Die vielen Bäume und die kleinen Häuser schienen nur so vorbei zu gleiten, während der gedämpfte Klang von Hufen über den Weg hallte. Maliah genoss den Wind, der in ihren Haaren wehte und die kühle Luft, die ihr ins Gesicht peitschte, als sie den breiten Weg entlang galoppierte.
Sie liebte dieses Gefühl. Das Gefühl von Freiheit und Frieden.
Das waren die Momente, in denen sie sich wünschte, sie mögen ewig so weitergehen.Doch als sie das riesige Tor zum Eingang ihres Zuhauses erblickte, verspürte sie einen Knoten in der Brust.
Sie verlangsamte das Pferd und stieg von ihrem geliebten Lipizzaner, der in seinem strahlend weißen Fell majestätisch da stand.
Sie klopfte sanft auf den Rücken des Pferdes und streichelte über seine warmen Nüstern."Das war wie immer ein toller Ausritt, Aurora. Und doch war er nicht lang genug.", sagte sie und diese schnaubte, als würde sie ihr zustimmen.
Sofort kam ein Hofdiener angerannt, der sich verbeugte, ihr das Zaumzeug aus der Hand nahm und Aurora wegführte.
Eine Dienstmagd stand erwartend am Eingang des Tores und machte einen kurzen Knick, als sie vorbei ging.
"Das Bad ist vorbereitet, eure Hoheit.", sagte sie und machte eine Handbewegung zum Schlossinnerin.Das riesige Schloss war aus braun grauem Stein gefertigt und ragte so weit in die Höhe, als wolle es den Himmel erreichen. Es überragte jedes andere Gebäude im gesamten Königreich.
Maliah atmete aus und ignorierte den aufkommenden Druck ihrer Pflicht, der sie bis eben noch entkommen war.
Sie betrat das Schloss, wo von jeweils rechts und links der Tür eine Palastwache stand und starr geradeaus blickte.
Der Türsteher begrüßte sie mit einer langen Verbeugung.Sie schritt den langen Flur entlang, die lange Treppe hinauf, bis zu ihrem Schlafgemach, an dem sie von ihrer Kammerzofe empfangen wurde.
Auch diese verbeugte sich.
"Prinzessin Maliah, ihr Bad ist frisch vorbereitet.""Ich danke dir Margrit.", bedankte sie sich mit einem leichten Lächeln.
Das heiße Wasser fühlte sich gut auf ihrer Haut an und entspannte ihre Muskeln.
Der Duft von Lavendel und die lilanen Blüten, die im Wasser trieben, schienen die Wirkung noch einmal mehr zu verstärken und sie ließ sich weiter in die Wanne sinken und schloss entspannt die Augen.
Bald würde wieder das Erntefest in Eldoria stattfinden und sie hatte noch einiges zu regeln.
Die ganzen Vorbereitungen von der Dekoration bis hin zur Organisation der verschiedenen Festaktivitäten mussten reibungslos verlaufen.
Den Empfang der Gäste sowie die Unterstützung der wohltätigen Organisationen, waren ebenfalls einer ihrer Aufgaben, auch wenn ihr der Teil mit dem Verteilen der Gaben an die Bedürftigen immer am meisten Freude bereitete.Ein leises Klopfen an der Tür ihres Bades, ließ sie wieder die Augen öffnen.
Eine Dienstmagd trat ein und verbeugte sich.
"Verzeihung, eure Hoheit. Aber eure Majestät, ihr Vater, lässt nach Ihnen rufen.", richtete sie aus.
Sofort wich die Entspanntheit wieder aus ihrem Körper und der Knoten in ihrer Brust festigte sich.
"Ich werde sofort erscheinen.", antwortete sie und erhob sich aus der Wanne.
Ihre Kammerzofe half ihr hinaus und warf ihr einen Mantel über.
Die Dienstmagd nickte, verbeugte sich erneut und eilte aus dem Zimmer.Maliah wurde angekleidet und ihr Haar hochgesteckt. Während sie auf dem Stuhl saß und sich fertig machen ließ, überströmten sie etliche Gedanken. Worüber wollte er wohl erneut mit ihr sprechen? Ging es wieder um die Thronfolge? Oder ihre Pflichten, denen sie zwar nachkam, er aber zu merken schien, dass es sie nicht sonderlich erfreute? Oder ging es wieder um die Heirat, ihre Verlobung, der sie zu entrinnen versuchte.
Solange Mutter noch lebte, hatte diese das verhindern und hinauszögern können, da sie bemerkte, dass Maliah noch nicht so weit war. Doch als sie verstarb, bestand ihr Vater darauf, dass sie so schnell wie möglich den Bund der Ehe einging und einen Erben zeugte.Die Art und Weise, wie er sich veränderte nach ihrem Tod, machte Maliah große Angst. Er wurde kalt und hart.
Maliah schluckte und hob ihr Kinn, als sie den privaten Salon des Königs betrat. Die Tür wurde geschlossen und ihr Vater saß aufrecht in seinem großen braunen Sessel, welcher am Rand von Gold überzogen war. Seine ebenso goldene und mächtige Krone, thronte majästätisch auf seinem Kopf.
"Ihr habt nach mir rufen lassen, Vater.", sagte Maliah mit einer bemüht festen Stimme. Der König sah sie durch seine strengen braunen Augen an.
"Wie du sicher weißt, steht das Erntefest an und etliche Besucher werden uns beehren. Darunter der Herzog und seine Familie von Arania.", begann er zu sprechen. Wieder schluckte Maliah. Sie wusste, was jetzt kommen würde.
"Ich habe dir bereits von Herzog Julius erzählt, er stammt aus einer der ältesten und mächtigsten Familien dieses Königreichs, die viele Ländereien und Vasallen kontrolliert. Ich habe bereits Vorkehrungen getroffen und ihr beiden werdet euch verloben."
Am liebsten wäre Maliah wieder umgedreht und wünschte, sie wäre gar nicht erst hineingekommen. "Aber Vater...", setzte sie an, doch verstummte sofort, als er sich von seinem Sessel erhob und langsam auf sie zuging. Ihr Herz beschleunigte sich um das Zehnfache und sie machte sich klein, als er vor ihr stand.
"Willst du mir etwa widersprechen Kind?", sagte er bedrohlich leise. Sie schüttelte den Kopf und wagte nicht, ihm in die Augen zu blicken. Grob packte er sie am Kinn und zwang sie, ihn anzublicken. Maliah schnappte ängstlich nach Luft. Der harte Griff um ihr Kinn fühlte sich schmerzhaft an.
"Sieh mich gefälligst an, wenn ich mit dir spreche!"
Tränen traten ihr in die Augen und sie versuchte, diese weg zu blinzeln.
"Verzeihen Sie, Vater.", sagte sie mit gebrochener Stimme.
Seine Augen verengten sich wütend und plötzlich ließ er sie so abrupt los, dass sie nach hinten taumelte. Maliah fing sich wieder und ihr Atem ging schnell. Sie fasste sich an ihr schmerzendes Kinn und hoffte, es würde nicht rot anlaufen oder gar blaue Flecken bilden.
"Geh und bereite alles nötige für das Fest vor.", sagte er mit dem Rücken zu ihr gewandt.
"Jawohl, Vater." Ihre Stimme zitterte und schnell eilte sie aus dem Zimmer, aus Angst, er würde es sich doch nochmal anders überlegen und seine Wut erneut an ihr rauslassen.
Sie lief erneut in ihr Schlafgemach, die Tränen zurückhaltend.
"Geht, lasst mich alleine.", befahl sie den Dienern und Kammerzofen, die in ihrem Zimmer standen. Zügig verließen sie das große Zimmer und schlossen die Tür. Gegen die aufkommenden Tränen konnte sie sich nicht mehr wehren. Ein Schluchzen drang aus ihrer Kehle und sie hielt sich die Hand vor den Mund. Das enge Korsett schnürte ihr die Luft zum Atmen. Eine Weile ließ sie ihren Tränen freien Lauf und versuchte, den Schmerz in ihrer Brust zurückzudrängen. Zugleich war sie erleichtert, dass er sie diesmal kaum berührt hatte. Sie betrachtete sich im Spiegel. Die leichte Rötung an ihrem Kinn schien etwas nachzulassen, es würde also bald verschwinden und nicht mehr zu sehen sein. Sie fasste sich an ihre Oberarme, die von dem Kleid verdeckt waren und erinnerte sich nur zu gut daran, wie schmerzhaft diese blauen Flecken auf ihnen entstanden waren. Sie hatte Glück, dass er heute nicht allzu wütend war.
Ihr Vater war nach dem Tod ihrer Mutter ein völlig anderer Mensch geworden. Nie hätte sie gedacht, dass er seiner Tochter jemals ein Haar krümmen würde. Maliah richtete das etwas verrutschte Diadem in ihrem Haar und streifte ihr langes elegantes Kleid zurecht. Sie hob ihr Kinn und lächelte.
"Kopf hoch und immer lächeln.", hatte ihre Mutter immer gesagt.
"Zeige ihnen nie, wie du dich fühlst, das könnte man als Schwäche sehen. Anmut, Eleganz, Respekt, Höflichkeit, immer ein Lächeln auf den Lippen. Das ist wie eine Prinzessin zu sein hat."
Ihre sanfte Stimme halte ihr wie ein Echo durch den Kopf.
Sie vermisste sie. So unglaublich.
Wieder rollte ihr eine Träne übers Gesicht. Schnell wischte sie sie weg und atmete aus.Einfach immer weiter atmen...
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Ketten der Krone
Historical FictionPrinzessin Maliah, Tochter eines tyrannischen Königs, der ihr das Leben zur Hölle macht. Maliah fühlt sich gefangen, gefesselt von den unsichtbaren Ketten der Krone, die sie daran hindern, ein Leben in Freiheit und Glück zu führen. Doch schon bald t...