Kapitel 24: Die Welt hatte mich in die Knie gezwungen

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Ach scheiß, doch auf die Uhr. Lachend holte er sein Handy hervor und schaltete sein Iphone an. 12:45 Uhr. Scheiße. Tatsächlich funktionierte die Digitaluhr nicht mehr richtig. Anstatt meinen Fehler einzusehen, giftete ich Ethan böse an.

,,Was habe ich jetzt schon wieder falsch gemacht?", stieß er genervt hervor, während er seine dunklen, lockigen Strähnen aus seinem Gesicht bließ. Das Ganze sah so dermaßen kindisch und süß zugleich aus, dass ich in schallendes Gelächter verfiel. Natürlich würde ich niemals offen vor ihm zugeben, dass ich diese Geste süß fand, denn sonst würde Wills jüngerer Bruder mich bis ans Ende meines Lebens deswegen aufziehen.

Immer noch leicht kichernden wischte ich mir die Tränen weg. Schmollend verzog mein Gegenüber seine Lippen. Die nebenbei erwähnt, kirschrot und voll waren. Seltsam was mir in letzter Zeit alles auffällt... Die anderen Frauen würden bei dem Anblick von solchen, von Natur aus kirschroten Lippen, grün vor Neid werden. Seit wann hatte er so schöne geschwungene, volle Lippen?

Ein pochender Schmerz riss mich aus den Tiefen meiner Gedanken. Wütend fuhr ich ihn an :,, Hey! Was stimmt mit dir bitte nicht?! Du kannst doch nicht einfach die ganze Zeit Leute schlagen!" Das Maß war voll. Er hatte das Fass zum Überlaufen gebracht.

Vielleicht sollte ich aufhören meinen Ärger und Frust die ganze Zeit an Personen auszulassen, welche rein gar nichts dafür konnten? Ich wusste es ehrlich gesagt selber nicht. Ethan stieß einen tiefen Seufzer hervor, einige Falten bildeten sich auf seiner Stirn. Dies ließ ihn älter wirken, wie einen alten, verbitterten Mann.

,,Hör mir mal zu, ich weiß, dass du es gerade nicht sehr leicht hast. Aber lass deine Wut nicht an Leuten raus, die immer für dich da sind und dir zu hören, sonst verlierst du sie auch noch" Seine Worte hinterließen einen ziemlichen bitteren Beigeschmack, wie die ekelhafte Medizin, welche ich als Kind verabscheut hatte und heute immer noch überhaupt nicht mochte.

Auch wenn ich es nicht wahrhaben wollte, hatte er damit genau ins Schwarze getroffen und scheiße, tat das weh! Der Schmerz und die ganzen aufgestauten Emotionen drohten die Kontrolle zu übernehmen. Meine Dämonen rüttelten immer heftiger an der schweren Eisentür, sie würden niemals aufhören. Nicht bis sie die schweren Eisenketten zerbrochen hatten.

Verdattert machte ich ein paar unsichere Schritte zurück. Ich musste hier weg. Es wurde mir gerade alles zu viel. Meine Dämonen. Die Stimmen, welche mir immer wieder einredeten, dass ich wertlos war und es nicht verdiente zu leben. Noch nie hatte ich mich so unwohl in meiner eigenen Haut gefühlt. Meine Seele suchte verzweifelt nach einem Ausgang, bereit diesen schwache Hülle zu verlassen und diese grausame Welt hinter sich zu lassen.

Aber irgendetwas hielt sie zurück, unsichtbare Mauern engten sie ein und zwangen sie in meinem Körper zu bleiben. Meine Umgebung flackerte und drehte sich. Drehte ich mich, oder die Welt sich um mich? Ich wusste es nicht. Ich wusste alles und wiederum nichts. Ich war lebendig und doch tot.

Trotz des Schwindels, der meine Balance ziemlich auf die Probe stellte, machte ich eine großen Satz und rannte. Ich rannte als gäbe es kein Morgen mehr. Ethans wildes Rufen, wohin ich zu dieser Uhrzeit denn hinlaufe und dass es viel zu gefährlich sei, ignorierte ich eiskalt. Er hatte mich verletzt.

Naiv. Ich war so verdammt naiv gewesen. Warum musste ich immer den Menschen mein Vertrauen schenken, welche es sofort brachen? Fragen über Fragen. Mein Kopf füllte sich immer mehr, die Gedanken umkreisten mich in Schwärmen und folgten mir auf Schritt und Tritt. Diese garstigen Biester suchten mich heim, raubten mir die Kraft über meine eigenen Gedanke zu bestimmen.

Allmählich übernahmen sie die Kontrolle. Mittlerweile hatte ich das Grundstück schon längst hinter mir gelassen und eisiger Wind peitschte mir ins Gesicht. Kalt und gnadenlos. Genau wie der verfickte Ort, an dem ich gelebt und meine Kindheit verbracht hatte. Von der Sonne gewärmter Sand spritzte auf, als meine Füßen über den Boden glitten.

Hektisch schnaufend blieb ich stehe und betrachtete die Umgebung. Ich war einfach losgelaufen und hatte kein Ziel vor Augen gehabt. Nun befand ich mich in einer einsamen, abgelegenen Bucht. Keine Menschenseele befand sich an diesem Ort. Lediglich die funkelnden Sterne, welche um die Wette strahlten, leisteten mir Gesellschaft. Sogar der Mond hatte sich irgendwo Richtung Nordwesten hinter einer gewaltigen, dunklen Wolke versteckt.

Jegliche Kraft verließ meinen Körper, meine Beine gaben zitternd nach und ich fiel in den Sand. Feine Sandkörnchen kitzelten meine ausgekühlte Haut. Regungslos blieb ich liegen. Dieser Ort. Ich wusste nicht warum, aber irgendwie kam er mir verdammt bekannt vor. Wie als wäre ich in der Vergangenheit hier gewesen. Die Rädchen begannen sich zu drehen und ratterten. Wie war das möglich?

Plötzlich erschienen Erinnerungen. Ein helles, klares Mädchenlachen. Zwei Mädchen, schwimmend und Wasserperlen, die in alle Richtungen spritzten. Die warmen Sonnenstrahlen. Aber..wie konnte das sein?

Dieser Ort kam mir so bekannt vor, da ich in der Vergangenheit hier jeden Tag mit meiner verstorbenen besten Freundin Molly verbracht hatte. Augenblicklich sah ich, wie sie vor mir stand und mich mit ihren warmen Schokoladebraunen Augen liebevoll betrachtete.

,,Mary, warum weinst du denn?", ihre Stimme klang so sanft, wie das Läuten kleiner Silberglöckchen. Als sie den Kosenamen erwähnte, welchen einzig allein sie benutzen durfte, verließ eine kleine, heiße Tränen meinen Augenwinkel. Zuerst war es nur eine, doch dann wurden es mehr. Dicke, heiße Tränen tropften auf den noch warmen Sand und hinterließen dort dunkle Flecken.

Träumte ich? ,,B-B-Bist du-", meine Stimme brach. Sie glich mittlerweile nur noch einem heiseren Krächzen. Ein helles Lachen entfuhr meiner ehemals besten Freundin. ,,Natürlich bin ich echt! Mary, liebe Mary, bitte sag mir, warum du weinst", beinahe klang sie bittend.

Es zerriss mir das Herz die Verstorbene so zu sehen, noch nie hatte ich die willensstarke Molly um etwas bitten hören. Mein Herz brach wieder in hunderte Stücke. Die verbliebenen Splitter bohrten sich unbarmherzig in mein blutendes, schwaches Inneres. ,,Molly, ich- bitte nimm mich mit", flehend ging ich auf die Knie.

Ihre hellen braunen Augen waren nun voller Schmerz, traurig und leer. Nicht so lebhaft und voller Energie, wie ich sie kannte. Verzweifelt versuchte ich nach ihrem weißen Kleid zu greifen, welches sich im Wind bauschte. Als ich es aber berührte, spürte ich nichts und ihre schillernde Gestalt verblasste immer mehr.

Weinerlich sah ich wie ihre groben Umrisse immer mehr verschwanden und versuchte sie durch Rufen zurückzubringen. Warum hatte sie mich nicht von all dem Leid erlöst und mir inneren Frieden gegeben? Ich wollte nicht mehr. Die Welt hatte mich in die Knie gezwungen.

Wenn Kleine Mädchen Trinken Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt