1. Kapitel

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Stille.

Keine Menschenseele in Sicht.

Die Straßen um mich herum waren leer.

Nicht mal ein Auto kreuzte meinen Weg.
Wozu wartete ich überhaupt noch auf die grünen Ampeln??

Naja, die Gewohnheit blieb wohl.

Wobei...
An die Stille überall hatte ich mich immernoch nicht gewöhnt.
Jedoch schien das niemanden außer mir zu interessieren.

Doch auch das war nichts neues.

Ich schloss meine Haustür auf und sah mich um.

Meine Mutter saß auf der Couch. -Natürlich mit Handy.

Mein Vater saß am Tisch an seinem Computer.

Die beiden blickten nicht einmal auf, als ich eintrat.

"Hallo Mama, Hallo Papa!", rief ich freundlich aus.

Mein Vater tippte weiter wild auf seiner Tastatur, die dunklen Augen verengt. Sie trugen ein seltsames, grünliches Schimmern.
Auch von meiner Mutter folgte keine Reaktion.

Es stach mir ins Herz.

Dieses zunehmende Desinteresse.

Meine eigenen Eltern begannen, ihre digitalen Geräte ihrem einzigen Kind vorzuziehen.

Ich stürmte in mein Zimmer und verkroch mich unter meiner Decke.
Es dauerte nicht lange, bis mir die Tränen kamen und ich hielt sie nicht zurück.

Vor noch nicht zu langer Zeit wäre nun meine Mutter in mein Zimmer gekommen und hätte mich in den Arm genommen.

Doch seit einem knappen halben Jahr, war ich so gut wie auf mich alleine gestellt.

Anfangs dachte ich, ich übertreibe maßlos.
Meine Eltern hatten zunehmend Verpflichtungen ausfallen lassen, Termine vergessen.
Eigentlich normale Dinge.
Doch irgendwann wurde es immer mehr, immer schräger.

Meine Mutter wurde wortkarg und mein Vater erzählte von seinem Ach so tollem Pogramm, dass er immer spielte.

Inzwischen bewegten sich meine Eltern nur noch, um Grundbedürfnissen nachzugehen, wie Trinken, Essen -Handy aufladen.

Ja, eigentlich kein Grundbedürfnis, aber für meine Eltern schon.

Seit Wochen hatte ich keine anderen Menschen mehr gesehen.

Natürlich war ich zur Schule gegangen, ich kannte den Weg ja, aber die wurden aus mir unbekannten Gründen geschlossen.

Ich wusste auch nicht, wie ich noch nicht durchgedreht bin.

Ich habe mein Handy seit Wochen nicht mehr angerührt, ich habe Angst, dass ich genauso werde, wie meine Eltern.

Wenn auch muss ich gestehen, dass ich oft mit dem Gedanken gespielt habe.
Es wäre einfacher.

Nach dem was ich über dieses Mysterium wusste, war ich mir fast sicher, dass mit der Zeit die Empathie schwand.
Die betroffenen Menschen kümmerten sich nur noch um sich selbst.

Das grüne Schimmern in den Augen der Menschen, das schien zu zeigen, ob sie von dieser 'Krankheit' wie ich es nannte,
betroffen waren.

Der Grund für die Krankheit..

Ich weiß es nicht.

Ich habe mich so oft gefragt, ich hatte genug Zeit um mir darüber den Kopf zu zerbrechen, doch ich kam zu keinem Schluss.

Ich wischte mir die Tränen aus dem Gesicht.

Ich musste weg.

Aber meine Eltern...

Meine Überlebenschancen waren zwar ohne sie genauso hoch wie mit ihnen, doch würde es mir schmerzen, sie einfach zu verlassen.

Und wo sollte ich hin?

Trotzdem griff ich in meinen Schrank, schnappte mir eine große Tasche heraus und sah mich in meinem Zimmer um.

Ich liebte mein Zimmer.

Vor allem mein Bett. 

Es war die sicherste Zone in meinem Zimmer.

Auf den ersten Blick verborgen vor der Tür und mit gutem Überblick über das ganze Zimmer und die leer gefegten Straßen.

Eine Weile stand ich noch unschlüssig da, doch dann kam mir eine Idee. Ich musste zu meiner besten Freundin. Sie würde wissen, was zu tun ist.                                                      

Es sei denn...

Nein.

Daran durfte ich gar nicht denken. 

Melissa musste gesund sein. Sie MUSSTE einfach!

Ich spürte, wie sich Panik in mir ausbreitete und ich atmete tief durch. 

Mein Blick wanderte durch mein Zimmer. Ein großes Bett, mit einem hübschen, blauen Bettbezug. Der hölzerne Schreibtisch, an dem ich so viel gezeichnet hatte. Sollte ich meinen Skizzenblock mit mir nehmen? Dann noch das große Bücherregel, links neben der Tür. 

Die Erinnerungen schmerzten mir. 

So oft hatte ich versucht, meinen Eltern ihre elektronischen Geräte wegzunehmen, doch sie hatten mich nur angeschrien. 

Gleichgültig hatten sie an ihren Handys gesessen, während ich mir die Augen ausgeheult hatte.

Sechs Monate sind eine lange Zeit, wenn man alleine ist. 

Gefangen in der eigenen Gesundheit, in der eigenen Angst.

Könnte das der Untergang der Menschen sein? Die zunehmende Sucht nach der Elektronik. Die schwindende Empathie, das Bedürfnis, sich um seine Mitmenschen zu kümmern. 

War das alles ein Zustand, den meine Eltern unter ihre virtuellen Welten stellten?

Mit der Tasche über der Schulter trete ich an die Treppe. Ich hatte mich entschieden, meinen Skizzenblock mit mir zu nehmen. Er machte mich traurig, doch ich liebte das Zeichnen so sehr..

Erster Schritt. Oft fragte ich mich, wie sich das wohl anfühlen mag. Es muss wie ein Glücksgefühl sein.

Dritter Schritt. Blenden sie die Welt um sich herum aus, oder passiert das von ganz alleine?

Letzte Stufe. Kurz zögere ich. Möchte ich meine Eltern wirklich so sehen, verloren, in ihrer eigenen Welt? In der sie versinken und es nicht mehr hinaus schaffen?                                   

Tief atmete ich durch. Trete ins Wohnzimmer. Mein Vater am Tisch, meine Mutter auf der Couch.

Ich holte Luft und fragte mit leiser Stimme: "Mom.. Dad..?"

Keine Reaktion.

Wie erwartet.

Nicht mehr ganz Herr meiner Sinne trete ich von hinten an meine Mutter heran und umarme sie fest. Sie wehrte sich nicht, doch ich erschauerte aufgrund der Kälte, die ihren Körper umgab. Auch nun blickte sie nicht auf.

Ich spürte mein Herz brechen. Ganz, ganz langsam und leise.

Langsam nahm ich meine Arme von meiner einst so liebenswerten Mutter.

Ich trat an meinen Vater heran.

Wieder dieses grüne Schimmern.

Ich verschloss meine Augen davor, um nicht erneut zu weinen. Auch meinen Vater nahm ich in den Arm. Gänsehaut breitete sich auf meiner Haut aus, als ich die gleiche Kälte wie an meiner Mutter, auch an meinem Vater spürte.

Ich drehte meinen Eltern den Rücken und trat zur Tür.

Die Hand auf der Türklinke drehte ich mich ein letztes Mal um.

"Ich komme zurück. Versprochen.", dann schulterte ich meine Tasche und verließ das Haus.

Ein Leben zwischen Ende und AnfangWo Geschichten leben. Entdecke jetzt