Kapitel 3 - Freunde?

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Der nächste Tag begann mit der gleichen stickigen Hitze wie der vorherige. Mein Motorrad brüllte die Auffahrt entlang, während ich das Schulgelände betrat. Kaum hatte ich den Helm abgenommen, spürte ich wieder die neugierigen Blicke der anderen Schüler auf mir. Es war fast, als hätten sie nichts anderes zu tun, als auf mich zu starren. Gut so. Sollen sie ruhig gaffen.

Während ich durch das Schultor trat, bemerkte ich ihn sofort. Brad. Er stand bei seinen Freunden, die Arme verschränkt, den Blick finster auf mich gerichtet. Seine Nase war eingegipst, offensichtlich gebrochen, und die blauen Flecken auf seinem Gesicht hatten sich noch nicht ganz zurückgezogen. Ein Hauch von Befriedigung stieg in mir auf, als ich ihn ansah, aber ich ließ es mir nicht anmerken.
„Ferraro", knurrte er, als ich an ihm vorbeiging. „Mach dich darauf gefasst, dass du das Zehnfache zurückbekommst. Du wirst es noch bereuen."
Ich blieb kurz stehen, sah ihn an und hob eine Augenbraue. „Dann versuch dein Glück", sagte ich kühl, bevor ich weiterging, als wäre nichts gewesen. Drohungen. Wie lächerlich.

Der Vormittag verlief wie gewohnt. Ich folgte dem Unterricht nur halbherzig, während die Lehrer in ihrem üblichen monotonen Tonfall vor sich hin redeten. Niemand sprach mich an, und das war mir ganz recht. Es war besser so. Allein zu sein bedeutete, dass man keine Schwäche zeigte, keine Angriffsfläche bot. Trotzdem konnte ich immer wieder die Blicke spüren, vor allem von Logan und seinen Freunden. Elijah grinste jedes Mal, wenn er mich sah, als hätte ich ihm einen Gefallen getan. Marc nickte mir zu, während Logan mich weiterhin mit einem Blick musterte, der mir unangenehm war. Es war, als würde er versuchen, in meinen Kopf zu schauen, mich zu durchschauen. Aber er würde nichts finden.

Als die erste Pause kam, setzte ich mich auf die Treppe am Rande des Schulhofs. Der Beton war warm von der Sonne, und ich zog meine Jacke enger um mich, auch wenn die Hitze drückend war. Es war mir egal. Die Jacke war eine Barriere, genauso wie meine kühle Fassade. Gerade als ich begann, mich in meinen eigenen Gedanken zu verlieren, bemerkte ich jemanden, der sich mir näherte. Ich sah auf und erkannte ein Mädchen, das vor mir stand. Sie war vielleicht etwas kleiner als ich, mit braunen Haaren, die zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden waren. Ihre Augen waren wachsam, aber nicht feindselig. Sie schien nervös, als würde sie überlegen, ob sie etwas sagen sollte oder nicht.
„Hi", sagte sie schließlich, ihre Stimme war freundlich, aber unsicher. „Du bist Livia, oder?"
Ich sah sie nur an, ohne zu antworten. Was wollte sie von mir?
„Ich heiße Rachel", fuhr sie fort und setzte sich ohne Einladung neben mich auf die Treppe. „Ich hab' gesehen, was gestern in der Cafeteria passiert ist. Du hast ziemlich beeindruckend ausgeteilt."
Wieder schwieg ich, musterte sie nur aus dem Augenwinkel. Rachel schien das nicht zu stören. Sie zog ihre Knie an die Brust und schaute in den Schulhof hinaus.
„Du bist anders als die meisten hier", sagte sie nach einer Weile. „Und ich mag das. Die meisten Leute sind... naja, langweilig. Immer die gleichen Gespräche, immer die gleichen Leute. Aber du..." Sie zögerte kurz. „Du bist jemand, der nicht nur redet."
Ich wusste nicht, was ich darauf sagen sollte. Normalerweise hielten Leute Abstand von mir, besonders nach dem, was ich mit Brad gemacht hatte. Doch Rachel war anders. Sie schien keine Angst zu haben, und das machte mich skeptisch.
„Ich komme allein zurecht", antwortete ich schließlich, meine Stimme kühl und abweisend. „Ich brauche niemanden."
Rachel zuckte mit den Schultern und sah mich an, ihr Lächeln war schwach, aber echt. „Vielleicht. Aber es könnte nicht schaden, jemanden zu haben, der einem den Rücken freihält."
Ich drehte mich weg, starrte auf den Boden. „Ich hab' schon gelernt, niemandem zu vertrauen."
„Kann ich verstehen", sagte sie leise und stand auf. „Aber falls du es dir anders überlegst, ich bin da."

Ich sah ihr nach, als sie wegging, und spürte, wie etwas an mir nagte. Rachel war anders. Sie hatte eine Art an sich, die mich irritierte. Ein Teil von mir wollte ihre Worte ignorieren, sie abtun wie die üblichen Versuche, sich bei mir einzuschmeicheln. Doch tief in mir wusste ich, dass das nicht der Fall war. Sie schien wirklich mit mir reden zu wollen. Es war ein Gedanke, den ich weit von mir schob. Der Rest des Schultages verlief unspektakulär. Keine neuen Drohungen von Brad, kein besonderes Interesse von den anderen. Trotzdem war da diese ständige Unruhe in mir, die ich nicht abschütteln konnte. Zuhause war es nicht besser. Mein Vater saß wie immer in seinem Sessel, in eine dumpfe Stille gehüllt, die nur vom Flimmern des Fernsehers unterbrochen wurde. Ich nahm mir etwas zu essen, aber meine Gedanken kreisten unruhig.

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