht mir einzureden, obwohl mein Gefühl mir sagte, dass Yora viel schlimmeres erlitten hatte.

"Sie wissen Bescheid", holte mein Vater mich aus den Gedanken, als er wieder herein kam.

Ich schaffte es, den Blick von Yora abzuwenden und ihn anzusehen.

"Ist der Angriff vorbei?", fragte ich. Der König nickte.

"Tote? Verletzte?", fragte Yora sofort.

Phillipus lächelte beruhigend. "Nur Verwüstung"

Ein Klicken ertönte und die Tür des Schutzraumes ging auf. Zwei Wachen standen davor.

"Nun, Lady Yora", sagte mein Vater mit Wärme, "Am besten kehren Sie auf ihr Zimmer zurück und schlafen noch ein wenig. Das selbe solltest du überigens auch machen, Mirolan"

Ich nickte nur und wollte hinter den Beiden Wachen und meinem Vater und Yora aus dem Raum gehen, als sich die hintere Wache umdrehte, Officer Lional aus Yora's Heimat, wie ich erkannte.

"Wie konntest du ihr Hoffnungen machen und dann sagen, sie ist draußen?!", warf er mir leise vor.

Einen Moment war ich zu überrascht, um überhaupt zu antworten. "Das war ein Missverständniss, wie ich ihr auch schon erklärt habe, ich wollte sie nie rauswerfen", erklärte ich dann.

Der junge Mann kniff die Augen zusammen. "Hör jetzt genau zu", sagte er bedrohlich, "Du magst der Prinz und zukünftiger Herrscher unseres Landes sein, aber Yora ist meine beste Freundin und wenn du es wagst, sie auch nur annähernt körperlich oder psychisch zu verletzen, dann wirst du eines morgens nicht mehr aufwachen"

"Nur gut, dass ich nicht die Absicht habe, ihr irgendwie Leid zu zufügen", entgegnete ich gelassen, obwohl mich die Drohung schockierte. Habe ich Yora damit wirklich so weh getan?

"Ob Absicht oder nicht spielt keine Rolle", knurrte Officer Lional. "Aber", sagte er etwas ruhiger, "Ich habe das Gefühl, dass du wirklich an sie heran kommst. Vielleicht liebst du sie ja tatsächlich"

Ich schluckte. Mehr als alles andere.

Doch David ließ mir keine Zeit es zu erklären und ging aus dem Schutzraum und dann weiter den Flur hinunter.

Mit wirbelndem Kopf lief ich zurück zu meinen Zimmer. Aber statt mir wegen der Drohung Sorgen zu machen, konnte ich nur daran denken, was Officer Lional noch gesagt hatte, nämlich dass ich wirklich an Yora herankomme...

Vielleicht, nur vielleicht, möglicherweise, liebte Yora mich.

Und diese winzige Hoffnung, die sich in mir regte, die ich nicht mal aussprechen konnte, machte mich so glücklich, dass ich alle anderen Sorgen für eine Zeit vergaß.

The Selection ~ Yora's GeschichteWo Geschichten leben. Entdecke jetzt