Kapitel 5 - Eine Frage des Vertrauens

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„Da vorne ist sie,“ murmelt eine Stimme. Ich bin gerade dabei, meine Tasche zu packen und schaue auf. Es ist Jason. Sofort drehe ich mich um und verstaue sein Portemonnaie noch tiefer in meiner Handtasche. Mein Herz rast – hat er gemerkt, dass ich darin geschnüffelt habe? Sollte er doch zu mir nach Hause kommen, um es abzuholen. Warum steht er plötzlich in meiner Arbeit? Klar, ein Portemonnaie will man schnell wiederhaben, aber warum muss er dafür hier auftauchen? Oder hat er es etwa auf den Schlüssel abgesehen?

„Aveline,“ höre ich ihn sagen. „Hey,“ sage ich betont locker und gehe mit einem gespielten Lächeln auf ihn zu, als hätten wir uns gestern Abend nicht fast einen Vierer geliefert. Wir umarmen uns.

„Du besuchst mich bei der Arbeit?“ frage ich scheinbar verwundert.

„Ja, hast du mein Portemonnaie gesehen? Ich glaube, ich hatte es bei dir gelassen.“ Sein Tonfall klingt so, als wüsste er genau, was er wollte.

„Hm, vielleicht … ich schau mal nach,“ lächle ich, doch er erwidert das Lächeln nicht. Sein Blick ist scharf und eindringlich.

„Soll ich dich nach Hause fahren?“ Seine Worte klingen nach einer Aufforderung, nicht nach einer Frage. „Dann können wir gemeinsam nachsehen.“ Ein Hauch Bedrohung schwingt mit, und für einen Moment bin ich mir unsicher, was ich antworten soll. Immer noch halte ich die Tasche fest an mich gedrückt.

„Eigentlich … wollte ich mit einer Kollegin fahren,“ murmle ich unsicher.

„Sie wird dir sicher nicht böse sein, wenn du heute mal eine Ausnahme machst,“ sagt er mit einem dunklen Unterton, der mich frösteln lässt. Er wirkt, als wolle er mich tief in den Wald fahren und dort verschwinden lassen. Meine Alarmglocken schrillen, aber ich ignoriere sie. Es ist Jason, der Mann, den ich seit Jahren kenne und mit dem ich einen kleinen Ausrutscher hatte. Das mit dem Schlüssel – kann doch kein ernstes Ding sein, oder?

„Okay, du hast recht. Dann fahr ich eben mit dir,“ gebe ich schließlich nach und folge ihm in den Gang hinaus. Auf dem Weg zum Auto läuft er ein Stück voraus, als hätte er keine Lust, mich überhaupt zu beachten. Mein Herz hämmert immer noch. Vielleicht will er nur sein Portemonnaie, und das von gestern war nur ein Versehen. Wir steigen ein, und er sieht mich kein einziges Mal an, starrt stattdessen konzentriert auf die Straße. Er wirkt angespannt, sein Ellbogen aufgestützt, die Hand vor dem Mund. Mein Bauchgefühl sagt mir, dass ich die Antwort auf seine seltsame Haltung längst kenne – also schweige ich.

Ich lehne mich zurück und schaue aus dem Fenster, wo die Sonne langsam untergeht. Überlege, wie ich ihm gleich das Portemonnaie zurückgeben kann, ohne dass er merkt, dass ich es in meiner Tasche hatte. Plötzlich spüre ich seine Finger auf meinem Oberschenkel.

„Ist das der Rock von gestern?“ Seine Stimme klingt tief und rau, fast einladend.

Hitze steigt in mir auf, und ich kann nichts als ein „Ähm“ hervorbringen.

„Machst du deine Kollegen auch so verrückt wie uns?“ fragt er beiläufig, während seine Hand fest zudrückt, sodass ich meine Knie zusammenpressen muss. *Uns?* Der Gedanke trifft mich wie ein Schlag. Haben die anderen das Gleiche im Sinn? Haben sie sich etwa abgesprochen? Mir wird schlecht, und die Erkenntnis, dass meine sogenannten Freunde mich vielleicht bewusst ausgenutzt haben, lässt mir die Tränen in die Augen steigen.

Ich drücke seine Hand weg. „Wie meinst du das? Was war das gestern Abend? Verarscht ihr mich alle? Falls ja, kannst du mich mal!“ Sage ich, meine Stimme bebt vor Wut und Enttäuschung.

Er fährt rechts ran und sieht mich an. „Aveline,“ murmelt er mit einer rauen, sanften Stimme. „Ich und die anderen – wir würden dich nie verarschen. Die anderen hatten vielleicht das Gleiche im Kopf wie ich.“

„Und was soll das heißen?“ Ich stachele ihn an, aber die Tränen drohen zu fallen.

„Wie du uns ansiehst, Aveline. Mit diesen Augen … diese Augen, die einem sagen, dass man dir alles geben will, was du dir wünschst.“ Seine Hand wandert zu meiner Wange und er streichelt mich sanft. Das warme Gefühl, das dabei in mir aufkommt, ist das gleiche wie gestern – ein Gefühl von Geborgenheit und Verlangen. Ich halte seinen Arm fest und sehe ihm in die Augen, die Tränen glänzen darin.

„Du machst es schon wieder,“ flüstert er und sieht auf meine Lippen, dann wieder in meine Augen.

„Was?“ hauche ich.

Langsam beugt er sich vor, sein Atem trifft auf meine Haut, und ich kann den Duft von Minze und Moschus einatmen. Sein Griff an meinem Oberschenkel ist fest, lässt mich das Verlangen in mir nicht leugnen. Als unsere Lippen sich schließlich berühren, umfängt mich ein Sturm der Gefühle, die meine Welt auf den Kopf stellen könnten.

„Jason,“ piepse ich, und in meiner Stimme schwingt mein Verlangen mit.

Wieder küsst er mich, sanft und doch so fordernd, dass mein Körper wie elektrisiert reagiert. Ich spüre, wie meine Handtasche von meinem Schoß rutscht, und sofort kehrt das Bewusstsein zurück – sein Portemonnaie darf er jetzt auf keinen Fall sehen! Ich richte mich abrupt auf und stopfe hektisch mein Make-up in die Tasche, alles, nur nicht das Portemonnaie.

„Alles okay?“ fragt er mit hochgezogener Braue.

„Ja, alles gut. Fahren wir weiter?“ Ich tue, als sei nichts gewesen.

„Klar.“ Seine Stimme ist kühl.

Die restliche Fahrt bleibt still. Die Anspannung zwischen uns knistert, und ich frage mich, ob er etwas gemerkt hat.

Zuhause angekommen, schließe ich nervös die Haustür auf, Jason folgt mir die Treppe hoch. Innerlich weiß ich, dass ich jetzt strategisch vorgehen muss, um das Portemonnaie loszuwerden. Ich gehe ins Wohnzimmer, befreie mich von den High Heels und lege meine Jacke diskret über die Tasche. Jason schaut unter Möbel, auf der Suche nach seinem Portemonnaie.

„Möchtest du etwas trinken?“ frage ich, in der Hoffnung, etwas Zeit zu gewinnen.

„Nein, danke.“

Mist. Wie verschaffe ich mir eine Minute allein?

„Ich war mir sicher, dass ich es hier habe.“

Ich täusche Ratlosigkeit vor. „Vielleicht melde ich mich einfach, wenn ich es finde?“

„Ja, klar,“ murmelt er, aber seine Miene verrät mir, dass er die Antwort nicht akzeptiert. Er sieht wütend aus, die Kiefermuskeln angespannt.

„Ich schaue nochmal bei den Jungs vorbei.“ Seine Stimme klingt endgültig.

„Okay.“ Ich nicke, hoffe nur, dass er geht. Endlich schließt sich die Tür hinter ihm. Die Erleichterung, die mich überkommt, wird sofort von Zorn verdrängt. War er nur hier, um sein Portemonnaie wiederzubekommen? Dieses Arschloch.

Ich ziehe das Portemonnaie aus meiner Tasche und werfe es unter die Couch. Ob ich ihm einfach ein Foto schicke? Oder falls er es doch wagt, nochmal aufzutauchen …

Was war das? Das Ganze hat alles nur noch schlimmer gemacht! Wie soll ich mit dem Wissen leben, dass ich mit einem vergebenen Mann rumgemacht habe – meinem besten Freund, der offenbar ein gefährliches Spiel mit mir spielt? Verzweifelt greife ich nach meinem Handy und tippe ihm eine Nachricht.

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