Ein Krankenwagen fuhr mit Blaulicht davon und riss mich aus meiner Erinnerung. Ich sah auf und erkannte, dass sich noch immer nichts geändert hatte. Was sollte ich sonst tun? Ich konnte ja jetzt schlecht nach Hause fahren, oder?. Also zog ich mein Handy hervor, bis wieder einfiel, dass ich seine Nummer gar nicht hatte. Ich starrte es einige Zeit ungläubig an. Das ziehende Gefühl in meinem Magen wurde stärker. Ich beugte mich zu einer älteren Frau neben mir und fragte sie auf Französisch, was geschehen sei. Sie sah mich argwöhnisch an.
„Wohl ein Unfall", sagte sie.
Meine Lippen fühlten sich ganz taub an. Wieder kaute ich auf ihnen herum. „Weiß man schon, wer es ist? Oder was genau passiert ist?"
Sie schüttelte den Kopf. Die Frau hatte ihre schneeweißen Haare mit einem Kopftuch zurückgebunden und trug eine schwarze Strickjacke. Gebeugt war sie auf ihren Stock gestützt, während sich tiefe Falten um ihre Hakennase in ihr Gesicht gruben. Unwillkürlich musste ich an eine Hexe denken, auch wenn ich der alten Frau damit sicher unrecht tat.
„Irgendjemand von dem Ausgrabungsteam."
„Ein Archäologe?", fragte ich krächzend. Mein Mund fühlte sich an wie eine Wüste und meine Kehle schien ebenso ausgedörrt zu sein. „Das sagen sie nicht", antwortete die alte Frau und wandte sich dann wieder dem Geschehen hinter der Absperrung zu. Ich verstand den Wink, einem Nicht-Einheimischen würde sie nicht mehr erzählen. Ich folgte ihrem Blick, konnte aber nichts erkennen, außer uniformierte Personen.
Was sollte ich jetzt tun? Die Hand, in der mein Smartphone lag, war schwitzig. Ich wollte es gerade wieder einstecken, da klingelte es. Diesmal war es eine mobile Nummer. Mein Herz macht einen Satz.
„Nikolai?"
„Ja! Viktor?" Ich atmete erleichtert aus. „Gut, dass ich dich erreiche, ich dachte schon ..." Wieder war der Empfang nicht besonders gut und es rauschte und knisterte. Ich hielt mir das linke Ohr zu und schob mich durch die Menge der Schaulustigen.
„Wo warst du heute Morgen?!", fragte er. Er klang gehetzt und atmete schnell. „Ich habe auf dich gewartet, aber der Zug war leer."
„Es gab Probleme mit der Verbindung. Die DB, du weißt schon ..."
„Warum hast du dich dann nicht gemeldet?!" Vorwurf lag in seiner Stimme, zu Recht, wie ich zugeben muss.
„Und wie hätte ich das tun sollen?", fragte ich. „Das Münztelefon anrufen?!"
Viktor schwieg am anderen Ende der Leitung.
„Wo bist du?", fragte ich, um die Stille wieder zu durchbrechen.
„Dass kann ich dir gerade nicht sagen."
„Was?"
„Nikolai, hör mir zu ..." Sein Schnaufen klang wie das Hecheln eines Bernhardiners in der Sonne. Der Klang seiner Schritte hallte aus dem Lautsprecher des Handys. „Ich habe mich geirrt!"
„Du hast dich geirrt?"
„Ja doch! Hör mir jetzt mal zu, Nikolai."
Ich schwieg, um ihn zu signalisieren, dass er dann um Himmelswillen endlich reden sollte.
„Wir müssen uns treffen."
„In Ordnung. Und wo?"
Er nannte mir das Lokal.
„Ich mach mich auf den Weg."
„Gut, und beeil dich."
Ich brauchte etwas, bis ich das richtige Restaurant gefunden hatte. Der Sonnenuntergang war bereits in vollem Gang und überall verlor das Licht an Kraft. Auf einem Schild draußen über der Tür stand, La Verrière. Von außen wirkte es unscheinbar. Die Farbe der Hauswand blätterte bereits ab und nur wenige Tische waren besetzt. Als ich ins Innere ging, nahm mich dunkles, dämmriges Licht in Empfang. Auf den meisten Tischen standen alte Weinflaschen mit brennenden Stabkerzen im Flaschenhals. Erst als sich meine Augen an die Dunkelheit gewöhnt hatten, entdeckte ich Viktor an einem der hinteren Tische. Er hob grüßend die Hand und ich setzte mich zu ihm.
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YOGGHOTH - Das verfluchte Buch
Tajemnica / Thriller"Alles fing mit diesem verfluchten Buch an ..." - Nikolai Wolf - Eine Kirche in der Normandie stürzt ein, nie hätte Nikolai sich träumen lassen, dass dieses Ereignis sein Leben auf den Kopf stellen würde. Kurz nach dem Unglück meldet sich sein alte...