Kapitel 4 - Rick

126 1 0
                                    

„Hast du vorhin einen Geist gesehen?", fragte Maja.

„Nein", murmelte ich schläfrig und atmete tief durch. „Es ist einfach viel los im Moment. Ich war gedanklich woanders."

„Rick?"

Ich hatte Rick auf einem Musikfestival kennengelernt, das ich organisiert hatte. Eigentlich halte ich nicht viel von großen Veranstaltungen, doch die Energie, die dort entsteht, begeistert mich. So viele Menschen an einem Ort zu vereinen, die eine kleine Gemeinsamkeit teilen und für einen kurzen Moment so viel Freude miteinander erleben - allein der Gedanke daran motiviert mich. Monatelange Arbeit verschmilzt dabei zu einer Erinnerung, die für andere vielleicht lebenslang bleibt. Rick Fable war ein Typ, der auf Social Media plötzlich viral ging. Zuerst trat er nur in alten Bars auf, doch die Leute in den Kommentaren waren fasziniert und wie hypnotisiert von seiner Art. Auch mich ließ er nicht kalt. Also schlug ich ihn als Künstler für das Festival vor, und die Mitveranstalter waren bereit, das Risiko einzugehen.Es ließ sich nicht vermeiden, dass Rick und ich viele Stunden miteinander verbrachten - den Ablauf planen, die Proben begleiten. Der Musikmix aus Pop und Rock war nicht unbedingt mein Geschmack, aber er war es. Er konnte mir jeden Wunsch von den Augen ablesen, und es schien, als würden unsere Körper dieselbe Sprache sprechen. Wir mussten nicht einmal über Musik oder das Großstadtleben reden, um zu wissen, dass wir uns blind verstanden. Doch diese Leichtigkeit hielt nicht so lange, wie ich es mir gewünscht hätte. Früher oder später mussten wir über die Zukunft sprechen, und da wurde mir klar, dass es von Anfang an nie wirklich passen konnte. Es war zu leicht. Ich wollte mich festlegen, eine Familie gründen - doch er hatte andere Pläne. Tagelanges Abtauchen in heruntergekommene Hotels, ohne zu wissen, wohin die Reise gehen würde. Aus dem Rockstar-Leben wurde ein Drogensumpf, und allmählich verschwand die Verbindung zwischen uns. Am Ende blickte ich nur noch in eine leere Hülle.

Eines Abends wollte er auf eine Hausparty gehen. Ich wollte ihn davon abhalten, sich in der Öffentlichkeit zu blamieren, und ihm klarmachen, dass er nicht einfach ungefragt auf einer privaten Feier auftauchen konnte, nur weil er ein Star war. In der Nacht erhielt ich dann einen Anruf von seinem Bodyguard, der mir mitteilte, dass Rick bewusstlos geschlagen worden war und ins Krankenhaus käme. Doch als sein Bodyguard eintraf, war es zu spät, um herauszufinden, wer ihn gebracht hatte - oder wer ihn verletzt hatte. Rick hatte darauf bestanden, dass er an dem Abend keinen Schutz bräuchte. Das Einzige, was ich erfuhr, war, dass die Gäste behaupteten, es wäre eine Männergruppe gewesen. Genauer wollte sich niemand äußern. Die Tragödie - er wurde nie ins Krankenhaus gebracht. Keiner hat je wieder was von ihm gehört oder gesehen. Seit dieser Nacht frage ich mich täglich, ob ich irgendwann die Nachricht bekomme, dass er noch lebt, obwohl mein Bauchgefühl mir etwas anderes sagt.

Ein Kloß bildet sich in meinem Hals, und ich kämpfe dagegen an, bevor mir die Tränen in die Augen schießen.

„Auch, aber..." Ich zögere. „Es geht schon wieder. Nein, ich habe mich nur mit den Jungs zerstritten, und das ist gerade das Letzte, was ich brauche."

„Ach, Maus, du weißt doch, dass du jederzeit mit mir reden kannst, so oft du es brauchst." Maja streichelt meinen Arm.

Es ist zu abgedreht, um ihr zu erzählen, was letzte Nacht wirklich passiert ist. Sie würde denken, der ganze Rick-Kram hätte mir zu sehr zugesetzt und dass ich den Verstand verloren habe. Vielleicht sollte ich doch wieder zur Therapie.

„Aber zur Hochzeit gehst du noch?"

„Ja, denke ich. Ich habe nur noch kein Kleid."

„Sollen wir dir zusammen eins aussuchen?"

„Ja, das wäre toll. Ehrlich gesagt habe ich gerade wenig Lust auf Toms Architekturgeschwafel. Bestimmt hat sich Nina das zweitgrößte Schloss des Landes für die Hochzeit ausgesucht. Man will ja nicht übertreiben."

„Nur das Zweitgrößte für eine Hochzeit?"

Wir brachen in Gelächter aus und fielen uns in die Arme.

„Hey, wir schaffen das, okay?"

„Okay." Lächelnd drücke ich sie noch fester.

„Na los, lass uns dein Prinzessinnenkleid besorgen."

Netflix & ChillWo Geschichten leben. Entdecke jetzt