Aber ich bin zu schnell. Eigentlich ging alles mit der eingestürzten, alten Kirche in der Normandie los. Ich erinnere mich noch daran, dass die Nachrichten davon berichteten. Irgendwas mit mangelnder Statik nach einem Unwetter. Wenigstens war niemand in der Kirche gewesen, als sie wie ein Kartenhaus in sich zusammen gestürzt war. Es hätte ja auch mitten im Gottesdienst der kleinen Gemeinde nördlich von Amiens passieren können. Wie ich später herausfinden sollte, handelte es sich bei dem Bauwerk um einen Vorläufer der anderen gotischen Kirchen in Nordfrankreich mit ihren gewaltigen Speichen-Buntglasfenster und den zwei Türmen. Wie auch in Amiens oder Dutzend anderen Gemeinden, war auch diese Kirche eine Notre Dame, also der Heiligen Jungfrau Maria geweiht. Ich selbst mochte gotische Kirchen und schätzte die Ruhe, die sie verströmten. Allerdings war ich noch nie ein großer Kirchengänger gewesen.
Es musste nach Erntedank, aber noch vor Allerheiligen gewesen sein, als der Anruf kam, der alles ins Rollen gebracht hatte.
Dieser verdammte Anruf ...
Es war ein kalter und nasser Tag. Der Nebel hatte sich nie ganz verflüchtigt. Einer dieser Tage, bei denen man froh ist, wenn man nicht vor die Tür muss. Wahrscheinlich lag es auch daran, dass ich abends, als ich meinen Laden zugeschlossen hatte, beschloss, mich mit den Resten der Lasagne des gestrigen Tages zu begnügen. Die Stunden hatten sich endlos dahin geschleppt und seit dem Nachmittag plagten mich Kopfschmerzen. Ich war also wirklich froh, als ich die Treppe hinter meinem Büro, die zu der kleinen Anliegerwohnung führte, hoch stieg und dann die Tür hinter mir schloss. In meiner Vorstellung sperrte ich die Welt damit aus.
Oh, wie ich mich doch irrte.
Gestern hatte ich mir von meinem Lieblingsitaliener Marcello eine Lasagne geholt und wie immer war es eine reichliche Portion gewesen. Ich aß sicher ein oder zwei Mal die Woche bei ihm. Und das seit Jahren. Er kannte mich also und wusste auch, dass ich nicht gerne kochte; deswegen waren seine Portionen für mich immer reichlich. Da aber im Gegenzug auch mein Trinkgeld reichlich war, glich ich damit in meinen Augen seine Fürsorge wieder etwas aus. So oder so, es war noch genug von gestern übrig. Ich erwärmte die Portion in der Mikrowelle, setzte mich auf meine Couch und schaltete den Fernseher an. Dampf stieg von dem geschmolzenen Käse auf und ich ließ mir vorsorglich Zeit. Ich hatte keine Lust, mir schon wieder den Mund daran zu verbrennen. Währenddessen zappte ich durch das Programm und blieb bei einer Reportage über den alten Minenstollen des Bergwerks am Rande meines Wohnortes hängen. Dieser war vor etwa dreißig Jahren in sich zusammengefallen und hatte dabei eine komplette Schicht Bergleute begraben. Niemand hatte gerettet werden können. Ich schob den Käse etwas zur Seite und probierte dann einen kleinen Bissen. Annehmbar. Ich pustete noch etwas, dann kam die Nächste. Währenddessen verfolgte ich weiter den Bericht und erfuhr, dass es nicht das erste Mal gewesen war, dass sich dort ein Unglück ereignet hatte.Ich wollte gerade ein Stück des geschmolzenen Käses kosten, als mein Handy auf dem Tisch läutete. Das Display leuchtete auf und zeigt mir eine Nummer, die ich noch nie zuvor gesehen hatte. Wer rief um diese Zeit noch an?
Natürlich war es schon vorgekommen, dass ein ungeduldiger Kunde mir auf den Wecker ging oder ein Stammkunde gerade Wind von einem potentiell interessanten Buch bekommen hatte und keine Zeit verlieren wollte. Das gehörte dazu. Aber in letzter Zeit hatte ich eigentlich einen Gang zurück geschaltet. Bis auf einige Aufträge von besonderen Stammkunden hatte ich keine neuen Bestellungen mehr angenommen. Hauptsächlich weil ich mich in letzter Zeit oft müde fühlte. Ich schob es auf das triste Wetter, dass uns schon seit Wochen begleitete. Aber wahrscheinlich hatte ich auch einfach keine Lust auf irgendeinen reichen Emporkömmling, der sich plötzlich einbildete, bei seinen Freunden mit einer gewissen Erstausgabe angeben zu wollen. Dazu hatte ich mir einen zu guten Ruf in gewissen Kreisen aufgebaut und bekam zu viel Geld für meine Suche nach eher speziellen Büchern.
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YOGGHOTH - Das verfluchte Buch
Mystery / Thriller"Alles fing mit diesem verfluchten Buch an ..." - Nikolai Wolf - Eine Kirche in der Normandie stürzt ein, nie hätte Nikolai sich träumen lassen, dass dieses Ereignis sein Leben auf den Kopf stellen würde. Kurz nach dem Unglück meldet sich sein alte...