Kapitel 34

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Vorsichtig hob Khione den Deckel des Topfes an und prüfte, ob das Hirn des Tieres für die Einarbeitung in das Leder bereit war. Normalerweise störte sie der eigenartige Geruch nicht, doch jetzt kurbelte er ihre Übelkeit an. Mühsam hielt sie den Drang zurück, sich zu übergeben, und schloss das Gefäß wieder. Mittlerweile hatte sie Übung darin, die Konsistenz mit einem Blick einzuschätzen. Das Hirn brauchte noch einige Minuten zum Kochen. Bis dahin bereitete sie alles Weitere vor.

Mit einem Ruck hievte Khione eine Rohhaut auf den Tisch und breitete sie aus. Danach holte sie den schweren, flachen Stein, der ihr heute tonnenschwer vorkam. Unter größter Anstrengung hob sie ihn hoch und verlor plötzlich ihre Kraft. Gerade noch rechtzeitig verhinderte sie dessen fallen, indem sie ihn gegen die Tischkante drückte.

Mit zusammengepressten Lippen und unregelmäßigem Atem harrte sie minutenlang aus, bevor sie ihn hinaufschob. Alles ging ihr durch die malträtierenden Schmerzen im Körper unnötig schwer von der Hand. Dank ihnen und der Angst vor Makhah hatte sie in der Nacht kein Auge zubekommen. Jedes kleinste Geräusch hatte sie aufgeschreckt und beunruhigt. Als sie Askus Stimme vernommen hatte, war die Ahnung in ihr aufgekeimt, dass er Makhahs Wachhunde war und darauf aufpassen sollte, ob sie den Mund öffnete oder nicht. Khione würde ihm den Gefallen nicht tun, und sie hütete sich davor, auf jegliche Fragen zu antworten. Egal, wie oft Asku mit ihr gesprochen hatte, sie blieb still. Jetzt stand er in der Nähe an einen Baum gelehnt und beobachtete sie. Seinen eindringlichen Blick vermied sie, doch sie spürte ihn regelrecht im Nacken.

Da sie die Erste bei den Unterständen der Fellverarbeitung war und das Hirn noch vor sich hin köchelte, kümmerte sie sich um alles Notwendige, bis Inyan und Taira kamen. Ihren Morgengruß erwiderte Khione nur mit der Hand, doch sobald sie näherkamen, zischte der Araki und sog scharf die Luft ein. Sofort wich sie mit klopfenden Herzen und gesenkten Kopf einige Schritte zurück. Leider schienen sie ihren Zustand zu bemerken. Hoffentlich verstanden sie wenigstens die Geste und ließen sie in Ruhe.

„Khione? Was ist passiert?", fragte Inyan entsetzt, aber gedämpft.

Taira blieb stehen und hielt ihn am Arm fest. „Nicht", sagte sie und wandte sich an Asku. „Geh und hol Pahra", bat sie.

Daraufhin kam er zu ihnen und Khione hörte sie miteinander flüstern. Worüber, war ihr bewusst, aber sie versuchte, es auszublenden und sich dem köchelnden Hirn zu widmen. Zitternd öffnete sie erneut den Deckel und stellte fest, dass es zur Weiterverarbeitung bereit war. Sie nahm den Topf vom Feuer, schöpfte mit der Kelle ab und trug ein wenig davon auf die Rohhaut auf. Ein paar Minuten ließ sie es abkühlen, ehe sie es grob mit den Fingern verteilte und dann zum Stein griff. Verkrampft rieb sie das Hirn ein, bemerkte aber, wie schwer es ihr fiel. Trotzdem bat sie nicht um Hilfe und gab nicht auf.

Während der Arbeit kämpfte sie mit unsagbaren Schmerzen. Wie in der Nacht pochte es qualvoll im Unterleib und an ihrem Hintern. Bei einer ungünstigen Bewegung stach es wie ein glühendes Messer, das sie leise stöhnen ließ. Glücklicherweise bekamen Inyan und Taira nichts davon mit. Sie waren in ihre eigene Beschäftigung vertieft, zumindest kam es Khione so vor. Oder die beiden ignorierten sie absichtlich nach dem Gespräch mit Asku. Das war ihr sogar lieber. So musste sie sich keine Fragen anhören.

„Wie ist es möglich, solche Schmerzen zu haben und mich trotzdem ... leer anzufühlen? Bin ich innerlich gestorben?", fragte sich Khione. Inständig betete sie dafür, da sie nicht wusste, wie sie die Zeit hier ansonsten überstehen sollte. War es vielleicht genau das, was Makhah hatte erreichen wollen?

Allein der Gedanke an die Nacht bescherte ihr einen eiskalten Schauer über den Rücken. Wie er sie würgte und hart auf das Bett drückte ... Seine hasserfüllten Worte, die er ihr ins Gesicht spuckte ... Wie seine kalte Hand grob zwischen ihre Oberschenkel fuhr und sie versuchte, diese zusammenzupressen ...

Khione - Gefährtin des stolzen KriegersWo Geschichten leben. Entdecke jetzt