Kapitel 4 | So schwarz wie Tinte

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Nachdem ich den ganzen Tag nichts vernünftige gegessen hatte, und um wenigstens irgendetwas Angenehmes an diesem Tag getan zu haben, beschloss ich, am Hafen in eines der Restaurants zu gehen. Ich entschied mich für eines, das eine Terrasse hatte, die über das Meer hinausragte, und das mit frischen Muscheln warb. Ich mochte Meeresfrüchte sehr gerne und nutzte die Chance, wann immer ich am Meer war, welche zu essen. Es roch nach Ozean. Während ich auf eine Portion wartete - anstatt Pommes hatte ich die etwas ältere, aber nette Kellnerin gefragt, ob ich etwas Brot haben könnte - hörte ich zu, wie die Wellen ans nahe Kai schlugen. Mittlerweile war die Sonne untergegangen und das Wasser glich schwarzer Tinte. Die nahen Segelboote schaukelten dank des kalten Windes, der an den Alabasterklippen entlang heulte, hin und her. Es dauerte nicht lange, dann brachte die Kellnerin mein Essen und stellte es zusammen mit einem Brotkorb vor mich. Ich sah den dampfenden Berg Muscheln in dem Topf aus schwarzem Emaille an. Das Wasser lief mir im Mund zusammen und mein Magen knurrte. Ich fing an zu essen. Hin und wieder tauchte ich etwas Brot in die Weißweinsauce am Boden des Topfes. Es schmeckt herausragend und ich leckte mir ständig die Finger ab. Es war schon ein Unterschied, ob man Muscheln direkt am Meer aß oder diese erst noch hunderte Kilometer weit transportiert werden mussten. Die Schalen legte ich auf einen Teller. Ich vergaß meinen Frust über die Ereignisse und fühlte mich fast so, als würde ich eine kleine Reise durch Frankreich machen.

Keine schlechte Idee, dachte ich. Ich könnte mir morgen einfach ein Auto mieten und dann die Küste weiter erkunden.


Unwillkürlich legte sich ein Lächeln auf meine Lippen. Vielleicht wäre das genau das Richtige, um mich auf andere Gedanken zu bringen. Seit ich die Chroniken von Dunwich bei Sir Bolton abgegeben hatte, war ich nicht mehr wirklich zur Ruhe gekommen. Wobei, das stimmte nicht ganz. Ruhe hatte ich genug. Es war eher, als ob ich mich nicht mehr richtig entspannen konnte. Oft blieb ich bis spät nachts auf und schlief dann nur kurz. Ein kleiner Urlaub durch Frankreich mit gutem Essen und Wein würde mich sicher ablenken. Mir fiel ein, dass ich schon immer mal gerne Le Mont-Saint-Michel angesehen hätte. Vor mir tauchten die szenischen Postkartenmotive der Insel auf, die im Grunde nur aus der riesigen Abtei und Kirche bestanden. Das war sicher ein eindrucksvolles Bauwerk und ...

„Sieht aus, als würde es Ihnen schmecken."

Irritiert sah ich auf. Vor mir zog ein Mann den Stuhl gegenüber meines Tisches heraus und setzte sich ungefragt. Er trug einen schwarzen Hut, wobei ich sehen konnte, dass graue Strähnen darunter hervorlugten. Sein Gesicht war hager und glatt rasiert, während seine Augen von so dunklem Braun waren, dass sie im schwachen Licht des Restaurants fast schwarz wirkten wie das Meer neben mir. Er schob die Ärmel seiner Jacke nach oben. Die Haut seiner Unterarme war bleich und die Adern zogen sich wie dicke blaue Würmer bis hoch zum Ellenbogen.

„Ja, danke", erwiderte ich. „Kann ich Ihnen helfen? Kennen wir uns?"

„Nein, das tun wir nicht." Der Fremde musterte mich und und verzog keine Miene. Als ich seinen Blick sah, lief es mir eiskalt den Rückenherunter. „Aber ich bin jemand, der seine Schäfchen gerne frühzeitig ins Trockene holt." Er lächelte, als hätte er einen Witz gemacht.

„Was?", fragte ich. „Wovon sprechen Sie eigentlich?"

Eine kurze Pause entstand. Er beäugte mich.

„Wo ist es?"

„Wo ist was?"

„Na, Sie wissen schon."

„Ich weiß gar nichts!" Ich sah ihm in die Augen, merkte aber, dass sein Blick zu unangenehm war, also wich ich ihm wieder aus. Außerdem hatte ich auf einmal so eine Ahnung, dass ich doch wusste, was er meinte. Mein Magen jedenfalls füllte sich mit glühenden Kohlen.

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⏰ Letzte Aktualisierung: 11 hours ago ⏰

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