Karrierefragen

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So langsam bereute ich es, Bernard meine Hilfe zugesichert zu haben, egal wie scheinheilig das Angebot von mir gewesen war. Nicht nur, dass die Kiste in meinen Armen gefühlt mit jeder Sekunde schwerer wurde, Bernard konnte die Klappe einfach nicht halten. Der merkte auch wirklich nicht, wenn er sich um Kopf und Kragen sabbelte. So ziemlich alle, die in den Fahrstuhl ein- und wieder ausstiegen, musterten ihn, als überlegten sie, wie sie ihn am besten in die Pfanne hauen konnten, sodass etwas für sie selbst dabei heraussprang. Er machte es einem schon selten leicht, ihn auszunutzen. Da wusste ich fast nicht, ob ich Mitleid haben oder mich über seine Dummheit freuen sollte, obwohl ich im Moment eindeutig zu Letzterem tendierte. „Und dann habe ich Vox den Tipp gegeben, den Kanal Tree of V zu nennen. So wenig Natur, wie es in der Hölle gibt, sind hohe Einschaltquoten garantiert!", ereiferte sich Bernard selbstgefällig, als der Fahrstuhl mit einem leisen Pling verriet, dass er erneut hielt. Stumm flehte ich das Unheil, das mich hergebracht hatte, an, nun endlich die 17. Etage erreicht zu haben und damit hoffentlich von Bernard erlöst zu werden. Nicht nur, dass ich nicht einen Augenblick lang glaubte, dass sich irgendein Bewohner der Hölle auch nur den geringsten Scheiß dafür interessieren würde, irgendwelchen Pflanzen beim Wachsen zuzusehen, ich glaubte noch weniger, dass Vox diesem Idioten auch nur zugehört hatte. Hätte es aus diesem Fahrstuhl einen Ausweg gegeben, ich wäre auch vor diesem Vortrag geflohen, allein um meine verbliebenen Hirnzellen zu schützen. Wie hatte dieses hoffnungslos saudämliche Riesenrindvieh es geschafft, bis heute in der Hölle zu überleben? Der Fahrstuhl setzte sich wieder in Bewegung. Am liebsten hätte ich geschrien, vorzugsweise in Bernards Gesicht.
Zu unser beider Glück verhieß bereits der nächste Stopp, dass wir unser Ziel erreicht hatten, sonst wäre ich dem Pinguin garantiert ins Gesicht gesprungen. Wenn ich daran dachte, dass unten noch mindestens ein weiteres Dutzend Kisten stand, wurde mir ganz übel. So gut konnte das Mittagessen hier echt nicht sein, dass es diesen Scheiß wert war. Damit war das hier der zweite schlechte Deal, den ich heute abschloss. Na, wenigstens kostete mich dieser nicht meine Seele. Wenn Bernard so weitermachte, kostete es ihn aber vielleicht seine körperliche Unversehrtheit. Wie konnte ein einziges Individuum nur so unfuckingfassbar nervig sein? Dass ihn Vox nicht direkt zum nächstbesten Fenster hinausbefördert oder Valentino ausgehändigt hatte, wunderte mich ernsthaft. Gab es hier etwa noch größere Idioten? Falls ja, sollte ich mich wohl fragen, wie in aller Welt es die Vees geschafft hatten, so einflussreich und mächtig zu werden. Jeder Overlord brauchte am Ende des Tages wohl seinen Deppenminions. Was mir an dieser Rechnung jedoch am wenigstens schmeckte, war der Umstand, dass Alastor genau diese Rolle mir zugedacht hatte. Das mochte im Vergleich zu Leuten wie Bernard, denen man nur Zeug herumzutragen anvertraute, schmeichelhaft sein, aber mir genügte das längst nicht. Dafür sähe ich den Mann am anderen Ende meiner Leine viel zu gerne mal mit getauschter Rolle. Leider würde das nie passieren, das wusste ich auch, aber selbst absurde Tagträume waren produktiver, als meinen Hirnzellen beim Suizid zu lauschen, weil Bernard die Fresse nicht hielt.

Ein Seufzen unterdrückend rückte ich die Kiste in meinen Armen zurecht, als ich Bernard aus dem Fahrstuhl heraus durch eine Art Lounge führte, in der ein Haufen junger Frauen saß, jede von ihnen aufwendig frisiert und aufgehübscht. Bestimmt Velvettes Models, ging es mir noch durch den Sinn, als Velvettes Stimme meine Aufmerksamkeit auf den höllischen Star von Sinstagram lenkte. „Na endlich!" Vorsichtig linste ich über den Rand meiner Box zu der Modedesignerin, die so gestresst wirkte, dass ich lieber den Mund hielt. „Ihr zwei, bringt diese Kisten da vorn hinter den lila Vorhang", wies sie uns an. Um sie auf keinen Fall weiter gegen mich aufzubringen, beeilte ich mich, in die gewiesene Richtung zu laufen. Wer wusste schon, wie lange Velvette auf dieses Zeug wartete und wie viel Zeit Bernard unten damit verplempert hatte, besagtes Zeug von einem Fleck zum nächsten zu schieben, weil er die Kisten nicht hochgehoben bekam oder es schlichtweg nicht gewollt hatte. Angesichts der Tatsache, dass er immerhin eine in den Armen hielt, unterstellte ich ihm längst, dass er sehr viel hilfloser getan hatte, als er wirklich war. Bestimmt war ich nicht die Erste, die auf dieses Schauspiel hereingefallen war und ihm Hilfe angeboten hatte. Was'n Arschloch. Damit war der Niedlich-Faktor von Pinguinen für mich endgültig gestorben. Das versprochene Mittagessen würde ich ihn ordentlich was kosten lassen und Gnade ihm Alastor, wenn er glaubte, er könnte sich davor drücken, zu zahlen. Hinter mir konnte ich Bernard watscheln hören, der sich zwar beeilte, aber nicht Schritt halten konnte. Als er hinter dem Vorhang, der sich als samtweiche Trennlinie zwischen einer Art Gruppenumkleide und dem Hauptraum erwies, aufkreuzte, hatte ich Velvettes Kiste bereits ordentlich an eine Wand gestellt, damit niemand darüber stolperte. Bernard ließ seine einfach oben drauf fallen. „Noch 14 weitere", ächzte der Pinguin-Sünder so betont erschöpft, dass ich ihm das Schauspiel unmöglich abkaufen könnte. Wen glaubte er bitteschön, damit überzeugen zu können? Wir hatten den verfickten Fahrstuhl genommen und nicht die Treppe.
Gerade wollte ich wieder hinter dem Vorhang hervortreten, um die nächsten Kisten zu holen, als Bernard wieder losplapperte. „Komm, wir probieren mal ein paar der Sachen an. Nach der anstrengenden Schlepperei haben wir uns das verdient. So teures Zeug kriegt unsereines sonst nie zu sehen", schlug der Pinguin vor und öffnete im gleichen Zug die Kiste, die er gerade erst abgestellt hatte. Sie schien ein paar Schals und einen Poncho zu beinhalten, welchen er sich demonstrativ vorhielt. „Das muss aus der neuen Kollektion sein!" Ungläubig starrte ich ihn an. Hatte dieser grundfickend grenzdebile Hornochse jetzt völlig den Verstand verloren? „Lass das", zischte ich ihn an. „Leg die Sachen zurück. Wir müssen die anderen Boxen holen." Bernard rollte ob des warnenden Untertons in meiner Stimme nur die Augen. „Sei doch nicht so eine Spaßbremse", winkte er meine Mahnung einfach ab und öffnete jetzt auch die Kiste, die ich hochgetragen hatte. „Hier sind sogar ein paar Kleider drin, die könnten dir passen", tönte es aus Richtung des Pinguins. „Bernard", fauchte ich noch einmal halblaut. „Lass das sein. Du bringst uns noch beide um. Was denkst du dir nur dabei?", fragte ich, ohne wirklich eine Antwort zu erwarten, weshalb ich auch nicht zögerte, ihm einen Schal aus der Hand zu nehmen, um ihn dann ordentlich zurück in die kleine Box zu legen. „Räum das ordentlich wieder ein und dann lass uns die anderen Sachen für Velvette holen", erinnerte ich ihn noch einmal streng an seine eigentliche Aufgabe, bei der ich immerhin auch nur für eine freie Mahlzeit half. Bernard funkelte mich wütend an. „Dein Ding, wenn du ein Fußabtreter bleiben willst. Geh und hol die ollen Kisten, nur zu", giftete er jetzt zu meinem Erstaunen zurück. So eine heftige Reaktion hatte ich nicht erwartet. Sprachlos starrte ich den Pinguin an, der sich weiter in Rage redete. „Leute wie dich habe ich so satt, die glauben, nur weil sie einen Fuß in den V Tower setzen, sie wären was."
„Ich auch." Velvettes Stimme klang nicht weniger giftig als Bernards und ihr Ärger stand der Modeikone ins Gesicht geschrieben. Scheiße, jetzt hatten wir den Salat. Ganz toll gemacht, Bernard. Instinktiv trat ich einen Schritt zurück, um nicht mehr als unbedingt nötig ebenfalls Ziel von Velvettes Wut zu werden. „Miss Velvette", entwich es dem Deppen-Pinguin entsetzt, wobei ihm jede Farbe aus dem ohnehin schon bleichen Gesicht wich. „Mitarbeiterrabatt gestrichen", bemerkte die Designerin trocken, ihr Handy in einer Hand, welches sie auf Bernard richtete und ohne Vorwarnung ein Foto machte. So wie der Idiot dreinsah, hätte sie genauso gut eine Waffe auf ihn richten können. „Und jetzt zisch ab. Du hast einen Job und wenn ich nicht in einer halben Stunde all meine Sachen hier habe", wies sie Bernard harsch zurecht, den Blick verachtungsvoll auf ihn gerichtet als wäre er ein ekeliges Krabbeltier unter ihren Pumps, „gibt es morgen Pinguinsteak mit Bonusrabatten für alle Mitarbeiter." Bis jetzt hatte ich keine Ahnung gehabt, wie schnell sich ein Pinguin bewegen konnte, wenn es nötig war. „Slowpoke at work, #thissucks #badworkethic #youarefired #roastedpenguin", hörte ich sie leise murmeln, wobei ihre Finger über das Display ihres Handys flogen. Mental verabschiedete ich mich von meinem Mittagessen, wenn ich nicht gerade wirklich Bernard verspeisen wollte.

The Safeword is JambalayaWhere stories live. Discover now