Te quiero - Bibiane Schulze Solano und Laura Freigang

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Truth is, I didn't expect to get this attached to you.

Bibis Sicht
„Ey Freigang, kann man dir helfen?" Ich gehe auf Laura Freigang zu, die gerade ihren offenbar ziemlich schweren Koffer die Hoteltreppen hinaufschleppt. „Das wäre ziemlich freundlich, ja.", gibt sie schnaufend von sich. Wir drehen ihren Koffer so, dass ich ihn auch tragen kann und setzen unseren Weg fort.
Die Aufzüge sind defekt und so dürfen wir unser ganzes Gepäck über die Treppen schleppen. Meine Koffer sind schon in dem Zimmer, das ich mir während Olympia mit Laura teile. Wir kennen uns noch nicht besonders lange, da ich erst vor ein paar Monaten das erste mal nominiert wurde, doch wir verstehen uns ziemlich gut und haben uns daher dazu entschieden, uns das Zimmer zu teilen. Es ist ewig her, dass wir das letzte Mal in Doppelzimmern schlafen mussten, doch ich denke, dass es ziemlich lustig werden könnte. Laura hat mir schon erzählt, dass ich ihr unbedingt Spanisch beibringen muss. Langweilig sollte uns also nicht werden.

Wir schließen die Tür hinter uns und lassen uns dann fast gleichzeitig auf unsere Betten fallen. Ich schließe meine Augen und atme erstmal durch. Die Anreise war mindestens so anstrengend, wie das Schleppen von Lauras Koffer und somit haben wir uns definitiv eine Pause verdient.
Es bleibt einige Minuten still und ich genieße die Ruhe sehr. Plötzlich höre ich ein lautes, langsames und ruhiges Atmen neben mir. Ich drehe meinen Kopf zu Lauras Bett und sehe, dass sie tatsächlich eingeschlafen ist. Ich muss schmunzeln und entscheide, schon einmal anzufangen, meine Klamotten in den Schrank zu räumen. Das funktioniert zum Glück nahezu geräuschlos, sodass ich Laura nicht wecke.
Die folgende Stunde verbringe ich damit, auf meinem Bett zu sitzen und alle Nachrichten zu beantworten, die während der Anreise bei mir angekommen sind. Neben zahlreichen Nachrichten von Familienmitgliedern, die in der Familiengruppe darüber diskutieren, ob wir unserem Opa zu seinem 90. Geburtstag noch ein Handy schenken sollten, oder ob ihn das nur noch mehr verwirren würde, habe ich auch einige Benachrichtigungen von Instagram erhalten. Meistens schaue ich mir meine Direktnachrichten auf Instagram kaum an, doch jetzt klicke ich auf das kleine Nachrichtensymbol in der rechten oberen Ecke und scrolle mich durch die Chats.
Ich lese größtenteils freundliche und positive Nachrichten. Menschen, die mir zu meiner Nominierung für Olympia gratulieren oder Personen, die sich ein Trikot mit meinem Namen bestellt haben und nun sehnsüchtig darauf warten, dass es ankommt.
Diese Nachrichten lösen ein unbeschreibliches Gefühl in mir aus. Nicht, weil ich möchte, dass Menschen hunderte von Euro für Trikots von mir ausgeben. Nicht, weil ich erwarte, dass man mir gratuliert, wenn ich zu Olympia fahre. Sondern, weil ich vor einem Jahr, jedem, der mir gesagt hätte, dass ich in diesem Jahr bei Olympia mitspielen werde, einen Vogel gezeigt hätte. Es ist unfassbar ungewohnt, so eine Unterstützung aus der Gesellschaft zu erfahren.
Als ich durch meine Nachrichten schaue, stoße ich natürlich auch auf Hass. Ich habe mit nichts anderem gerechnet um ehrlich zu sein. Und obwohl ich mich so über die lieben Nachrichten gefreut habe, treffen mich diese Nachrichten umso mehr.
In erster Linie treffe ich auf Nachrichten von Männern, die mir schreiben, wie schlecht ich doch Fußball spielen würde und, dass ich nichts von alledem hier verdiene. Dabei halte ich es eher für unwahrscheinlich, dass es gegen mich und nicht einfach gegen Frauenfußball im Gesamten ist.
Vereinzelt gibt es aber auch Nachrichten, die mich rassistisch beleidigen oder homophobe Äußerungen von sich geben. Beides Themen für die ich absolut nichts kann. Die Sätze, die ich über mich lesen muss bringen mich immer mehr zum Nachdenken, bis mir eine kleine Träne über die Wange läuft.
Wieso werde ich für das gehasst, was ich bin? Für Dinge, die ich nicht zu verantworten habe? Ich habe mir nicht ausgesucht, so auszusehen, wie ich aussehe. Ich habe mir nicht ausgesucht, diese Herkunft und diese Sexualität zu haben.
Während ich weiter darüber nachdenke, bemerke ich eine kleine Bewegung auf dem Bett neben mir. Kurz darauf öffnet Laura ihre Augen und schaut mich an. Sie streicht sich einige Haarsträhnen aus dem Gesicht. „Alles gut bei dir?" Sie muss den besorgten Ausdruck in meinen Augen gesehen haben. „Naja, ich habe gerade meine Insta Nachrichten gelesen und bin da auf einiges unschönes gestoßen." Ich wische mir einmal über die Augen, bevor ich meinen Blick wieder auf Laura richte. „Und deshalb schaue ich mir nur die Storys an, in denen ich markiert wurde und lese ziemlich selten, was mir irgendein Hans-Dieter über meine Leistung erzählt. Ist eine gute Taktik, vertrau mir!" „Mir geht's gar nicht um die Kommentare zu meiner Leistung... viel mehr trifft mich dieser ganze Rassismus und die Homophobie." Mittlerweile schaue ich nichtmehr zu Laura, sondern auf den Boden.
„Hey, Bibi, schau mich an!" Ich tue, was sie mir sagt. „Du bist gut so, wie du bist! Du brauchst dich nicht verändern, weil irgendwem da draußen deine Sexualität nicht passt. Das kannst du gar nicht ändern und das ist auch gut so. Weil wir dich genau so mögen, wie du bist."
Schon bilden sich wieder Tränen in meinen Augen. „Danke, ehrlich!" Laura steht aus ihrem Bett auf, setzt sich neben mich und schließt ihre Arme um meinen Körper.
Die Wärme, in die sie mich hüllt tut gut. Diese Umarmung ist alles, was ich gerade brauche. Es dauert lange, bis wir loslassen und uns aus der Umarmung befreien.
„So und jetzt sag mir mal was auf Spanisch!", unterbricht Laura die Stille, die zwischen uns entstanden ist. Ich muss schmunzeln. Anscheinend ist sie wirklich motiviert dazu, diese Sprache zu lernen. „Okay! Me llamo Bibi. Das ist ich heiße Bibi." Laura nickt verstehend und wiederholt den Satz schließlich mit ihrem Namen. Anschließend bringe ich ihr noch den wohl schönsten spanischen Satz: ¡Te quiero!, also „Ich liebe dich" bei. Auch diesen wiederholt sie grinsend.
Ich merke, wie viel Spaß es mir macht, Laura diese wunderschöne Sprache näher zu bringen. Immer wieder müssen wir laut loslachen, weil Lauras Aussprache mancher Worte so absurd ist. Doch nach einiger Übung kann sie sich schon vorstellen und sagen, was ihre Hobbys sind.
Wir bemerken gar nicht, wie schnell die Zeit vergeht und verpassen fast das Abendessen. Erst etwa zwei Minuten bevor wir im Speisesaal sein müssen, fällt unser Blick auf die Uhr und wir sprinten die Treppen zu den anderen hinunter.
Beim Essen setzen wir uns an einen kleinen runden Tisch, den wir uns mit Syd und Klara teilen. Sofort beginnt Laura, mit ihren neu erlernten Spanischkenntnissen zu prahlen und auch auch Syd und Klara steigen sofort mit ein.
Nach dem Essen entscheide ich mich dazu, noch eine kleine Runde durch Marseille zu spazieren, während Laura schon zurück auf unser Zimmer geht.
Ich war noch nie in Marseille, aber mein erster Eindruck sagt mir, dass wir eine tolle Zeit in der Stadt verbringen können. Sie hat sowohl eine schöne und beliebte Innenstadt, aber auch kleine und leere Gassen.
Als ich durch die Stadt schlendere, schweifen meine Gedanken ständig zu dem Gespräch zwischen Laura und mir ab. Immer wieder denke ich an jedes einzelne ihrer Worte. Sie berühren etwas in mir. Laura Freigang hat etwas geschafft, das sonst kaum jemand schafft.
Normalerweise bin ich nicht besonders emotional. Ich habe gelernt, kaum etwas an mich heranzulassen, aber diese Nachrichten heute waren irgendwie anders. Laura hat mir ernsthaft geholfen. Ich hätte ihr nie zugetraut, so tiefgründig zu sein.
Der Gedanke an Laura, lässt mich etwas spüren, was ich nicht zuordnen kann. Es fühlt sich an, wie die Aufregung vor wichtigen Spielen, nur, dass es sich viel positiver anfühlt. Ich möchte nicht aufhören, an sie zu denken. Möchte nicht, dass dieses Gefühl jemals endet.
Als ich jedoch wieder vor unserem Hotel ankomme, enden diese Gedanken zwangsläufig. Ich betrete das Hotel und begebe mich kurz darauf auf den Weg zu unserem Zimmer. Innerlich verfluche ich zum wiederholten Male die defekten Fahrstühle.
Schon kurz bevor ich die Zimmertür erreiche, höre ich eine Melodie aus dem Raum, die ich nur zu gut kenne. Verwirrt halte ich meine Zimmerkarte vor den Sensor und drücke wenige Sekunden später die Tür auf.
Und tatsächlich. Laura springt tanzend durch den Raum und trällert den Text von „Feliz Navidad".
„Freigang, mach den Mist aus, es ist Juli!" Laura unterbricht ihre Tanzeinlage, greift nach ihrem Handy und pausiert das Weihnachtslied. Sie schaut mich an und rollt leicht mit den Augen. „Also erstens, es ist nie zu früh für Weihnachten und zweitens, ich lern dabei ja Spanisch." Sie grinst mir ins Gesicht und ich kann gar nicht anders, als einfach mitzulachen.
Obwohl ich noch komplett verwirrt von all den Gedanken und Gefühlen auf dem Spaziergang bin, ist Lauras Lachen ansteckend. Noch vor wenigen Monaten hätte ich niemals erwartet, dass ich diesen Sommer in Marseille bei den Olympischen Spielen verbringe und doch bin ich hier. Immer wieder muss ich mich vergewissern, dass ich nicht einfach träume.

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⏰ Letzte Aktualisierung: Oct 02 ⏰

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