Kapitel 4

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Als ich nach dem Training frisch geduscht wieder zuhause ankomme, fühle ich mich schon deutlich besser. Ich gehe im Kopf noch einmal das Gespräch durch, was ich gleich mit Mona führen werde, denn so geht es nicht weiter. Ich werde nicht zulassen, dass Emily unsere Clique zerstört. Ich will gerade zu meinem Handy greifen, da ploppt eine Push Nachricht auf dem Display von einer unbekannten Nummer auf.

>Hey Liam, hier ist Emily. Mona hat mir deine Nummer gegeben. Hast du kurz Zeit zu telefonieren?<

Ok, ich gebe ihr noch eine letzte Chance und drücke auf Teilnehmer anrufen.

„Hi Liam, danke dass du dich meldest" kommt es etwas unsicher aus dem Lautsprecher.

„Was willst du Emily" entgegne ich kühl.

Einen kurzen Moment wird es still am anderen Ende.

„Ich wäre wirklich sehr gern ein Teil eurer Clique und ich weiß, bisher habe ich nichts dafür getan, aber...." Wieder wird es still am anderen Ende.

„Aber was" frage ich mit ruhiger Stimme, da ich zum ersten Mal die Hoffnung habe, von ihr zu erfahren was los ist.

„Es ist für mich sehr schwer darüber zu sprechen. Aber ich weiß, dass ich mich euch anvertrauen muss, wenn ich möchte, dass ihr mich integriert. Ich bin bereit dir von meinem Problem zu erzählen, doch ich kann es nur am Telefon tun, wenn das für dich ok ist."

„Weißt du Emily..." möchte ich gerade den Satz beginnen, da unterbricht sie mich.

„Bitte Liam. Ich kann es nicht in deiner Anwesenheit erzählen. Bitte gibt mir diese eine Chance."

„Na gut" entgegne ich etwas genervt.

„Zwei Bedingungen hätte ich allerdings. Du darfst mich beim Erzählen nicht unterbrechen und du darfst es niemandem ohne meine Erlaubnis erzählen. Diese beiden Dinge musst du mir versprechen."

Ich stimme beidem zu und eine lange Pause entsteht. Ich höre, wie sie ein paar tiefe Atemzüge nimmt, bevor sie anfängt zu erzählen.

„Ich bin mit verschiedenen Organfehlstellungen zur Welt gekommen. Das heißt, einige Organe saßen nicht am richtigen Platz und waren bei meiner Geburt zum Teil unterentwickelt. Daher habe ich einige Operationen hinter mir. Aus diesem Grund habe ich viele Narben. Eine davon verläuft über meinen gesamten Oberkörper. Ich habe mich schon immer dafür geschämt und habe in meinem Leben noch nie etwas Freizügiges getragen. Nicht nur deshalb, auch wegen meiner recht verklemmten Art, hatte ich bisher so gut wie keine Freunde. Sie hielten mich alle für sonderbar und mit zunehmendem Alter wurden die Lästereien schlimmer. Alle haben sich gefragt, warum ich in der Umkleide immer schon die Sportsachen drunter hatte und warum ich sie nach dem Sport nicht ausgezogen habe. Eines Tages habe ich mitbekommen, dass ein Mädchen in meiner Klasse Gerüchte über mich verbreitet hat und ab da wurde es jeden Tag schlimmer mit den Beleidigungen. Damit hätte ich wahrscheinlich leben können, doch dann ist etwas passiert, was mich bis heute verfolgt."

Ich schlucke. Ihre zittrige Stimme, gepaart mit ihren letzten Worten, jagen einen kalten Schauer über meinen Rücken. Nach einer kurzen Pause fährt sie fort.

„Wir hatten an diesem Tag Sport in der letzten Stunde. Ich war schon auf dem Weg nach Hause, als mir auffiel, dass ich mein Handy im Spind in der Umkleide vergessen habe. Ich bin daher noch mal zurück in die Schule, wo keiner mehr auf den Fluren zu sehen war. In der Umkleide angekommen, habe ich plötzlich Stimmen gehört und wenige Sekunden später, standen 3 Jungen aus meiner Klasse im Türrahmen. Sie mussten mich beobachtet haben, wie ich noch mal zurück in die Schule bin. Sie kamen auf mich zu und ich konnte mich vor Angst nicht mehr bewegen. „Hey, was zitterst du denn so. Hast du etwas Angst vor uns" hat Brandon lachend gegrunzt und seine zwei Freunde haben mit eingestimmt. Sie haben mich mit dem Rücken gegen den Spind gedrückt. „Zeig uns mal, was du unter deinem T-Shirt versteckst" hat Zack mir dann mit einem Funkeln in den Augen zugeraunt. Jared und Brandon haben mich festgehalten, während Zack mir das T-Shirt ausgezogen hat. Ich habe angefangen zu weinen und sie angefleht aufzuhören, aber das hat sie nur noch mehr angespornt. Sie haben mich bis auf die Unterhose ausgezogen. „Gott ist sie hässlich, da ist Frankenstein ja eine Schönheit gegen" hat Brandon seinen Freunden zugerufen, während er mit den Fingern meine Narben nachgezeichnet hat. Ich hatte in meinem ganzen Leben noch niemals so große Angst, wie in diesem Moment. Dann haben sie Fotos von mir in Unterhose gemacht und mir gedroht, dass wenn ich jemandem hiervon erzählen würde, die Fotos im Klassenchat landen würden. Ich habe daher niemandem davon erzählt, nicht mal meiner Mum. Doch als ich am nächsten Morgen in die Klasse gekommen bin, haben mich alle angestarrt und ich wusste sofort, dass sie die Fotos gesehen haben. Ich bin dann heulend nach Hause gerannt. Seit diesem Tag habe ich nie wieder ein Klassenzimmer betreten, bis ich vor ein paar Tagen zu euch in die Klasse gekommen bin. Ich habe eine Angststörung in Bezug auf männliche Personen entwickelt und war ein Jahr lang in psychologischer Behandlung. Meine Therapeutin meinte, ich muss jetzt wieder in die Schule gehen, sonst würde ich den Weg zurück ins normale Leben vielleicht nicht mehr schaffen."

Bis du keine Angst mehr hastWo Geschichten leben. Entdecke jetzt