Mörderisches Multilevelmarketing

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„Wenn ich mich vorstellen darf: Alastor, sehr erfreut." Entgeistert starrte ich auf die Hand, die mir der Radiodämon entgegenstreckte und kurz darauf auch zurückzog, als ich keine Anstalten machte, sie zu ergreifen. So nicht, mein Freund! Bisher konnte ich mich nicht erinnern, irgendeiner Vereinbarung – einem Deal – zugestimmt zu haben, aber ich wollte sicher nicht riskieren, das versehentlich nachzuholen und ich traute Alastor durchaus zu, jemanden in so eine Nummer reinzutricksen, einfach nur, weil ihm der Sinn danach stand. „Daelis, nicht so erfreut", erwiderte ich knapp, um nicht zu unhöflich zu sein, ließ es mir jedoch nicht nehmen, den Radiodämon mit offener Skepsis zu mustern, welcher mich seinerseits ebenfalls musterte und dabei eindeutig nicht beeindruckt dreinsah. Keine Ahnung, was er sich erhofft hatte, wenn er jemanden aus dem Leben riss, aber dass ich nicht gerade begeistert sein würde, dürfte ihn doch wirklich nicht wundern. Was wollte er überhaupt mit meiner Seele, wenn er sonst Overlords unterwarf und herumschubste? Mal abgesehen davon, war ich gerade erst abgekratzt. Konnte er mal einen Gang runterschalten und mir zumindest ein paar Minuten geben, das zu verarbeiten? Obendrein hatte mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit er mich umgebracht! Empörung stieg in mir auf, mischte sich jedoch schnell mit Angst. Wäre Alastor nicht Alastor, hätte ich ihm jetzt gehörig die Meinung zu allem, was hier abging, gegeigt, dass ihm die Ohren geschlackert hätten, aber der Radiodämon hatte gegenüber Leuten, die sich ihm oder seinen Plänen in den Weg stellten, nicht gerade einen langen Geduldsfaden. Ich wollte mein Glück besonders heute nicht noch einmal auf die Probe stellen und an diesem Geduldsfaden zupfen, sonst stünde mir am Ende noch ein zweiter, dieses Mal endgültiger, Tod bevor. Also schwieg ich trotz all der Fragen, die mir durch den Kopf schwirrten. Wie hatte Alastor es geschafft – und dessen war ich mir inzwischen ziemlich sicher – seinen Radiosender in die Welt der Lebenden zu übertragen? Wie und wann hatte er sich meine Seele unter den Nagel gerissen? Niemals hätte ich zugestimmt, meine Seele herzugeben und ganz bestimmt hatte ich auch im Gegenzuge nichts erhalten. Stattdessen hatte Alastor mich einfach umgebracht, wie auch immer er das genau angestellt hatte. An einen zufälligen Defekt an meinem Auto glaubte ich nicht eine Sekunde. Allerdings ging ich auch nicht davon aus, dass Alastor mir irgendetwas verraten würde. Das tat er schon bei ebenbürtigen Leuten nicht, da brauchte ich nicht einmal davon träumen.
„Nun denn, folge mir. Du hast zu tun und wir wollen doch nicht, dass du dich auf dem Weg zu deiner neuen Aufgabe verläufst", fuhr der Dämon betont gelassen fort, sein Mikrofon herumschwingend und schließlich damit in eine Richtung gestikulierend. Für meinen Geschmack war Alastor deutlich zu entspannt, bedachte man die Umstände. „Aufgabe?", wiederholte ich ungläubig. Wollte er mich ernsthaft für irgendeine ominöse Arbeit einspannen? Wenn die nicht gerade darin bestand, den verstorbenen Sündern in der Hölle zu erklären, wie Arbeitslosengeld funktionierte, war mir absolut schleierhaft, wieso ausgerechnet ich Teil seines Plans geworden war. „Aber ja doch. Nichts ist langweiliger als Müßiggang", summte Alastor gut gelaunt. „Besonders in der Ewigkeit muss man sich beschäftigt halten." Da konnte ich wohl schlecht widersprechen, jedoch konnte ich mir eine Menge angenehmerer Beschäftigungsmöglichkeiten vorstellen, als für ihn zu arbeiten, gleich, was er eigentlich von mir erwartete. Aber auch wenn es mir nicht gefiel, welche Wahl hatte ich? Ich hatte die Kette noch sehr deutlich vor Augen, die von meinem Hals zu Alastors Hand reichte. Er hatte mich in der Hand und es gab nichts, was ich dagegen tun konnte, wenn selbst mächtige Dämonen dem hilflos ausgeliefert waren. Fuck, wie war ich da nur hineingeraten? Nicht einmal Murphys Law konnte diesen Scheiß erklären. „Nun komm, folge mir", forderte Alastor mich noch einmal auf und riss mich damit aus meinen Überlegungen, welche mich unbewusst hatten innehalten lassen. Eilig nickte ich, ein höfliches Lächeln auflegend, damit er möglichst nicht zu genau wusste, was in mir vorging, auch wenn er sich das vermutlich denken konnte. Aber wie er selbst sagte: You're never fully dressed without a smile. Schlimmer konnte es ja nicht mehr werden.
Stumm folgte ich dem Radiodämon in die Stadt hinein, an deren Rand ich offenbar aufgetaucht war. Verdammt, in der Serie war er mir nie so groß vorgekommen, aber der Kerl war ein Riese, dem ich kaum bis zur Schulter reichte. Das machte ihn gleich noch einschüchternder, wenn es im Moment auch zweitrangig war. Mir brannten viel dringendere Fragen auf der Zunge. Woher hatte er überhaupt gewusst, wo meine Seele stranden würde? Noch so eine Frage, auf die ich vermutlich nie eine Antwort bekommen würde, aber wirklich wichtig war es am Ende auch nicht. Viel wichtiger war die Frage, wie ich aus diesem Pakt herauskam, der mich zu seinem Spielzeug machte. Aus reiner Güte gäbe Alastor den Pakt nicht auf, so viel war klar. Ich musste ihm etwas bieten, das ihn genug interessierte und an das er nicht herankam, wenn er den Handel nicht einging. Kein leichtes Unterfangen, selbst wenn man den immensen Machtunterschied zwischen ihm, dem gefürchteten Overlord, und mir, einem niemand, ignorierte. Über diese Fragen zermarterte ich mir so sehr das Hirn, den Blick stur auf Alastors Hinterkopf gerichtet, um nicht versehentlich verloren zu gehen, dass ich fast nicht mitbekam, dass er plötzlich stehen blieb. Eindeutig zu nahe für mein Wohlbefinden blieb ich hinter ihm stehen und machte dann eilig einen Schritt zurück, als er den Kopf zu mir herumdrehte, sein Signatur-Grinsen in voller Breite im Gesicht. Von hinten war er fast niedlich anzusehen mit seinen Bambiohr-Haaren, aber sein Gesicht ruinierte diesen Eindruck sehr erfolgreich. Fragend hob ich eine Braue. „Komm, geh neben mir", meinte Alastor wohlwollend, als wolle er nur höflich sein, aber in meinen Ohren klang das eher wie ein Befehl, dem ich widerstrebend folgte. Mir war lieber, wenn er meine Mimik nicht studieren konnte, doch damit war es jetzt vorbei.
„Bedauerlicherweise konnte ich bisher keinen passenden Partner für ein wirklich überaus vielversprechendes Multilevelmarketing-Projekt finden", plauderte der Dämon munter drauflos, als müsste mir das Ganze irgendetwas sagen, obwohl ich nicht den blassesten Schimmer hatte, was genau er vorhatte und welche Rolle er mir dabei zudachte. Für mich klang das nach einem Pyramidensystem. Wenn er hoffte, ich könnte irgendjemandem irgendetwas verkaufen, würde ich ihn sehr enttäuschen. Also beließ ich es bei einem gezwungenen Lächeln, stumm betend, dass Alastor sich selbst treu bliebe und auch den Alleinunterhalter spielte, wenn ich die Klappe hielt. „Überaus erfreulich, dass sich die Situation mit deiner Ankunft nunmehr geändert hat", ließ der rothaarige Dämon nicht lange auf sich warten. „Ich bin zuversichtlich, dass wir eine vielversprechende Zusammenarbeit erfahren werden, nicht wahr, meine Liebe?" Bei diesen Worten sah Alastor zu mir herüber, was mich beinahe zusammenzucken ließ. Der Typ ging einem unter die Haut mit seiner Art. Die war als Zuschauer deutlich lustiger gewesen, als wenn man sie am eigenen Leib erlebte, aber jetzt verstand ich umso besser, wieso Leute sich vor ihm gruselten. Für eine Sekunde rang ich mit meiner Selbstbeherrschung, bevor ich mein Lächeln wiederfand und betont liebenswürdig antwortete: „Gewiss werden wir das. Mir scheint nur, dass du bisher leider versäumt hast, mich in die Details deines Projektes einzuweihen." Die kleine Spitze hatte ich mir nicht kneifen können, aber damit konnte er umgehen, das wusste ich. Es war ein Glück für mich, dass ich Alastor dank Hazbin Hotel bereits kannte und darum zumindest grob wusste, welche Fettnäpfchen es zu vermeiden galt. Vorerst wollte ich mich lieber gut mit ihm stellen. Für einen kleinen Moment glaubte ich, Alastor zögern zu sehen, bevor er amüsiert lachte. „In der Tat, meine Liebe, in der Tat", bestätigte er schließlich meine Kritik, hörbar zufrieden mit sich selbst. Ich musste nicht wissen, was genau er plante, um zu begreifen, dass mir eine sehr anstrengende Zeit bevorstand. Darüber konnte mich auch der Anblick des Hazbin Hotels nicht hinwegtrösten, auf das wir uns zubewegten. „Es ist eine Weile her, dass ich ob einer neuen Unternehmung solche Vorfreude empfand." Dazu sagte ich lieber nichts.

The Safeword is JambalayaWhere stories live. Discover now