Kapitel 3 - Verborgene Schlüssel

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Ein Klingeln ertönte. Irgendein Handy vibrierte. Meins war es nicht. Ich schaute mich um, um zu sehen, woher es kam. Jason drehte sich um und stöhnte genervt auf. Er ging zu dem Handy, das auf der anderen Seite der Couch lag, und schaute darauf.

"Es ist Anna," sagte er in einem ernüchternden Ton.

"Ich muss los, bevor es noch Stress gibt. Viel Spaß euch noch." Mit einem Kuss auf die Wange verabschiedete er sich von mir.

"Und Kopf hoch, du hast ja uns," sagte er schließlich mit einem Zwinkern und schloss die Tür hinter sich.

Nun trat eine unangenehme Stille ein. Als ich für einige Sekunden ins Leere starrte, holten auch Tom und James ihre Jacken.

"Wir machen uns dann auch mal auf den Heimweg. Du kannst uns jederzeit anrufen. Aber das weißt du ja," sagte James, bevor er mit Tom zusammen die Tür hinter sich schloss.

Wow. Im Ernst. Jetzt sitze ich hier. Feucht und völlig verwirrt. Und es geht mir noch schlechter als vorher. Liebeskummer und jetzt auch noch abgewiesen? Autsch. Wie konnte ich nur denken, dass da mehr dahintersteckt? Und die nennen sich Freunde? Von deren Loyalität mal ganz zu schweigen ...

In drei Wochen steht Toms Hochzeit bevor. Mein Puls stieg plötzlich in die Höhe. Werde ich hingehen? Muss ich seiner Verlobten die Wahrheit sagen? Ich kann doch nicht ihre Beziehung zerstören. Und Jasons auch nicht. Bei James ist es mir irgendwie egal. Die beiden vögeln ja sowieso fremd.

Ich nahm einen großen Schluck Rotwein und versuchte, die Gedanken zu verdrängen. Ich wollte einfach nur noch schlafen und den Abend vergessen. Wir waren nur betrunken. Ich war verletzt. Mehr war es nicht. Oder?

Mit diesen Fragen legte ich mich auf die Couch und verschlief den Wecker.

*Biep* *Biep*

...

*Biep* *Biep*

Ich schreckte hoch, mein Herz setzte einen Moment aus, als ich den Wecker hörte. Ich griff schnell nach dem Handy.

"Oh nein, nein...!"

08:17 Uhr! Ich sollte längst im Büro sein! Ich sammelte hektisch mein Outfit von gestern vom Boden auf und rannte ins Bad, um zu sehen, wie menschlich ich noch aussah. Es sah wirklich übel aus. Augenringe, zerzauste Haare. Wie soll ich das in ein paar Minuten wieder hinbekommen? Ich schmierte mir Concealer auf die Finger und verteilte ihn unter meinen Augen. Die Bürste musste die schlimmsten Knoten im Haar retten. Lippenstift hatte ich noch in der Handtasche. Ich rannte zurück in den Flur, schnappte mir meine Heels und die Handtasche. Nur noch den Schlüssel und ... ein Männerportemonnaie?

Ich griff nach dem schwarzen Lederportemonnaie auf dem Garderobenschrank. Als ich reinschaute, wurde mir klar, dass Jason es hier vergessen hatte. Na toll. Ich habe keine Lust, dass er so bald wieder hierherkommt. Bringe ich es einfach zu ihm? In den Briefkasten? Ich hatte keine Zeit, darüber nachzudenken, da ich schon wieder Minuten verlor. Auf dem Weg zum Auto überlegte ich mir eine Ausrede für meine Verspätung.

Als ich im Büro ankam, gab ich den Verkehr als Ausrede an. Völlig verschwitzt setzte ich mich an meinen Platz und packte meine Sachen aus. Da sah ich wieder Jasons Portemonnaie. Es sollte mich nicht interessieren. Aber da war dieses Kribbeln, dieses Adrenalin, das plötzlich durch meine Adern strömte, wenn ich daran dachte, was ich darin finden könnte. Aber das kann ich nicht machen, oder? Er wird es doch nicht erfahren. Was, wenn ich es nicht sehen will? Mein innerer Drang sagte mir, ich sollte reinschauen. Nur um sicherzugehen...

Ich klappte das Portemonnaie auf. Es war erstaunlich schwer, obwohl hauptsächlich nur Karten drin waren. Kreditkarten, seine Visitenkarte von der Kanzlei, Personalausweis. In den anderen Fächern war nichts, außer ein wenig Kleingeld. Ich klappte es wieder zu. Was hatte ich mir nur gedacht? Dass ich etwas finden würde, was ich noch nicht über ihn wusste? Wahrscheinlich mache ich mir gerade selbst einen Film wegen gestern Nacht. Ich musste schmunzeln, und meine Aufregung legte sich wieder. Ich packte das Portemonnaie in meine Tasche. 

Doch als ich versuchte, mich auf meine Aufgaben zu konzentrieren, ließ mich dieses seltsame Gefühl nicht los. Irgendetwas hatte ich übersehen. Wieso mache ich mir so einen Kopf? Die Aufregung stieg wieder, und ich konnte mich nicht zurückhalten. Ich griff erneut danach, hielt es in meinen Händen und strich über das glatte Leder. Es fühlte sich immer noch schwer an. Ich drehte es um und bemerkte eine Abzeichnung. Keine von den Karten ... eher eine T-förmige Vertiefung. Ich klappte es wieder auf und entdeckte jetzt einen Reißverschluss in der Mitte, den ich zuvor übersehen hatte. Mein Griff wurde fester, als ich den Reißverschluss öffnete. Da war etwas drin. Mein Bauch krampfte sich zusammen, ein ungutes Gefühl machte sich breit, ohne dass ich wusste, warum. 

Ich öffnete das Fach und zog einen kleinen Gegenstand heraus. Es war ein Schlüssel. Sehr klein, goldfarben, und am Ende hing ein kurzer Faden. Er sah alt aus, die Farbe war an einigen Stellen abgenutzt, aber nicht durch Gebrauch. Eher so, als hätte jemand mit Farbentferner darüber gewischt, da das Gold nur an einer Stelle fehlte. Ich betrachtete ihn genauer und tausend Fragen schossen mir durch den Kopf. Wer bewahrt einen Schlüssel in seinem Portemonnaie auf? Und warum diesen? Was ist das für ein Schlüssel? 

Als ich Schritte auf mich zukommen hörte, stopfte ich den Schlüssel hastig zurück ins Fach und verstaute das Portemonnaie in meiner Handtasche.

"Guten Morgen, Aveline. Alles klar bei dir?"

"Oh ja, alles gut, nur ein bisschen müde. Ich bin heute im Stau festgehangen."

"Oh, das ist ja blöd. Kaffee?", fragte meine Kollegin.

"Ja, gerne. Ich bin in zehn Minuten in der Küche.

"Alles klar."

Ich schnaufte tief durch. Mir wurde flau im Magen. Das ist alles viel zu viel.

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