Kapitel 1

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Lilja hob ihre Tasche aus dem Auto und zog ihre rote Jacke über. Es war kurz vor 17:00 Uhr und ihre Schicht würde gleich beginnen.
Sie machte sich auf dem Weg in die Halle und lief an einer langen Schlange Fans vorbei, die auf den Einlass warteten. Dort standen fast ausschließlich Mädchen, die bestimmt schon seit Stunden da waren, nichts gegessen hatten und um die sie sich später kümmern musste.
Zum Glück war es nur ein kleines Konzert, auf denen drei Bands auftreten würden. Den angekündigten Headliner kannte sie aus dem Radio, die Lieder waren nicht schlecht doch mehr wusste sie von ihnen nicht.
Die beiden anderen Bands hatten den Auftritt als Vorgruppen per voting gewonnen. Soweit sie wusste, kamen alle drei Bands aus Helsinki.
An der Tür angekommen zeigte sie den Securitys ihren Ausweis und sie wiesen ihr den Weg.
In einer Stunde würden die Türen für die Fans geöffnet werden und sie musste sich noch einen Überblick über den Ablauf verschaffen.
Im Backstagebereich fand sie den Veranstalter und den Tourmanager der Band, auf die sie sofort zusteuerte.
„Ah Frau Salo schön dass sie da sind." Sie schüttelte beiden die Hände und sie besprachen, was alles auf dem Programm stand.
Danach hatte sie noch etwas Zeit und schaute sich neugierig um. Vielleicht würde sie ja doch noch einen Blick auf die Bands werfen können, damit sie nicht ganz so dumm dastand, wenn sie einer drauf ansprach. Leider konnte sie niemanden, den sie einer Band zuordnen würde, entdecken, deswegen ging sie wieder zurück.
Der Einlass hatte begonnen und die Halle füllte sich. Lilja ließ sich auf ihren Stuhl fallen, da sie erfahrungsgemäß bei der Vorband noch nicht so viel zu tun hatte.
Die Gesichter der Fans strahlten und man konnte ihre Anspannung spüren. Kurz überlegte sie, was das wohl für Kerle waren, die diese Mädchen so in Aufregung versetzten. Nach der Verzückung in den Gesichtern zu urteilen, müssten diese Jungs entweder wahnsinnig hübsch sein oder gut singen können. Vielleicht traf aber auch beides zu.
Sie schmunzelte und dachte an die Zeit, als sie ihre Lieblingsband angehimmelt hatte. Ihr Favorit war damals der Sänger gewesen, denn der sah am besten aus und hatte eine tolle Stimme gehabt.
Soweit sie sich erinnern konnte, war er blond gewesen, hatte hinreißend blaue Augen gehabt und ein unverschämtes Grinsen. Weiter kam sie bei ihren Überlegungen allerdings nicht, da es bereits dunkel wurde und die ersten Klänge eines ihr unbekannten Liedes erklangen.
Ihre Aufmerksamkeit galt jedoch nicht der Bühne, sondern den Reihen von Fans, die dicht aneinander gedrängt standen. Schon wurde die erste von den Security aus der Menge gezogen und zu Lilja auf eine der Liegen gelegt. Sie redete beruhigend auf das junge Mädchen ein und legte ihr eine Blutdruckmanschette um. Normalerweise hatten sie nichts schlimmes und mit ein paar Gläsern Wasser und einem Stück Traubenzucker war der Kreislauf wieder stabil. Würden sie vor dem Konzert genügend essen und trinken, hätten die Sanitäter und Ärzte auf solchen Veranstaltungen nicht so viel zu tun. Das schlimmste war meistens nur das Gejammer, weil sie nicht mehr an ihren hart erkämpften Platz zurück konnten, wenn es ihnen wieder gut ging.
Nachdem sie mit der Behandlung fertig war, konnte sie noch die letzten Minuten von der Vorband sehen. Die Jungs sahen alle aus, als wären sie gerade volljährig und würden tagsüber noch die Schule besuchen. Die Musik war okay, aber nicht unbedingt Liljas Geschmack.
Die Vorband verließ die Bühne und es wurde sofort hektisch umgebaut. Im Moment schien noch alles in Ordnung zu sein, weshalb Lilja die Zeit nutzte, um sich schnell etwas zu trinken zu organisieren.
Die Luft in der Konzerthalle war nicht besonders gut und sie hatte keine Lust zu ihrer eigenen Patientin zu werden.
Samu liebte diese Anspannung und dem Stress kurz vor einem Auftritt. Einerseits machte es ihm wahnsinnig, andererseits stand er total auf das Kribbeln und die Erregung. Obwohl er bereits seit Jahren auf der Bühne und dort auch im Mittelpunkt stand, war er vor den Konzerten noch immer nervös und aufgeregt. Er war der Meinung, sobald man vor einem Konzert nicht mehr diese Gefühle hatte, war es an der Zeit aufzuhören.
Die anderen wussten, dass er sich oftmals kurz vorher noch zurück zog, eine Zigarette rauchte und von einer versteckten Stelle aus das Publikum beobachtete.
Wenn sie in Deutschland unterwegs waren, standen in den ersten Reihen fast immer die gleichen Fans. Es war ein tolles Gefühl, dass es Menschen gab die immer wieder kamen, egal wo und wann sie spielten.
Er kannte einige inzwischen und freute sich sogar, wenn er sie in der Menge entdeckte. Oftmals gab es ihm ein Gefühl der Sicherheit, weil diese Fans sich bereits ein Urteil gebildet hatten und für gut befanden, was die Band auf der Bühne machte.
In Finnland war das leider noch nicht so. Hier waren sie noch nicht wirklich bekannt und er machte sich immer Sorgen, dass sie hier vielleicht gar keiner hören wollte.
In seinen Alpträumen sah er sich immer auf die Bühne kommen und es stand niemand davor. Er wusste selbst dass das Unsinn war, da er den Verkauf der Konzerttickets immer sehr genau verfolgte.
Sein heimlicher Wunsch war es, in seiner Heimatstadt mal in der Jäähalli zu spielen, aber davon waren sie noch weit entfernt. Die gute Seite daran war allerdings, dass er noch ungestört auf die Straße konnte und nicht so häufig erkannt wurde.
Samu hatte sich langsam dran gewöhnt, die verschiedenen Typen von Mädchen und Frauen bei den Konzerten zu sehen. Ihm waren die etwas Verrückten lieber, als die, wo man von der Bühne aus bis zum Bauchnabel gucken konnte. Was man von der Bühne aus auch nur erkennen konnte, wenn man wirklich genau hinschaute. Meistens war es entweder zu dunkel oder man wurde von den Scheinwerfern geblendet.
Er fragte sich auch, was es denn für einen Sinn hatte, denn meistens hatte er eh anderes zu tun, als in die Dekolletés zu starren. Ab und zu war dieser Anblick auch ganz nett, aber Samu wusste genau warum diese Mädels sich so kleideten.
Er war selbst auch nur ein normaler Kerl, mit Bedürfnissen und Gelüsten, aber mit diesen Damen würde er selbst dann nicht schlafen, wenn er Notstand hätte.
Ihm waren die Frauen lieber, die sich nicht sofort auf ihn stürzten und die man wenigstens noch ein bisschen erobern musste. Wobei er auch dabei nicht allzu lange brauchte und meistens genau die bekam, die er auch haben wollte.
Samu grinste vor sich hin und fragte sich, wie er da jetzt drauf kam. So lange war es jetzt noch nicht her und er hatte sie auch in guter Erinnerung. Er war etwas in Gedanken versunken, als er plötzlich einen Widerstand spürte und etwas zurück gestoßen wurde. Seine Zigarette fiel ihm aus der Hand und er wollte gerade laut fluchen, aber etwas hielt ihm zurück.
Sein Blick fiel auf die Person, die in ihm hinein gerannt war und seine Aufmerksamkeit blieb an ihrer Jacke hängen. Vor ihm stand eine zierliche, blonde Frau in einer knallroten Jacke. Sie atmete hektisch und murmelte eine leise Entschuldigung, bevor sie an ihm vorbei eilte.
Samu drehte sich zu ihr um und schaute ihr interessiert hinterher. Sein Blick blieb bei ihrem Hintern hängen und er legte den Kopf etwas schief. Ihm gefiel, was er da erblickte und er fragte sich, wie ihr Körper wohl sonst unter der weiten Jacke aussah.
Scheinbar blieb ihr das nicht verborgen, denn sie drehte sich wieder um und ihre Blicke trafen sich.
Für ein paar Sekunden starrten sie sich einfach nur an und Samu bemerkte sofort ihr hübsches Gesicht. Da sie noch nicht so weit voneinander entfernt standen, fielen ihm außerdem ihre strahlend grünen Augen auf.
Er musste grinsen, weil sie plötzlich die Augenbrauen zusammen zog, mit dem Kopf schüttelte und sich schnellen Schrittes von ihm entfernte. Als sie verschwunden war, hob er seine Zigarette auf, die inzwischen nicht mehr brannte, und machte sich auch auf dem Weg zum Backstagebereich. Seine innere Uhr sagte ihm, dass es bald Zeit für die Bühne war.
Als Lilja aus seiner Sichtweite war, blieb sie stehen und atmete tief durch. 'Was war das denn bitte gewesen?' dachte sie und fuhr sich verwirrt durch ihre Haare. Sie hatte schon gespürt, dass er ihr nachgeschaut hatte, aber diesen Anblick hätte sie nicht erwartet.
Er stand total lässig da, hatte die Arme vor der Brust verschränkt und sein Blick fing ihren ein.
Darin lag etwas, was ihr seltsam vertraut vorkam und sie doch noch nie gespürt hatte.
Er war groß, hatte blonde, ungekämmte Haare und sie konnte erkennen dass er auffallend blaue Augen hatte.
Er bekam natürlich mit, dass sie ihn genau musterte und hob amüsiert eine Augenbraue. Bevor er auf die Idee käme sie anzusprechen, hatte sie aufgehört ihn anzustarren und war weiter geeilt.
Etwas außer Atem kam sie wieder bei ihrem Platz an und versuchte, die Begegnung zu vergessen.
Sie war hier um zu arbeiten und auf Männer war sie seit einiger Zeit sowieso nicht gut zu sprechen. Das würde so ein Kerl sicher auch nicht ändern.
Die Stimmung bei den Fans wurde immer ausgelassener und sie war sich sicher, dass die Band bald auftreten würde.
Kurz darauf änderte sich schon die Beleuchtung und das Gekreische nahm zu. Plötzlich wurde es komplett dunkel auf der Bühne, man konnte allerdings Bewegungen erkennen wenn man genau hinschaute. Das Licht ging wieder an, die Band kam auf die Bühne und die ersten Klänge eines Liedes ertönten.
Den Sänger konnte man noch nicht sehen, nur hören, als er die ersten Strophen anstimmte. Seine ersten Worte lenkten ihre Aufmerksamkeit von dem Publikum zur Bühne.
Seine Stimme war rauchig, tief und klang gefühlvoll, als würde er seine eigene Geschichte erzählen.
Sie konnte sich gut vorstellen, dass er mit diesem Tonfall und den richtigen Worten, bestimmt schon reihenweise Frauen ins Bett gekriegt hatte.
Dann trat er nach vorne ins Licht und sie erkannte ihn sofort wieder. Bei seinen Anblick bekam sie wieder dieses vertraute Gefühl und verdrehte genervt die Augen. Sie hätte also noch vor wenigen Minuten fast den Sänger der Band zu Fall gebracht. Das war so typisch, sie schaffte es oftmals sich in Situationen zu bringen, die entweder peinlich oder unangenehm waren. Doch diesmal hatte sie Glück, hätte sie mehr Schwung gehabt, wäre er wahrscheinlich auf seine Hand gefallen und hätte nicht mehr Gitarre spielen können.
Bisher war noch keiner in Ohnmacht gefallen und sie nutzte die Zeit, ihn sich ein bisschen genauer anzusehen. Er trug eine ausgewaschene Jeans, die ihm mindestens eine Nummer zu groß und an den Knien etwas schmutzig war. Er trug ein schwarzes Ärmelloses Shirt und auf seinem rechten Oberarm hatte er ein Superman-Tattoo. Sie schüttelte missbilligend den Kopf und schnaubte. Das war so typisch, wahrscheinlich hielt er sich sogar selbst für einen Superman.
Sie wurde aus ihren Gedanken gerissen, denn das nächste Mädel wurde auf eine der Liegen gebracht. Bisher waren es nur drei Fans, die sie behandeln musste und alle hatten etwas mit dem Kreislauf gehabt.
Sie kannte auch andere Tage, an denen sie Wunden nähen oder Verbände anlegen musste. So gesehen, war das bisher ein sehr angenehmer Dienst.
Die Band war überraschend gut und der Sänger, der sich nach dem zweiten Song als Samu vorstellte, war irgendwie leicht durchgeknallt.
Er machte Späße, flirtete mit dem Publikum und nahm sich selbst nicht wirklich ernst.
Zwischen den Songs erzählte er viel und was dann von ihm gesagt wurde, war meistens dummes Zeug. Das kam scheinbar bei den Fans gut an und er machte einen sympathischen Eindruck.
Das Konzert neigte sich langsam dem Ende zu und Lilja nahm sich vor, sich die Band zu Hause mal genauer anzuhören. Sunrise Avenue, so war der Name, verließ gerade die Bühne und wurde sofort wieder raus gerufen.
Samu fühlte sich wie berauscht, sobald er die Bühne betrat. Vergessen waren seine Sorgen und der Ärger und er fühlte sich einfach nur gut.
Diese Menschen da vor der Bühne waren hier, um ihn und seine Band zu sehen und er genoss die anhimmelnden Blicke der Frauen. Die Fans und Medien waren hauptsächlich an ihm, den Frontmann der Band, interessiert und er musste zugeben, dass er sich in dieser Rolle wohl fühlte.
Seine Bandkollegen hielten sich lieber zurück und waren froh, dass er die meiste Aufmerksamkeit auf sich zog. Dafür musste er eben auch in der Öffentlichkeit seine Präsenz zeigen, für Interviews zur Stelle sein und die Radiosender besuchen.
Zu Radioterminen musste er zum Glück nicht alleine, da hatte er oftmals Riku, den Gitarristen der Band, an seiner Seite.
Doch die Zeit auf der Bühne war noch immer das Beste am Musik machen und dafür würde er auch noch hundertmal die selben Fragen bei Interviews beantworten.
Das Konzert war nun fast zu Ende und es war jetzt nur noch eine Zugabe geplant. Hinter der Bühne schnappte Samu sich die bereits brennende Zigarette und nahm einen tiefen Zug.
„Läuft doch ganz gut." grinste Sami und wischte sich mit einem Handtuch den Schweiß von der Stirn.
„Ich find auch, unser Haber hat die Mädels wieder gut im Griff." lachte Riku und schlug Samu freundschaftlich auf die Schulter.
„Du bist doch nur neidisch." behauptete der Sänger und machte eine anzügliche Geste.
Riku verdrehte die Augen und schüttelte amüsiert den Kopf. „Ganz und gar nicht." Er kannte Samu und seine Sprüche bereits seit Jahren und nahm das nicht allzu ernst.
Samu nahm sich eine Flasche von dem Isogetränk, stellte sich etwas abseits und beobachtete die Fans.
Seine Aufmerksamkeit wurde auf ein Mädchen gelenkt, welche gerade aus der Menge gezogen wurde. Er schaute ihr hinterher und blinzelte dann überrascht. Denn da war sie wieder, die Frau in der roten Jacke und jetzt wusste er auch, was die Farbe zu bedeuten hatte.
Sie war Sanitäterin oder Ärztin und kümmerte sich heute um die Versorgung der Leute.
'Mich könnte sie auch gerne mal versorgen.' dachte er sich und beobachtete sie noch einen Moment.
„Hey, träumst du? Wir müssen wieder raus." Raul wedelte mit seiner Hand vor Samus Gesicht und dieser schreckte aus seinen Gedanken.
„Was? Nein ich träume doch nicht." verneinte er und griff nach seiner Gitarre. „Von mir aus kann es weiter gehen."
Er versuchte sie aus seinem Kopf zu verbannen, damit er sich auf das nächste Lied konzentrieren konnte. Er atmete tief durch und trat allen voran zurück auf die Bühne.
In der Mitte stand nun eine Art Barhocker, auf dem sich Samu nieder ließ. Er legte seine Gitarre auf seinen Schoß und ließ seinen Blick durch die Menge streifen. Es kam Lilja so vor, als würde er etwas suchen und sie war sich nicht sicher, ob er es dann auch gefunden hatte.
Ohne etwas zu sagen strichen seine Finger über die Saiten und stimmten die Melodie an.
Das Lied faszinierte Lilja und sie beobachtete ihn beim singen. Er wirkte in sich gekehrt und hatte die Augen geschlossen. Der Text schien eine besondere Bedeutung zu haben und sie fragte sich, welche Geschichte sich wohl dahinter verbergen mag.

When I get you, I will love youWo Geschichten leben. Entdecke jetzt